Als der Rock’n’Roll nach Bayern kam

Landsberg – Dass Elvis Presley als Soldat in Deutschland war, weiß jeder. Unbekannt dagegen: die Geschichte von Staff Sergeant John Ray Cash, der in einer Landsberger Kaserne zur Musik fand. Hier wird sie erzählt – bei einer Rock’n’Roll-Tour durch Bayern.
Die eigentliche Berühmtheit im Landgasthof Saxenhammer in Hechenwang sind die Weißwürste – ihretwegen soll es einen regelrechten Handwerker-Mittagspausen-Tourismus geben. Heute aber ist ein Gast berühmter als die Wurst. Ein Sänger. Eine Legende. Gus Backus.
Der alte Wirt vom Saxenhammer, Jahrgang 1937 wie Backus, ist ergriffen und setzt ihm gleich mal den Enkel auf den Arm. Sagt aber auch: „Wegen Ihnen habe ich oft nicht schlafen können.“ Das war so, wenn die Dorfjugend an der Musiktruhe immer wieder „Brauner Bär und weiße Taube“ drückte. Einen der vielen Gus-Backus-Hits.
Gus Backus ist in Hechenwang, weil es auf dem Weg der „Rock’n’Roll-Tour Bayern“ liegt und ein paar Weißwürste nicht schaden. Bevor er erzählt von dieser damals neuen wilden Musik.
Mancher mag da stutzen. War Gus Backus nicht Schlagersänger? Aber hallo: Gus Backus hat – in einem Leben, als er noch nicht auf Deutsch sang – den Rock’n’Roll sozusagen miterfunden.
Drüben in Amerika war er Mitglied der Band The Del-Vikings. Nach einem

Konzert stand in der Zeitung: „They were really rockin’ and rollin’ the Paramount.“ Gus Backus sagt: „Und so hatte die Musik einen Namen.“
Die Del-Vikings hatten zwei größere Hits. Ihre Besonderheit aber war: Die Band setzte sich aus zwei Weißen und drei Schwarzen zusammen. Dafür sind sie angefeindet worden in den 50er-Jahren. „Deine Kollegen haben die falsche Hautfarbe“, sagte man zu Backus, er antwortete: „Wenn Du so denkst, bist Du die falsche Person.“
Gus Backus war also ein Rock’n’Roll-Star, als er zum Wehrdienst nach Deutschland geschickt wurde. Er blieb dann, weil er einen Plattenvertrag bekam. Es war die Zeit, in der das Publikum es liebte, wenn es deutsche Texte mit Akzent hören durfte. Backus sang Coverversionen von Little Richard („Schwierig, denn es gibt kein deutsches Wort für Bop bopa-a-lu a whop bam boo“), und man schrieb ihm Lieder auf den Leib: „Da sprach der alte Häuptling der Indianer“ oder „Sauerkraut-Polka“. Für die Schlagerszene mit ihren immergleichen Liebesbotschaften war es aber Rock’n’Roll, wenn einer sang von „Bohnen in die Ohren“ und „No Bier, no Wein, no Schnaps“.
Die Rock’n’Roll-Bayern-Tour im Panoramabus „Flaneur“, Baujahr 1960, 125 PS, 28 Sitzplätze, geht weiter nach Penzing bei Landsberg, in die Alpenkaserne. Denn – kaum jemand weiß es – dort wurde ein ganz Großer der Musik geformt. Eine Legende. Johnny Cash, von 1951 bis

1954 war er Soldat in der Alpenkaserne. Und anders als Elvis Presley, der schon weltweit die Teenager verrückt machte, als er mit dem Schiff in Bremerhaven ankam (1958), oder Gus Backus von den Del-Vikings war Cash ein Nobody. Er sang, weil seine Mutter beim Baumwolle pflücken gesungen hatte. Er spielte Mundharmonika. Eine Gitarre hat er sich erst in Landsberg zugelegt, für 20 Mark, das waren fünf US-Dollar, im Musikhaus Ballach an der Schulgasse. Er hat sie hinauf zur Kaserne getragen, sechseinhalb Kilometer durch den Wald, knietief war der Schnee. „Ich war steif gefroren“, schrieb er. Er lernte, die Gitarre zu spielen und gründete mit anderen G.I.’s eine Band: die Landsberg Barbarians. Auftritte: im Offizierscasino, in der Snack-Bar und im Kino der Kaserne. Auch in einigen privaten Haushalten in Landsberg spielte er auf.
Musikalisch war Cash. Sonst hätten sie ihn gar nicht genommen für seinen Job bei der US-Army. Er war Funker, eine Spitzenkraft, höchste Geheimhaltungsstufe. Hörte ab und entschlüsselte,

was die Sowjets im beginnenden Kalten Krieg morsten. „Man muss die Gabe haben, ein Klangbild zu erkennen“, sagt Sonia Fischer, Leiterin des Neuen Museums Landsberg, das gerade eine Cash-Schau präsentiert. Von sich selber sagte Cash später, er sei der erste Mensch der westlichen Welt gewesen, der die Nachricht von Stalins Tod gehört habe. Sonia Fischer meint: „Seine Abteilung hat das gemacht, was heute die NSA erledigt.“ In seinen Briefen nach Hause hat Cash nie beschreiben dürfen, welchen Job er verrichtet.
Die Armee bot Cash einen Anschlussvertrag an. Er lehnte ab, weil das Soldatenleben seine Härten hatte. Zum Beispiel: Telefonieren war nur einmal im Jahr erlaubt (und irrsinnig teuer – ein paar Minuten kosteten 30 Dollar), nach Hause reisen gar nicht. Das Leben spielte sich überwiegend in der Kaserne ab. Gegen den Lagerkoller gab es Schwimmbad, Bowlingbahn, Tennisplatz, das Kino mit 500 Plätzen. Es war klar, dass es die Soldaten auch zu den deutschen Frolleins zog. Das ließ das Militär nach Aufhebung des Fraternisierungsverbots zu, warnte seine Leute aber stets davor, sich was zu holen. Jede Einheit führte Statistik über die Fälle von Geschlechtskrankheiten. Johnny Cash kam am 8. Oktober 1951 in Landsberg an. Am 13. Oktober sah er im Truppenkino den Film „Inside the Walls of Folsom Prison“. Der Zusammenhang ist klar: 1956 veröffentlichte Cash den „Folsom Prison Blues“, und mit seine größten Erfolge waren später die Gefängniskonzerte im Folsom Prison und San Quentin. Es war imageprägend: Johnny Cash, der „Man in Black“, steht auf der Seite der Entrechteten und Unterdrückten.
Seine Musik war ja eher Country. Doch Alexander Stockmann, Organisator der Rock’n’Roll-Touren, meint, man solle den Begriff nicht nur als Definition eines Musikgenres sehen: „Rock’n’Roll ist der Geist der Rebellion, steht für die Unvernunft der Jugend. Johnny Cash ist einer der geistigen Väter des Rock’n’Roll.“ Er hat – nach der Soldatenzeit, als Musik-Weltstar – dann ja auch ein bewegtes Leben gelebt.
Zweifelsfrei hat er sein großes Werk in Bayern auf den Weg gebracht. Ein Schild in der Kaserne riet den Soldaten, wenn sie nach Landsberg gingen, die Waffen nicht mitzunehmen: „Don’t take your guns to town“. Wurde einer der Cash-Megahits. Auch „I walk the Line“ hat seine Inspiration hier gefunden. Und ursprünglich hatte Johnny Cash vor,

seine Jugendliebe Vivian Liberto nach Landsberg zu holen und sie nach der Militärzeit zu ehelichen und mit ihr am Lech zu leben. Er hatte schon eine Anzeige in der Zeitung aufgegeben, vorauseilend formuliert: Ehepaar sucht Wohnung. Doch die Familie der Braut war gegen den Standort Deutschland. Und Cash ging zurück nach Amerika. Seine erste Platte nahm er zuvor aber noch in München in einem Studio am Hauptbahnhof auf. Danach begann die Weltkarriere beim Label Sun Records.
Gus Backus hat Johnny Cash später im Plattenstudio in den USA kennengelernt. Auch mit Elvis Presley, von 1958 bis 60 Soldat in Deutschland, hatte er zu tun. Backus diente im Militärhospital Wiesbaden, Presley meldete sich wegen einer Ausfahrt auf der Autobahn im BMW. Presley fragte noch, ob das stimme, dass es kein Geschwindigkeitslimit gebe, dann drückte er auf die Tube. Backus: „Elvis ist gefahren wie eine gesengte Sau.“
Gus Backus geht durch die Johnny-Cash-Ausstellung in Landsberg. Sie gefällt ihm, war ja auch seine Army-Zeit, als die US-Soldaten nicht als Besatzer, sondern als Freunde wahrgenommen wurden. Man sieht den jungen Johnny Cash beim Segeln auf dem Chiemsee oder wie er seinem Stubenkameraden Bill Harrell am Swimmingpool den Finger entgegenstreckt.
Backus ist in Germering sesshaft geworden, seit Jahrzehnten schon. Das klingt nach Bürgerlichkeit, aber da soll man sich nicht täuschen lassen. Er hat ein aufregendes Leben geführt.
„Ich bin für tot erklärt worden. Viermal“, erzählt er, „Bunte“ und „Stern“ seien voreilig gewesen, wenn sie einen Grabstein entdeckten, auf dem der Name Backus stand. Er lebt! Und ist zum vierten Mal verheiratet, „wobei meine vierte Frau auch schon meine zweite war“.
Yeah, auch das ist Rock’n’Roll.
Die Rock’n’Roll-Tour
geht weiter. Die nächste findet am 7. November statt (www.rocknrolltour.de), Preis 189 Euro. Die Ausstellung „Don’t take your guns to town. Johnny Cash und die Amerikaner in Landsberg“ im Neuen Stadtmuseum in Landsberg läuft bis 31. Januar