200 Schüler testen Leben ohne Handy

München/Viechtach – Vier Wochen ohne Handy und Fernseher, ohne Facebook und Whatsapp-Kontakte? Für Schüler undenkbar. Über 200 Jugendliche eines Gymnasiums wagen es trotzdem. Sie nehmen an einem Experiment des renommierten Hirnforschers Professor Manfred Spitzer teil.
Nach den Osterferien ist es soweit: Kein Smartphone, kein Whatsapp. Fernsehen? Verboten! Ebenso die Spielekonsole. Und wer sich mit einem Freund verabreden will, der sollte das auf die altmodische Art tun. „Zum Beispiel auf dem Pausenhof“, rät Professor Manfred Spitzer. Der Leiter des Transfer-Zentrums für Neurowissenschaften und Lernen an der Universität Ulm entsendet einen ganzen Forschertrupp ins niederbayerische Viechtach, um die Auswirkungen eines längeren Handy-Verzichts wissenschaftlich zu ergründen. Bis zu sechs Doktoranden werden sich in einem Haus einmieten – eine Forscher-WG, die die Schüler des örtlichen Gymnasiums auf Herz und Nieren untersuchen wird. Ziel ist es, Aufschlüsse zu erhalten, ob der Verzicht auf das Smartphone und andere Bildschirmmedien „einen messbaren Einfluss auf das Wohlbefinden, Gesundheit, Konzentrationsfähigkeit und Leistungsfähigkeit der Schüler hat“. Darüber gebe es in der Literatur viele Vermutungen, aber keine seriöse Antwort, sagt Spitzer.
Der Hirnforscher, bekannt auch durch medienkritische Bestseller („Digitale Demenz“), war auf das Dominicus-von-Linprun-Gymnasium Viechtach durch eine Aktion vom vergangenen Frühjahr aufmerksam geworden. Damals sperrte die 8b des Gymnasiums, insgesamt 29 Schüler, vier Wochen das Handy weg – ein Test mit durchaus gutem Ergebnis, wie Schulleiter Martin Friedl sagt. Die Noten etwa in Mathematik hatten sich verbessert. Für den neuen Versuch mit dem Titel „Smartphone-Verzicht bei Schülern – eine kontrollierte Interventionsstudie“ konnte der Ulmer Forscher über 200 Schüler zwischen der 6. und 10. Klasse für die freiwillige Teilnahme gewinnen. Alle Schüler werden in zwei Gruppen aufgeteilt und tragen jeweils vier Wochen lang ein Fitness-Armband. So können die körperlichen Aktivitäten der Schüler abgerufen werden, außerdem die Dauer des Nachtschlafs. Die Schüler sollen auch Tagebuch führen und sie werden wöchentlich nach ihren Erfahrungen befragt.
Ebenfalls wichtige Untersuchungsparameter: Gewicht, Größe, Konzentration (sie wird durch Tests am Computer gemessen) – sowie eine Stress-Untersuchung. Dazu werden Haarproben, die alle Schüler abgeben, im Labor auf die Hormone Cortisol und DHEA untersucht. Diese körpereigenen Botenstoffe zeigen an, ob ein Schüler unter Stress steht.
Die Studie sei „ergebnisoffen“, sagt Spitzer – er will nicht den Eindruck vermitteln, dass Vermutetes – also: Handys schädigen das Lernverhalten – durch die Untersuchung lediglich bestätigt werden soll. Der Stress beispielsweise könne ja durch den Verzicht auch zunehmen, zumindest am Anfang. Und ganz nebenbei zerstreut Spitzer, den unsere Zeitung am Handy erwischt, auch die Vermutung, er sei ein hartnäckiger Handy-Gegner. „Ich habe nie gesagt: Das ist Teufelszeug.“
Die Viechtacher Schüler könnten also Forschungsgeschichte schreiben. So ein Großversuch, sagt Spitzer, ist Neuland. Weil die Forscher Kinder untersuchen, hat er den Versuch von der Uni-internen Ethikkommission begutachten lassen, die ihn gut fand. Die Genehmigung des Kultusministeriums fehlt noch, aber nächste Woche soll es hier wohl Klarheit geben.
Dann muss nur noch ein Problem aus der Welt: Wie können die Schüler ohne Fernseher die Bayern in der Champions-League verfolgen? Der Schulleiter hat schon eine Idee: ein Public-Viewing. Kommentar zum Thema.