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Eklat am Resi: Zuschauer stürmen auf die Bühne

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Eklat Residenztheater "Balkan macht frei"
Die Waterboarding-Szene - in ihrem Realismus für viele unerträglich. © Residenztheater

München - "Balkan macht frei" - schon der Titel spielt auf das KZ-Tor und den Spruch "Arbeit macht frei" an. Doch das war es nicht allein, was das Publikum bei der Uraufführung am Residenztheater in Auffuhr brachte: Sie flohen, protestierten - und stürmten auf die Bühne.

Eines gleich vorweg: Empfindsame Theatergänger sollten sich diesen Abend nicht antun. Aber auch weniger sensible Gemüter dürften leicht traumatisiert aus dem Münchner Marstall (Residenztheater) wanken, nachdem sie dort Oliver Frljićs Bühnenperformance „Balkan macht frei“ gesehen haben, die schon im Titel auf den perversen Spruch „Arbeit macht frei“ über KZ-Toren anspielt. Bei der Uraufführung gab’s jedenfalls einen Publikumsaufruhr, wie man schon länger keinen mehr gesehen hatte: Zuschauer flohen, protestierten, schrien „Aufhören!“, und die verbliebenen schlichen am Ende ganz beklommen und still aus dem Theater. Was war geschehen?

Sagen wir mal so: der Anfang ist sogar eher komisch. Da sieht man drei Schauspieler (Leonard Hohm, Alfred Kleinheinz, Jörg Lichtenstein), die sich Pappschilder umhängen. Auf denen stehen Namen wie Goethe, Brecht, Handke, aber auch Castorf und Kušej. Ein Vierter, Franz Pätzold, spielt den bosnischen Regisseur Oliver Frljić als wilden Balkanesen, der diese Lichtgestalten mitteleuropäischer Kultur abknallt – „in effigie“ sozusagen. Anschließend sitzen alle blutverschmiert mit gefalteten Händen am Tisch und beten im Chor den Anfang des Grundgesetzes. Amen.

Ist er noch in der Rolle oder schon er selbst?

Soweit ist alles klar: Vorurteile über den „barbarischen“ Balkan und seine Eingeborenen sollen grell übertrieben und so entlarvt werden: „Das ist es doch, was ihr von einem Balkanregisseur sehen wollt.“ Aber in der nächsten Szene kippt’s. Da liefert Pätzold eine Publikumsbeschimpfung ab, bei der Zweifel aufkommen: Ist er noch in der Rolle, oder spricht da schon er selbst? Jedenfalls möchte man nicht in der ersten Reihe sitzen, denn die Zuschauer dort spricht Pätzold-Frljić direkt an. „Ihr seid Gaffer“, geifert er in seiner erschreckenden Wutrede – die natürlich ebenfalls gewollt von Vorurteilen strotzt: Hier wird das alte Dekadenz-Klischee vom verweichlichten, reichen Westler bedient, dem es „an Haltung“ mangele. Hingegen hätten die SS-Leute, die Juden ins Gas trieben, „Haltung“ gehabt – und die Mauerschützen der DDR-Grenztruppen auch, erklärt der Rasende. Dann beschimpft er die Deutschen von heute als Bio-Faschisten und brüllt, die Juden gehörten vergast.

Kaum anzunehmen, dass das so gemeint ist, obwohl es so klingt. Natürlich wird hier nur eine Attitüde ausgestellt und bewusst mit dem Tabubruch gezündelt wie mit den Büchern, die in Anlehnung an die Bücherverbrennung auf einem Metalltablett kokeln. Aber ganz sicher ist man sich nicht, und genau auf diese Irritation setzt Frljićs Performance, die dezidiert die Grenzen zwischen Fiktion und Authentizität verwischt.

Qual im Naturalismus unerträglich

Dann kommt der Hammer. Eine Waterboarding-Szene, die genauer auszumalen wir uns und den Lesern ersparen möchten. Denn auch wenn hier vermutlich Theatertricks zur Anwendung kommen und das Opfer (Pätzold) seine Qual nur spielt – in seinem Naturalismus ist das Geschehen so unerträglich, dass einige beherzte Zuschauerinnen die Bühne stürmten, um es zu beenden. Das Problem besteht aber auch darin, dass diese Szene sich durch die Effekte des Hyperrealismus um ihre eigentliche Wirkung bringt. Denn ihr „Clou“ ist, dass der Folterknecht während der Aktion Politiker-Floskeln aufsagt: „Deutschland steht für Offenheit (...) Alle brauchen eine Perspektive (...) Bildung bedeutet Zukunft“. Der Versuch, die Zuschauer aufzustören, indem man die Realität als Super-Effekt ins Theater holt, ist nicht neu, aber diesmal geht er sich selbst auf den Leim: Wenn der Balkanregisseur die saturierten Westler mit der Wirklichkeit erschreckt, bestätigt er die Klischee-Muster, die er eigentlich zertrümmern wollte. Heftiger Applaus für die Schauspieler.

Alexander Altmann

Nächste Vorstellungen

am 28. Mai, 8. und 25. Juni; Telefon 089/ 21 85-19 40.

"Balkan macht frei": Bilder des Skandal-Theaterstücks

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