„Männer“mit „Currywurst“

Herbert Grönemeyer veröffentlicht auf CD-Box „Alles“ sein Gesamtwerk.
Das Album mit dem hässlichsten Cover fehlt. Schade, dabei hat es doch auch einen Preis gewonnen. Die Goldene Zitrone für - das hässlichste Cover des Jahres. Nun gut, Herbert Grönemeyers Solo-Debüt „Grönemeyer“ (1979) ist tatsächlich auch musikalisch keine Glanzleistung. Sondern für ihn vermutlich in etwa so, wie wenn man als Kind eingesprochene Kassetten wiederentdeckt: bisschen peinlich, aber doch rührend. Und immerhin gehören auf „Grönemeyer“ enthaltene (nicht nur) aus heutiger Sicht völlig schräg klingende Nummern wie „Pompeji“ oder - um Gottes Willen, was für ein Text! - „Verflucht, es tut mir weh“ auch zu Herberts Gesamtwerk dazu. Also Material für eine Box, die Fans, wenn sie sie unter dem Christbaum finden, vor Glück Omas gutes Weihnachtsgeschirr zu Boden fallen lassen wird. „Alles“ vereint Studioalben, Livealben, Remix-Alben. Film-Soundtracks, seltene Tracks, Remix-Tracks. Englischsprachiges, Deutsches, Neue-Deutsche-Welle-Dada(da)ismus.
Herbert kann noch mehr
Das ist wie erwähnt in Wahrheit noch nicht alles. Dazu ist das Schaffen dieses erdigen Machers, der heuer seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, viel zu gewaltig. Herbert macht und kann ja auch Oper, Hörspiel, Ruhrpott-Hymne. Es alles aufzunehmen würde den Rahmen sprengen wie die Steiger früher den Zechen-Schacht.
Es ist die zweite Werkschau, nachdem er bereits 2008 das Doppelalbum „Was muss muss“ mit 36 Songs, die seine Karriere widerspiegelten, veröffentlicht hatte. Nun also die Gesamtbox. Hübsch verpackt ohne lästige CD-Hüllen, sondern in Buchform, die schwarzmatt schimmernden Scheiben in Schlitzen ins Papppapier geschoben. Tatsächlich neu sind nur die zwei „Live in Bochum“-CDs, Konzertmitschnitte der „Dauernd jetzt“-Tour von 2015. Doch das Erstaunliche ist: das Gefühl beim Anhören der schon so oft gehörten Musik, auch das ist neu. An Grönemeyer kam ja, wer in der Bundesrepublik nach 1980 geboren wurde, nicht vorbei. Keine Partykeller-Fete ohne „Männer“, kein Protestmarsch ohne „Kinder an die Macht“, keine Liebesballaden-Radioshow ohne „Flugzeuge im Bauch“. Das ist bis heute so.
Spätestens ab der Single „Mensch“ (2002), Grönemeyers erster Nummer-Eins-Hit überhaupt, scheint im Rückblick alles wie ein Selbstläufer. Es war der Beginn einer zweiten Karriere, die man von dem Milchgesicht, das einem auf besagtem furchtbaren CD-Cover aus den Siebzigern entgegenlächelt, nicht erwartet hätte.
Bekannte Klassiker und von Fans geliebte Ohrwürmer
Durch „Mensch“ gewann er Neuhörer, die vorher nie auf die Idee gekommen waren, sich „Zwo“ (1980), „Gemischte Gefühle“ (1983), „Sprünge“ (1986) oder „Bleibt alles anders“ (1998) ins Platten-Regal zu stellen. Was sie verpasst hätten, kann man nun - remastered - nachhören. Das bezaubernd trotzig-verliebte „Total egal“ (1982), das aufrüttelnde „Angst“ (1986), das sehnsuchtsvoll-treibende „Herbsterwachen“ (1988), das fordernde „Ich will mehr (1988), oder eine der schönsten musikalischen Liebeserklärungen überhaupt: „Morgenrot“ (1993). Dann natürlich die Klassiker. „Alkohol“, „Bochum“, „Musik, nur wenn sie laut ist“, „Currywurst“, "Was soll das".
Grönemeyer hat Songs geschrieben, „die nicht nur rausgeschickt wurden, sondern als Widerhall zurückkamen, tausendstimmig“, schreibt Joachim Hentschel in seinem von Nostalgie und Respekt für den Sänger durchzogenen, wunderbaren Essay imBegleitband der CD-Sammlung. Mit ihr möchte sich Grönemeyer bedanken, schreibt der Künstler selbst. Für „die unbegreifliche, unbedingte Zuneigung und Zuwendung von Euch, von so vielen Menschen, die uns und mich über all diese Jahre begleitet, angefeuert, unterstützt, bestärkt und vorangetrieben haben.“ Für die Liebe, für das Mitsingen, Mittanzen, Mitfeiern. Kurzum: für „alles“.
Herbert Grönemeyer:
„Alles“
23 Cd Box inkl. 68 Seiten Buch und Kunstdruck mit Foto des Künstlers
(Universal).