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Odysseus und die Gemetzel

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Von: Simone Dattenberger

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Wie rettet man sich aus der Charybdis? Odysseus (Sebastian Wendelin)  kämpft gegen den Sog des Mahlstroms und der Sinnlosigkeit. © Foto: Arno Declair

München - Simon Solberg inszenierte für das Münchner Volkstheater eine eigene Version der "Odyssee"

Noch zeigt sich der Star des Abends bescheiden. Dünn steht er als Stangenwald herum im Dunkel der Bühne, auf der Regisseur Simon Solberg seine Version von den Irrfahrten des Odysseus für das Münchner Volkstheater erzählen möchte. Am Sonntagabend hatte „Die Odyssee“ (90 Minuten) Premiere; Textbasis ist die Übersetzung des Homer-Epos’ von Johann Heinrich Voß. Die Musikalität seiner Hexameter-Nachempfindung ist Schauspieler- und Hörer-freundlich, wenn man sich nur einschwingt auf den Helden-Gesang – oder Abgesang.

Solberg setzt in seiner Bühnenadaption auf Letzteres. Dazu passt das karge Bühnenbild von Markus Pötter wundervoll. Und wundervoll spielt es mit der Fantasie, die Drama ist, die das Drama auslöst, die Drama zum Glück im Alltag macht. Jene Metallstangen werden zu Rudern von Odysseus’ Schiffen, zum Bug oder zur Segelrah, zum Speer oder Pfahl. Dazu Nebelgewaber, Lichteffekte vom Blendscheinwerfer oder von Taschenlampen und Massen an Plastikfolie. Auf die projiziert wird Jean-Luc Bubert zum Riesen Polyphem, bei Kirke (Luise Kinner) wird sie zum Chiton, und die Toten in der Unterwelt umhüllen sich damit als schlurfige Müll-Gestalten. Diese Bühne sagt aber auch: Hier wird etwas gezeigt, exemplarisch vorgestellt.

Für diese Inszenierung ist das nicht die tolle Abenteuergeschichte, die Homers „Odyssee“ auch ist, sondern vor allem eine Reihe von Gemetzeln. Bevor Odysseus (Sebastian Wendelin) und seine Gefährten (Jakob Geßner, Jean-Luc Bubert, Luise Kinner, Moritz Kienemann) als alerte Troja-Sieg-Manager in schwarzem Anzug und weißem Hemd (Kostüme: Claudia Irro) auftreten, gesteht der Held uns den „Jammer“, den er den Menschen gebracht habe. Troja ist geschleift; am Ende werden alle seine Männer tot sein – und viele weitere. Zunächst aber tritt die Truppe auf der ersten Etappe der mühseligen Heimreise bei den Kikonen noch als überhebliche Imperialisten auf, bis sie vernichtend geschlagen werden. Weiter geht es zu den Lotophagen, die sich mit Lotus eine verlockende Lebenswurstigkeit anessen, zu Polyphem, Kirke, den Sirenen, hindurch zwischen Skylla und Charybdis und hinab in den Hades.

Solberg lässt alle erfreulichen Begegnungen Odysseus’ konsequent weg: die hinreißende Kalypso, bei der der Mann viele Jahre blieb, die hilfreichen Götter Zeus, Athene, Aiolos und Hermes, die ebenso hilfreichen Menschen von den Phäaken bis zum Sauhirten daheim auf Ithaka. Die Regie schildert klug und nachdrücklich den Strudel aus Gewalt und Gegengewalt, der alle hinabzieht in Sinnlosigkeit und Verzweiflung. Deswegen ist der Mahlstrom Charybdis nicht nur ein schreckliches Naturphänomen, sondern Sinnbild der Aussichtslosigkeit, die Odysseus in der Unterwelt brutal bestätigt findet. Was heißt, dass sogar der Tod kein Ausweg ist. Selbst als das Meer ihn an der heimatlichen Küste ausspuckt, geht das Morden weiter, obwohl sich bei Solberg der Anti-Held nun dagegen sträubt.

So düster die Aussage der Inszenierung ist und so überüberüberdeutlich sie mit Videoschnipseln, Landkarten und Beschriftungen auf alte und natürlich heutige Kriege hinweist, so fetzig, teils albern, teils poetisch, so spielfreudig, so Körpertheater-satt geht sie über die Bühne. Jeder Schauspieler tritt zwischendrin mit dem Mikro vor die Zuschauer (bis in die zweite Parkettreihe) und berichtet in Hexametern den Stand der Dinge. Vor allem Geßner und Kienemann genießen sichtlich das Sprechvergnügen, setzen sangliche Elemente, die gut zu Michael Gumpingers mal donnernden Magenschwinger-, mal Zierlich-Klängen und zu anderen Songs passen. Die Truppe ist heutig und gibt doch nicht die Kraft des überzeitlichen Kunstwerks „Odyssee“ auf.

Allerdings vermögen die Schauspieler ihren Figuren wenig Individualität zu schenken. Das verhindert Simon Solbergs Lehrstück-Konzept. Immerhin ermöglicht es Sebastian Wendelin, seinen Odysseus vom geschäftsmäßigen Heerführer über einen relativ fürsorglichen „Chef“ bis hin zum verzweifelt die Sinnlosigkeit Erkennenden zu entwickeln. Der Künstler muss das in Blitzmomenten der Nachdenklichkeit schaffen – und packt’s.

Karten: Tel. 089/ 5 23 46 55.

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