„Das Auto ist die perfekte Leinwand“

Oberschleißheim – Der Mercedes-Oldtimer von Claus Müller, 54, ist kunterbunt bemalt. Drei Künstler aus Pakistan durften den Wagen in ihrer Landestradition verzieren. Ein Projekt für die Völkerverständigung.
Die Pyramiden von Gizeh stehen direkt neben dem Brandenburger Tor? In Erdkunde gäb’s für so eine Aussage eine glatte Sechs – aber sie stimmt. Nicht in Wirklichkeit, aber zumindest auf dem Auto von Claus Müller, 54. Genauer: Auf seiner „Heckflosse“, dem Mercedes 200, Baujahr 1966. Das klingt verrückt und ist es auch ein bisschen. Aber es ist eben auch wunderschön. Drei pakistanische Künstler haben den Oldtimer von Müller aus Oberschleißheim drei Tage lang bemalt – in deren jahrhundertealten, berühmten Tradition. Jetzt geht der Wagen auf Deutschlandtour.
Aber von vorne: Die Idee zum Kunstprojekt ist lange Zeit gereift. Müller war für ein Buchprojekt zuletzt auf der ganzen Welt unterwegs, um herauszufinden, wie das Oldtimer-Hobby in fremden Ländern gelebt wird. In Pakistan stößt er bei seiner Recherche auf das „Pakistani Truck Art“-Projekt. Das ist ein Zusammenschluss von rund 20 Künstlern, die die Tradition zur Verzierung von Fahrzeugen erhalten und sogar weltweit bekannter machen möchten. Für die Oldtimertage Fürstenfeldbruck kommen Ende September schließlich drei der Künstler nach Oberbayern und beginnen mit der Bemalung des Mercedes.
„Die ziehen freihand Geraden, da hat unsereins Schwierigkeiten mit dem Lineal“, sagt Müller. Im Vorfeld stellt er an die Künstler nur eine Bedingung: Sieben Wahrzeichen aus den sieben Ländern, die er besucht hat, müssen drauf aufs Auto. Sonst hatten sie freie Hand. „Das Auto ist

die perfekte Leinwand, da ist Platz drauf“, sagte Müller damals. „Das Projekt soll auch ein bisschen der Völkerverständigung dienen.“ Das Brandenburger Tor erstrahlt seitdem auf der Motorhaube, die Pyramiden von Gizeh auf der Beifahrerseite. Dazu kommen die Golden Gate Bridge aus San Francisco, der Teheraner Milad Tower, das India Gate aus Neu-Delhi, der Kuwait Tower und die Faisal Moschee aus Islamabad. Und viele, viele Farben.
Claus Müller kommt ins Schwärmen. Für ihn ist ein Auto eben mehr als ein Fahrzeug. Es ist Leidenschaft, Passion, Kunstwerk.
Als Berater rund um das Thema Oldtimer verdient Müller seit 30 Jahren sein Geld. Seine Begeisterung für alte Autos gibt es schon viel länger. Seit er 15 ist, also fast 40 Jahre lang, begeistert er sich für Motorräder, Reisen und Oldtimer – und zwar solchen, die noch vor dem zweiten Weltkrieg gefertigt wurden. „Nachkriegsautos sind für mich eigentlich keine Oldtimer, sondern Gebrauchtwagen“, sagt Müller und lacht. „Erst wenn sie älter sind als 80 Jahre, wird’s interessant.“
Überall auf der Welt findet er Menschen, die seine Vorliebe teilen. „Da werden Grenzen und Mentalitätsunterschiede aufgehoben“, sagt er. „Da sitzen dann Saudis, Araber, Pakistani, Amerikaner, Engländer und ich an einem Tisch.“ Pakistan zum Beispiel, erklärt Müller, sei mehr als Taliban und Terroristen, dort leben hauptsächlich lebensfrohen Menschen, die gerne in Frieden leben würden.
Diese Geschichte soll der bemalte Mercedes 200 transportieren. Deswegen soll ihn jeder sehen. Die vergangenen sechs Jahre stand das Auto nur in der Garage, der bisher größte Auftritt ist 13 Jahre her: 2002 nahm der Wagen an der mexikanischen „La Carrera Panamericana“ teil. Dem letzten echten Straßenrennen für Oldtimer, sagt der Oldtimer-Experte Müller. Das pakistanische Projekt war für ihn der perfekte Augenblick, die Rallye-Aufkleber zu ersetzen. „Die waren eh schon spröde.“
Zusammen mit der neuen Bemalung gab’s gleich eine Komplettsanierung. Müller stellt den Wagen nämlich gerade auf einer Oldtimermesse aus: Der „Motorworld Classics Berlin“. Auch Vertreter der pakistanischen Botschaft wollen dort vorbeischauen. Bevor die weite Reise in die Bundeshauptstadt losgehen konnte, spendierte Müller seinem Wagen unter anderem einen Ölwechsel und eine neue Autobatterie. „Der Service muss sein, nach sechs Jahren kann man nicht einfach los fahren“, erklärt er. „Das ist bei allen Autos gleich, egal, ob sie fünf, 50 oder 100 Jahre alt sind.“
Sebastian Dorn