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Das ist das Sorgen-weg-schreib-Häusl

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Eine „Ladestation für Seele, Körper und Geist“ soll das Häusl sein. Und so findet man es: Vom Parkplatz am Poschinger Weiher in Unterföhring läuft man Richtung Isar, eine Böschung hinunter zum Rad- und Fußweg entlang der Isar. Man folgt diesem Weg ein Stück nach links in Richtung München, bis man rechts sieben hohe Tannen sieht, die den Platz am Häusl markieren. © Dieter Michalek

Unterföhring – Ein Unterstand zum Sinnieren, versehen mit einem Büchlein, in das man seine Sorgen und Gedanken hineinschreiben kann: In Unterföhring an der Isar gibt es einen solchen Rastplatz. Entstanden aus einem alten Treffpunkt einer Familie und deren Freundeskreis.

Spaziergänger werden sich schon gewundert haben über das kleine Häusl an der Isar bei Unterföhring (Kreis München). Die Aufschrift an der weiß getünchten Ziegelwand fällt auf: „Ladestation für Körper, Geist und Seele“.

Zwischen Unterföhring und München steht am Isarufer die Hütte aus Ziegelsteinen, eigentlich mehr ein Unterstand: Zum Verweilen laden rot-weiß gemusterte Sitzkissen ein. Es ist still, ab und zu kommt ein Radfahrer oder ein Fußgänger vorbei. Hohe Tannen überragen die

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Ausgelassen hat in den 60er Jahren die Familie Hofstetter hier gespielt und gefeiert. Alte Fotos erinnern daran.

liebevoll eingerichtete Baracke, und es riecht nach Wald. Zwei Tischchen und ein Buch wirken wie eine freundliche Geste, Platz zu nehmen. Und viele Spaziergänger lassen sich darauf ein, blättern im „Besucherbuch“ und schreiben anonym ihre Gedanken hinein, ein paar Sätze davon, was sie auf ihrem Spaziergang in der stillen Natur beschäftigt hat, was sie bewegt: Ängste, Bitten oder ein Dank.

Einer schreibt: „Ich sorge mich sehr, dass ich im Alter arm und wirklich mittellos sein werde.“ Ein anderer Eintrag, vermutlich von einer Frau, lautet so: „Wollte morgen eigentlich kündigen. Streit im Büro (Mobbing). Zwanzig Minuten in dem Häusl haben mich wieder aufgerichtet.“ Und ein paar Seiten weiter: „Hurra, hurra. Alles gut. Meine Kollegin hat sich allerliebst entschuldigt.“

„Oft schreiben sich Menschen ihre Sorgen von der Seele, weil sie in einer Krise stecken“, sagt Walter Hofstetter. Der Polizist aus Freimann hat das Häusl hergerichtet, denn viele Jugenderinnerungen hängen an der Hütte, die Freunde und Verwandte vor 50 Jahren unter den nachsichtigen Augen des damaligen Flussmeisters als Schwarzbau errichteten. In den sechziger Jahren traf sich seine

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Der kleine Bub (hintere Reihe 2.v.r.) ist Walter Hofstetter. Mit seiner Familie war er früher oft am Häusl.

Familie zum Grillen, Spielen und Baden an der Isar. Ausgelassen und gesellig waren diese Wochenenden am Häusl. Immer wieder kam Hofstetter hierher, hielt Rückschau, räumte die Hinterlassenschaften von Obdachlosen auf, die auf der Sitzbank nächtigten: „Ich bin der Letzte von der Bande“, sagt der 57-Jährige, da wollte er das Häusl nicht verfallen lassen. „Es regnete rein, das Dach war undicht.“

Also begann er, die Wände zu streichen und Unkraut zu jäten. Dass auch andere Menschen den Platz zur Einkehr nutzen, fiel ihm auf, als er beim Aufräumen ein Marmeladenglas an der Sitzbank fand. „Da hatte jemand einen Brief reingesteckt“, erzählt Hofstetter. „Wahrscheinlich eine Frau vom Land. Sie schrieb, dass sie eine neue Stelle in der Stadt gefunden habe, dass sie nicht wisse, ob sie mit den Kollegen zurechtkommen würde. Und diese Sorgen hat sie hier deponiert.“ Und sich vielleicht davon befreit, sinniert Hofstetter.

So kam ihm die Idee: Als Angebot für andere legte er das „Sorgen-weg-schreib-Buch“ ins Häusl und staunt, wie viele Einträge es inzwischen enthält. „Die Menschen lesen darin und stellen fest: Ich bin nicht der einzige, der Probleme hat, schon das kann trösten.“ Hofstetter hat eine Laterne ins Häusl gestellt, hängte alte Fotos von den geselligen Familientreffen an die Wand und ließ auch eine Wanderkarte da.

Verwundert stellt er fest, dass auch andere etwas hinterließen: Leute stellten Kerzen und Figürchen auf, legen Nüsse oder Steine ab, „und es kommt nichts weg“, staunt der Polizist. Viele Menschen freuen sich über das „Wohnzimmer“ an der Isar.

In der Stille zitierte jemand aus der „Mondnacht“ von Joseph von Eichendorff: „Meine Seele spannte weit ihre Flügel auf, zog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.“ Und ein anderer schrieb eher prosaisch : „Ich finde es total wunderbar hier, ein nettes Refugium zum Lauschen, Schreiben und Nachdenken, wie eine Haltestelle, aber ohne Bus und ohne Zug! Also viel ruhiger. Dankeschön.“

Charlotte Borst

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