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„Für eine neue Stadt tritt selten jemand ein“

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Von: Moritz Homann

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Anstoß für viele Diskussionen: Die zerklüftete Fassade für den neuen Königshof am Stachus, den die spanischen Architekten Nieto Sobejano entworfen haben.
Anstoß für viele Diskussionen: Die zerklüftete Fassade für den neuen Königshof am Stachus, den die spanischen Architekten Nieto Sobejano entworfen haben.

München - Ist München zu ängstlich für moderne und ungewöhnliche Architektur? Einige Experten fordern, es müssten gerade in der Altstadt wieder Experimente möglich sein. Einer von ihnen ist der Architekt und Professor Ludwig Wappner. Ein Gespräch über fehlendes Vertrauen, Renditezwänge und die Träume eines Münchner Architekten.

Sie sagen, in Münchens Zentrum findet man ungewöhnliche Architektur oft deplatziert. Wo genau liegt das Problem?

Es fehlt ein oft notwendiges Maß an Fortschrittsglaube. Und es fehlt das Vertrauen, ohne Angst beim Bauen nach vorne zu schauen. Man greift gerne wieder auf das Vertraute zurück, fühlt sich da argumentativ sicher und konsensfähiger in der öffentlichen Meinung.

Wo konkret ist München zu mutlos?

Man verwendet derzeit bei der Beurteilung neuer Projekte in der Altstadt gerne das bewahrende Ensemble gegen das eigenständige Objekt. Beim Königshof sagen Kritiker dann, der füge sich nicht in die Umgebung ein. Aber der Justizpalast war zu seiner Entstehungszeit auch so ein eigenständiger Bau. Deshalb sollte man auch der ambitionierten Architektur des neuen Königshofs die Chance geben, sich einzufügen.

Viele Bürger finden das Neue am Königshof nicht so super.

Das Neue ist ja erstmal das Ungewöhnliche. Gegen unseren Entwurf für die Herz-Jesu-Kirche in Neuhausen sind damals auch viele Bürger und Fachleute Sturm gelaufen. Heute aber haben sich diese Wellen gelegt und die Besucher sind durchweg begeistert. Man muss jedem guten Gebäude die Zeit geben, sich einzufügen.

Muss man als Architekt dann auch gegen den Bürgerwillen einfach mal was hinstellen, an das sich die Menschen dann gewöhnen?

Das klingt nun sehr egozentrisch. Aber wir sollten wie die zeitgenössische Musik und die Kunst auch in der Architektur mit neuen Konzepten und Innovationen überraschen dürfen. Wir werden mehr und mehr zu einer multikulturellen Gesellschaft. Das sollte sich auch mit gekonnten Brüchen in der Architektur widerspiegeln.

Als zu ausdruckslos kritisiert Architekt Ludwig Wappner viele Neubauten in der Innenstadt.Und das passiert im Moment nicht?

Als zu ausdruckslos kritisiert Architekt Ludwig Wappner viele Neubauten in der Innenstadt.
Als zu ausdruckslos kritisiert Architekt Ludwig Wappner viele Neubauten in der Innenstadt.

Wir haben im Moment zu viel Ausdrucksloses. Das wird vielfach nur noch aus ökonomischen Gründen errichtet, aber es stört sich auch niemand wirklich dran. Aber an einzelnen, ungewöhnlichen Objekten entzündet sich dann recht schnell eine Diskussion, bei der es heißt, das lebenswerte München werde zerstört. Aber auch große Baumeister wie Klenze, Gärtner oder Fischer haben in der Innenstadt Neues geschaffen. Jede Stadt braucht auch Offenheit für ungewöhnlich Neues. Diese Brüche machen gerade bekannte europäische Altstädte so lebenswert.

Woher kommt diese konservative Sichtweise in München?

Einerseits ist das ein träumerischer Blick zurück. Andererseits ist es ein Marketinginstrument. Die Innenstadt ist ein weltweit bekannter Tourismusmagnet. Viele Besucher nutzen die Stadt wie einen Freizeitpark, toben sich aus und sind dann wieder weg.

Das berühmte Disneyland, das auch andere kritisieren.

So weit würde ich nicht gehen. Aber es werden leider zu oft gut vermarktbare Gebäude gebaut, um sie kurzfristig zu Höchstpreisen zu verkaufen. Und da fährt man mit den kulturellen Werken der Vergangenheit derzeit besser als mit der bösen Moderne, wie sie viele sehen. Man umschifft damit die Widerstände des Bildungsbürgertums, das in vielen Städten mit Argusaugen über jede Veränderung wacht. Die widerstandserprobten Altstadtfreunde. Für eine neue Stadt tritt derzeit selten jemand ein.

Was ist der Ausweg aus diesem Dilemma?

Wir müssen uns fragen, wie wir das baukulturelle Erbe unserer Stadt definieren. Wie wir es bewahren, aber auch zukunftsweisend weiterentwickeln. Wer legt das letztlich fest? Mir geht im Moment die Avantgarde verloren, die natürlich Aufruhr bedeutet, aber auch für Pluralität steht. Wir haben ja tolle Beispiele für neue Architektur: Die Fünf Höfe oder den Jakobsplatz, mit der modernen Interpretation einer Synagoge.

Sie sitzen in der Stadtgestaltungskommission, können dort aber nur Empfehlungen geben. Ist das nicht frustrierend?

Nein. Ärgerlich ist es nur, wenn trotz guter Ratschläge für die Planungen am Ende etwas anderes herauskommt. Hier könnte die Stadt stärker auf eine Verbindlichkeit der Empfehlungen pochen, um das Tafelsilber der Stadt so qualitätsvoll wie möglich zu entwickeln.

Muss die Stadt selbstbewusster auftreten?

München muss sich nicht verbiegen. Viele andere Städte sind um jeden Investor froh und müssen Angebote machen. München dagegen kann Auflagen machen und Wettbewerbe verlangen.

Generell hat München doch auch viel interessante Architektur zu bieten, das Museum Brandhorst beispielsweise. Jammert man nur auf hohem Niveau?

Klar, München ist eine wunderbare Stadt. Aber auch sehr wertkonservativ, deshalb ist Veränderung nicht einfach. Andererseits wurde München erst durch Olympia 1972 und vor allem das Olympiagelände zur Weltstadt. Das waren echte Zukunftsvisionen. Etwas zu bauen, bei dem man nicht wusste, ob es funktioniert. Das ist heute kaum mehr konsensfähig zu erreichen.

Haben wir überhaupt noch den Raum für Visionen?

Heute muss leider alles doppelt und dreifach abgesichert sein. Alles muss vorhersehbar sein, Experimente beim Bauen wagt kaum noch jemand.

Wo hat München in den vergangenen Jahren Chancen vergeben, um sich moderner aufzustellen?

Die Schrannenhalle ist so ein Beispiel. Das geschlossene Hallenkonzept neben dem Viktualienmarkt funktioniert irgendwie nicht, es fehlt das Flair offener Markthallen. Als nächstes Großprojekt steht ja der Umbau der Alten Akademie an der Neuhauser Straße an. Interessanterweise machen sich die temporären Läden dort richtig gut im Bestand. Daran könnten sich Investoren mal ein Beispiel nehmen, und nicht an den immergleichen Vorgaben der internationalen Konzerne.

Wie gefällt Ihnen denn die Münchner Fußgängerzone insgesamt?

Das ist ja leider im Kern nur noch eine Kommerzmeile, weit weg vom Ursprungskonzept. Es sind ja auch wenige Münchner, die da scharenweise am Wochenende unterwegs sind, sondern eher Tagestouristen. Die sehen die Stadt natürlich anders als die Bewohner. Am angenehmsten sind mittlerweile die neuen Parallelwege zur Fußgängerzone.

Es scheint immer noch offen zu sein, ob wir einen neuen Konzertsaal bekommen. Könnte das auch ein architektonischer Höhepunkt werden?

Ein zweiter Konzertsaal wäre schon eine sinnvolle Investition für diese Stadt. Es wäre aber interessant, ihn nicht verzweifelt in Filetlage platzieren zu wollen, sondern ihn bewusst als Initial für ein weniger frequentiertes Quartier zu setzen. Beispielsweise nach Riem oder nach Freiham als Katalysator für die Entwicklung.

Jetzt wird aber erstmal weiter diskutiert.

Irgendwie geht derzeit bei Großprojekten nichts mehr so richtig voran. Man fährt leider immer noch zum Flughafen mit einer S-Bahn, die in jedem Dorf hält. Es gibt keinen Expresszug wie in jeder europäischen Metropole. Diskutiert wird endlos, aber es passiert nichts.

Wo halten Sie sich denn in München richtig gerne auf?

Ich gehe sehr gerne samstags mit meiner Frau am Ende eines Stadtspaziergangs ins Stadtcafé am Jakobsplatz. Das ist seit der Neugestaltung ein wirklich lebenswerter und städtischer Ort. Aber auch das Olympiadorf und den Olympiapark, wo wir schon lange wohnen, mag ich sehr.

Was würden Sie für München gerne mal entwerfen?

Wir würden uns gerne mal mit einem Theater oder einer Oper beschäftigen. Das sind besondere Entwürfe mit hoher atmosphärischer Wirkung. Gegen den zweiten Konzertsaal für München hätten wir natürlich auch nichts einzuwenden. Wir lieben Gebäude, die zu Diskussionen anregen.

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