25 Jahre Münchner Tatort: Batic und Leitmayr feiern Silberhochzeit

München - Sie sind ein Paar, seit 25 Jahren: die Münchner Tatort-Kommissare Batic und Leitmayr. Kein Team in der Krimireihe hat mehr Fälle aufgeklärt. Warum ist das so? Ein Drehbesuch zur Silberhochzeit.
Update vom 4. September 2015: Nach der Sommerpause startet wieder die Tatortreihe der ARD. Die Fans können sich auf zahlreiche neue Fälle der Ermittler freuen. Wir haben vorab schonmal die interessantesten Informationen zu den neuen Tatort-Fällen gesammelt. Doch Vorsicht, hier lauert Spoiler-Gefahr.
Isar-Stauwehr in Oberföhring, grad haben sie eine Leiche gefunden. Also keine echte Leiche, sondern eine Fernsehleiche. Eine Tatort-Leiche, um genau zu sein. Wir sind mitten im Dreh. Tatort-Leichen und ganz besonders Münchner Tatort-Leichen, aber das nur am Rande, zählen zu den Ferraris unter den Fernsehleichen. Wer es ins eiskalte Isarwasser geschafft hat oder im Glockenbachviertel zu Filmzwecken erschlagen wird, der hat es geschafft. Der hat einen Platz im weiß-blauen Krimi-Himmel sicher – und das noch zu Lebzeiten. Nirgends ist sterben schöner. Nirgends blutet München schöner.
Das hängt natürlich damit zusammen, dass so eine Tatort-Leiche die unbezahlbare Ehre hat, von zwei anderen Ferraris, nämlich zwei Ferraris unter den Tatort-Kommissaren, betreut zu werden. Die beiden heißen Franz Leitmayr und Ivo Batic oder im richtigen Leben Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec, aber da sind die Übergänge fließend. Das werden wir gleich noch sehen. Die beiden ermitteln heute wieder. Sie ermitteln noch immer. Eigentlich ermitteln sie die ganze Zeit, meint man. Man sieht sie ja schließlich oft genug im Fernsehen, manchmal nur als Wiederholung, aber sogar die schauen sich Millionen an.
Heute drehen sie ihren 72. Fall, kein anderes Team in der Reihe hat mehr auf dem Buckel. Der Titel des Tatorts, bei dem es um den Mord an einer rumänischen Prostituierten, einen Haufen Ermittlungsfehler und noch mehr Tote geht, zum Beispiel um den jungen Mann, der gerade am Isarwehr gefunden wurde: „Mia san jetzt da, wo’s weh tut“. Erstausstrahlung: Frühjahr 2016.
Tatort München: Batic und Leitmayr feiern Tatort-Silberhochzeit
Die beiden Ermittler sind noch längst nicht da, wo es weh tut. Sie sind da, wo man Champagner braucht. Batic und Leitmayr feiern ihr 25-jähriges Jubiläum, ihre silberne Tatort-Hochzeit. Nur Kollegin Lena Odenthal aus Ludwigshafen ermittelt länger (einmal übrigens auch in München). Es gibt Fernsehnamen, die kriegt man nicht mehr weg, auch nicht im echten Leben, die kleben an einem. Monaco Franze, Professor Brinkmann, Mutter Beimer. Das ist die Liga, in der Leitmayr und Batic inzwischen spielen. Was natürlich ein gigantisches Lob ist.
Franz Leitmayr also Udo Wachtveitl hat gerade Drehpause. Er sagt: „Die Leute stellen eine virtuelle Nachbarschaft her. Das ist eine unglaubliche Wertschätzung. Man macht ja nicht jeden zum Nachbarn.“
Will heißen: Als Tatort-Kommissar gehört man irgendwann zur Familie. Deutschland adoptiert einen, zumindest für 90 Minuten zur Hauptsendezeit am Sonntag. Mit jeder Folge lernt der Zuschauer den Kommissar und seine Macken ein bisschen besser kennen. So lange bis man glaubt, dass es diesen Menschen wirklich gibt. Ganz Fernseh-Bayern steht kurz vorm Kollaps, als 2014 ein Tatort damit endet, dass Leitmayr leblos am Boden liegt, ein Messer im Rücken. Der wird ja wohl nicht sterben! Das war die Sorge in den Wohnzimmern von Garmisch bis Warnemünde.
Würden Leitmayr und Batic bei einer bayerischen Landtagswahl antreten, jede Wette drauf, sie würden zumindest den SPD-Kandidaten um Längen schlagen. Einmal, das war 1994, haben die Münchner Ermittler sogar einen Gastauftritt in der „Lindenstraße“.

Sie treten mit einer Unicef-Spendendose in der Hand auf – bis sie das Lindenstraßen-Urgestein Amélie von der Marwitz anmault: „Aber Sie gehören doch gar nicht in diese Straße. Sie sind doch die Kommissare Leitmayr und Batic.“ Hahaha, serienübergreifender Humor. Selbstironie, ein seltenes Ereignis in Deutschlands öffentlich-rechtlichem Fernsehen.
Dabei beginnt alles mit einem Missverständnis. Nach den Tatort-Legenden Gustl Bayrhammer und Helmut Fischer und kurzen, sehr kurzen Übergangs-Kommissaren danach sucht der BR unverbrauchte Gesichter für den Tatort: Er entdeckt Wachtveitl, Jahrgang 1958, und Nemec, Jahrgang 1954. Und lädt sie 1989 in einen Münchner Biergarten ein. Zum Casting. Beide glauben, es gebe nur eine Kommissar-Rolle zu vergeben. Also, so geht die Legende, schaukeln sich beide gegenseitig in die Höhe. Sie prahlen und preisen sich selber an. Denn viel berühmter als ein Tatort-Kommissar kann man im deutschen Fernsehen nicht werden. Es gibt Tatort-Folgen, da haben Batic und Leitmayr später Quoten, die sonst nur Spiele der Nationalmannschaft erreichen. Nemec, geboren in Kroatien und aufgewachsen in Freilassing, soll sein Bier damals im Biergarten sogar auf Extrem-Bairisch bestellt haben – um zu zeigen, wie sehr die Rolle eines Münchner Kommissars zu ihm passt. Dabei hatten sie sie beide schon längst sicher. Der Bayerische Rundfunk setzte auf ein Duo. Ein Glücksfall für alle Beteiligten. Kurios: Einen Vertrag gibt es bis heute nicht, es gilt der Handschlag.
Die Münchner erkennen ihre Stadt im Münchner Tatort wieder
Das Erfolgsrezept? Vor ein paar Jahren hat Nemec mal gesagt: „In München haben wir immer versucht, das speziell Münchnerische zu betonen.“ Auch wenn die Kommissare auf der Wiesn im „Amperbräuzelt“ ermitteln, das es in Wirklichkeit gar nicht gibt, oder im Knast „St. Adelheim“ – die bayerischen Zuschauer und ganz besonders die Münchner sitzen dann vor dem Fernseher und erkennen ihre Straße, ihr Viertel, ihre Stadt wieder. Und die Menschen, die hier leben.
Im Tatort kommen Söhnchen in Sportwagen vor, Standlbesitzer am Viktualienmarkt, Botox-Ladys in Vorort-Villen, verlorene Seelen in Messie-Wohnungen, einsame Rentner und Polizisten, die nach der Schicht noch schuften, damit sie sich die Stadt leisten können. München eben – das neue München, aber auch das alte, mit seinen Originalen. Wachtveitl sagt: „Es gab eine Zeit, in der jede Nebenrolle für jeden Schleswig-Holsteiner verständlich sein musste.“ Heute darf’s auch mal krachert Bairisch sein.
Noch eine Sache macht die Kommissare zu Quoten-Helden, Stichwort Verbrechensstatistik. München ist eine wunderbare Stadt, und das liegt auch daran, dass sie im Vergleich mit anderen Großstädten sehr sicher ist. Andererseits ist das auch, ja mei, langweilig. Aber: So ein bisserl Einblick in die Kriminalität vor der Haustür, mal sehen, was abgeht im Rotlichtviertel, das es ja auch in Wirklichkeit gibt. Das ist Nervenkitzel, Verbrechen dahoam, aber ohne, dass sich jemand weh tut.
Die Themen sind immer auch ein Spiegel der Probleme, die es selbst im gesegneten München gibt: Drogen, Grundstücksspekulationen, Gentrifizierung, Prostitution, Bettlerbanden. Und manchmal verwischen die Grenzen zwischen Film und Wirklichkeit. In ihrem ersten Tatort, Ausstrahlung Neujahrstag 1991, ermitteln Batic und Leitmayr gegen einen gewissenlosen Kosmetikhersteller: Es geht um Tierfänger, Tierversuche. In unserer Zeitung meldet sich damals ein echter Kosmetikhersteller zu Wort und schimpft: „Rufschädigend.“
Tatort München: Wachtveitl hat sich seine Folgen noch nicht angeschaut
72 mal haben Batic und Leitmayr Verbrecher durch die Stadt gejagt, aber eines mag Wachtveitl bis heute nicht: sich selber im Fernsehen sehen. „Ich habe alle unsere Folgen aufgenommen“, sagt er. „Irgendwann traue ich mich auch, sie anzuschauen.“ Da dreht sich Nemec zu ihm um und sagt: „Wenn ein Schreiner einen Tisch macht, dann muss er sich ihn auch anschauen.“
Heute werden sie das nicht mehr ausdiskutieren, sie müssen weiter, vom Isarwehr in die Zenettistraße, Schlachthofviertel. Es gibt neue Hinweise auf den Mörder.
Stefan Sessler und Carina Zimniok