Originalmeldung vom 1. Juli:
Berlin - Wo die eine Seite eine Verletzung des Urheberrechts erkennen kann, sieht die andere Seite lediglich eine Schmutzkampagne gegen eine Kanzlerkandidatin. Die Plagiatsvorwürfe, die gegen die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock erhoben wurde, ziehen weiterhin ihre Kreise im politischen Establishments der Bundesrepublik. Baerbocks Partei bezeichnete die Vorwürfe gegen ihre Spitzenkandidatin als Rufmord und schaltete den renommierten Medien-Anwalt Prof. Dr. Christian Schertz ein, der angab, bei Baerbocks Buch „nicht im Ansatz eine Urheberrechtsverletzung“ zu erkennen.
Zu einer zumindest in Teilen anderen Einschätzung kommt der Berliner Medienanwalt Paul W. Hertin, der die Vorwürfe vor allem mit Bezug auf eine Passage für begründet hält. „Die Textstelle von Seite 219 in dem Buch von Frau Baerbock, in der sie den US-Wissenschaftler Michael T. Klare zitiert, ohne ihn als Quelle zu nennen, ist eine klare Verletzung des Urheberrechts. Da besteht überhaupt kein Zweifel“, erklärt Hertin gegenüber focus.de.
Wie der Anwalt weiter erklärt, läge das vor allem auch daran, dass in den Passagen, die Baerbock von Klare übernommen haben soll, eine „ausreichende schöpferische Eigenleistung“ stecke, welche einer Nennung von Quellen bedarf. Die Grünen hatten auf die Vorwürfe unter anderem mit dem Argument reagiert, dass die kritisierten Textstellen in Baerbocks Buch „Jetzt: Wie wir unser Land erneuern“ allgemeingültige Aussagen enthalten würden, die keiner Zitation bedürfen.
Die von Hertin angesprochenen Passage soll Baerbock in ihrem Buch aus einem Aufsatz des US-Politikwissenschaftlers Klare übernommen haben, der 2019 in der Fachzeitschrift „Internationale Politik“ erschien. Gegenüber bild.de gab der Autor an, dass er von Baerbock nicht kontaktier worden war: „Mir war nicht bewusst, dass Teile meines Artikels in ‚Jetzt. Wie wir unser Land erneuern‘ veröffentlicht wurden, und ich wurde nicht von der Autorin oder ihrem Team kontaktiert, um die Erlaubnis zur Verwendung des Artikels in diesem Buch zu erhalten.“
Zusammenfassend stuft Hertin, in dessen Kanzlei auch Baerbocks Anwalt Schertz zwei Jahre gearbeitet hatte, die zu beanstandeten Textstellen jedoch als „nicht so weltbewegend“ ein. „Gemessen an 240 Seiten ist der Anteil der strittigen Textpassagen, als gering einzuschätzen, zumal die Passagen selbst alle auch eher kurz sind“, erklärt der Medien-Anwalt. Auch bestätigt er die Argumentation der Grünen, wonach die Passagen zum Teil auch allgemein bekannte Aussagen enthalten würden, bei denen deshalb keine Verletzung des Urheberrechts bestehen würde. (fd)