1. Startseite
  2. Politik

Groteske Not 600 Kilometer von München: Knapp tausend Geflüchtete obdachlos - Groß-Unterkunft steht leer

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Florian Naumann

Kommentare

Obdachlose Migranten verlassen das Flüchtlingscamp Lipa in Bosnien, um umgesiedelt zu werden
Obdachlose Migranten verlassen das Flüchtlingscamp Lipa in Bosnien, um umgesiedelt zu werden - wenig später mussten sie zurückkehren. © Kemal Softic/dpa

Deutschland bleibt zu Silvester 2020 im Warmen. Das würden sich hunderte Menschen in Bosnien wünschen: Sie sind obdachlos - obwohl ein Lager bereitstünde. Helfer wollen das Schlimmste verhindern.

München/Bihac - Auch in Deutschland wurden schon fröhlichere Jahreswechsel gefeiert als im Lockdown-Silvester 2020. Doch wenige hundert Kilometer von der Millionenstadt München entfernt haben knapp tausend Menschen ein ganz anderes Problem - sie würden sich wohl einen Lockdown im Warmen wünschen.

Nahe der bosnischen Stadt Bihac an der kroatischen Grenze sind zuletzt mitten im Winter hunderte Geflüchtete ohne Obdach geblieben. Offenbar werden sie auch den Jahreswechsel bei winterlichen Temperaturen unter freiem Himmel verbringen müssen. Angesichts der dramatischen Lage hat die EU-Kommission nun einen Appell an die Behörden in einem der ärmsten Länder Europas gesendet.

Denn eine Lösung wäre eigentlich greifbar: „900 Menschen brauchen dringend Unterkunft. Sie können nicht unter bitteren Winterverhältnissen im Freien gelassen werden, wenn ein voll ausgestattetes Camp verfügbar ist“, twitterte der Hohe Vertreter für Außenpolitik, Josep Borrell. „Es ist klar, dass die praktische und unmittelbare Lösung ist, das Aufnahmezentrum in Bira wieder zu öffnen“, erklärte auch Innenkommissarin Ylva Johansson am Donnerstag in Brüssel. Tatsächlich scheint ein Teil der Schwierigkeiten hausgemacht.

Lager Lipa/Bosnien: Organisation räumt Camp ohne Ersatzunterkunft - Feuer und Chaos folgen

Das Camp Lipa bei Bihac war vor einer Woche von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) geräumt worden, weil die bosnischen Behörden es nicht winterfest gemacht hatten. Doch war zunächst auch kein Ersatz angeboten worden. Mehr als tausend Flüchtlinge und Migranten waren in dem unwirtlichen Gelände 25 Kilometer südöstlich von Bihac unter freiem Himmel gestrandet. Einige junge Männer hatten bei der Räumung aus Wut Zelte und Container in Brand gesetzt.

Eine geplante Verlegung in ein Lager nahe der Hauptstadt Sarajevo war in dieser Woche zunächst gescheitert. Busse, die die Menschen am Dienstag hätten abtransportieren sollen, standen am Mittwoch immer noch in der Nähe des Lagers Lipa, wie das bosnische Nachrichtenportal klix.ba berichtete. Die Migranten verbrachten die Nacht in den Fahrzeugen und zeigten Zeichen der Nervosität, hieß es in den Berichten.

Grund der Verzögerung sind Proteste von Bewohnern der Kleinstadt Konjic, 45 Kilometer südwestlich von Sarajevo, wo die Migranten hingebracht werden sollen. Die bosnische Regierung teilte ihnen eine ehemalige Armeekaserne im Ortsteil Bradina als neue Unterkunft zu.

Geflüchtete über Silvester in Bosnien in Not: EU appelliert - und verspricht Unterstützung

Der Ministerrat von Bosnien-Herzegowina habe am Donnerstagmorgen bestätigt, dass auch aus seiner Sicht die Wiederöffnung des Zentrums in Bira am Stadtrand von Bihac nun die bevorzugte Lösung sei, erklärte Johansson. „Wir rufen die nationalen und lokalen Behörden in Bosnien auf, zusammenzuarbeiten, um diesen Menschen das Obdach zu geben, das sie verdienen“, fügte sie hinzu.

Die EU habe bereits finanzielle Unterstützung gegeben und weitere zugesagt. So könne die Not der im Schnee gestrandeten Menschen gelindert werden, erklärte Johansson. Die EU hat dem Balkanstaat seit 2018 insgesamt rund 85,5 Millionen Euro an Hilfen zur Bewältigung der Flüchtlingslage gezahlt.

Bosnien: Schlafsäcke und warme Kleidung für die Winternacht - „Das ist keine Lösung“

In der Zwischenzeit verteilen Hilfskräfte nahe des teils abgebrannten Lagers als Nothilfe Gegenstände wie Winterkleidung, Schlafsäcke und Essen, wie der Chef der IOM-Mission für Bosnien, Peter van der Auweraert, am Donnerstag twitterte. „Das reduziert das Leid, aber es ist keine Lösung“, stellte er klar.

Bihac und der Kanton Una-Sana liegen nahe der Grenze zum EU-Staat Kroatien. Viele Flüchtlinge und Migranten zieht es dorthin in der Hoffnung, in die Europäische Union zu gelangen. Allerdings gibt es in Bosnien auch Vorwürfe, Serbien schiebe Migranten gezielt nach Bosnien ab - möglicherweise, um den Staat zu destabilisieren. Bosnien ist auch Jahre nach dem Jugoslawien-Krieg noch tief gespalten.

Probleme gibt es unterdessen weiter auch auf der Insel Lesbos. Dort hatten unlängst Geflüchtete selbst mit einem Brandbrief Alarm geschlagen. Insgesamt leben mehr als 17.000 Menschen in Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln - 7200 davon allein im Registrierlager bei Kara Tepe. Die griechische Regierung will nach der Zerstörung des Camps Moria die Errichtung eines neuen Flüchtlingslagers auf Lesbos beschleunigen. 

Flüchtlingsnot zum Jahreswechsel: In Afghanistan offenbar 300.000 Kinder in großer Gefahr

Krieg, Flucht und Vertreibung sorgen allerdings im Winter 20/21 nicht nur in europäischen Lagern für schlimme Zustände. In Afghanistan sind nach Einschätzung der Organisation Save The Children mehr als 300.000 Kinder von Krankheit oder Tod bedroht.

Der anhaltende Konflikt in dem Land habe viele Häuser zerstört und Tausende von Kindern gezwungen, in Obdachlosenlagern unterzukommen, teilten die Helfer mit. Eltern hätten oftmals kein Geld, um Winterkleidung zu kaufen - in den kältesten Teilen Afghanistans könne die Temperatur auf bis zu minus 27 Grad Celsius sinken. (dpa/fn/AFP)

Auch interessant

Kommentare