Jürgen Todenhöfer: So haben wir vom Islam profitiert

München - In einem Interview spricht Jürgen Todenhöfer über ein falsches Islambild, das im Westen verbreitet sei. Und kritisiert die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg gegen den IS.
Im Gespräch mit dem Interview-Magazin "Galore" (Ausgabe 11 jetzt im Handel) spricht der streitlustige Publizist Jürgen Todenhöfer über die Intentionen des IS, über mögliche Gegenmaßnahmen, westliche Politik und die Kritik an der eigenen Person. Und kritisiert ein seiner Meinung nach historisch falsch gewachsenes Bild vom Islam im Westen.
Todenhöfer betont, dass die Wissenschaft der "Orientalistik" in den westlichen Ländern über 200 Jahre lang das Bild der islamischen Hochkultur systematisch verdüstert habe. Als Quelle dient ihm das umstrittene Buch "Orientalismus“ des US-Literaturtheoretikers Edward Said. Jürgen Todenhöfer: "Die islamische Hochkultur war dem Abendland jahrhundertelang turmhoch überlegen. Aber man wollte natürlich nicht zugeben, dass die Zivilisation des Abendlands Jahrhunderte lang 'islamisiert' worden war. Wir haben lange von den Erkenntnissen der großen Wissenschaftler und Naturforscher der islamischen Welt profitiert. Dieses historische Erbe wollte man nicht anerkennen." Die Herabstufung der muslimischen Welt habe den westlichen Ländern einen Vorwand geliefert, diese zu kolonisieren, zu beherrschen und angeblich zu zivilisieren. Und ein negatives Islam-Bild wirke noch heute nach, meint Todenhöfer. "Dieses über zwei Jahrhunderte geprägte Bild, dass wir die Großartigen, die Übermächtigen und die kulturell Leistungsfähigeren wären, sitzt noch in den Köpfen vieler Leute. Das nennt man Rassismus."
Jürgen Todenhöfer: Darum schließen sich Männer dem Islamischen Staat an
Jürgen Todenhöfer, der Mitte Dezember 2014 durch das Gebiet des „Islamischen Staates“ reiste (und die Eindrücke später in seinem Bestseller-Buch "Inside IS - 10 Tage im 'Islamischen Staat" verarbeitete), nennt mehrere Motive, die Menschen dazu treiben, sich der Terrormiliz anzuschließen. "Erstens: Die meisten ausländischen IS-Kämpfer fühlen sich in ihren Herkunftsländern als Muslime massiv diskriminiert. Zweitens sehen sie, dass der Westen die islamische Welt in Kriegen wie dem Irak-Krieg barbarisch behandelt hat. Drittens finden sie, dass es gegen diese rechtswidrige Behandlung ein Widerstandsrecht gibt."
Für den IS sind Morde, Anschläge und Versklavung ein legitimes Mittel des Widerstandes gegen vermeintliche Ungerechtigkeiten. Eine Sichtweise, die Jürgen Todenhöfer unter keinen Umständen teilen kann: "Sie vergessen leider völlig, dass Widerstand nur Notwehrmaßnahmen erlaubt, aber nicht, unschuldigen Menschen den Kopf abzuschneiden, sie zu versklaven oder zu vergewaltigen."
Neben dem Gefühl, Teil einer apokalyptischen Schlacht zwischen Gut und Böse zu sein, gebe der IS jungen Männern auch die Möglichkeit ihre Phantasien aus Gewaltvideos und Killerspielen in die Realität umzusetzen. Jürgen Todenhöfer erläutert: "Viele junge Leute, die weniger nachdenklich sind, haben im Internet westliche Horrorfilme gesehen. Sie haben am Computer das Abknallen von Feinden als Zeitvertreib empfunden. Und jetzt halten sie selbst eine Knarre in der Hand, angebliche Symbole der Männlichkeit. Sie halten sich für die Guten und glauben, sie können jetzt die Bösen töten. Auch diese Verwechslung von Computerspiel und Gewaltvideos mit der Realität des Nahen und Mittleren Ostens ist einer der Gründe, warum viele junge Leute dort alle Maßstäbe verloren haben."
Jürgen Todenhöfer kritisiert in dem Interview auch die Beteiligung der Bundeswehr an Bombardierungen von IS-Stellungen in Syrien. "Die Unterstützung der kontraproduktiven Bombardierungswünsche Frankreichs durch die deutsche Bundesregierung halte ich allerdings auch in diesem Zusammenhang für unklug. Bisher war keiner der Anti-Terrorkriege nach 9/11 erfolgreich. Warum dieses geistlose Herumbombardieren jetzt plötzlich gegen den IS ein Erfolgsrezept sein soll, konnte mir bisher noch kein Politiker erklären. Das ist alles sehr unintelligent."
Jürgen Todenhöfer: "Wir sind nicht die Guten"
Todenhöfer wendet sich in dem Interview gegen die Vorstellung, wonach Deutschland und der Westen die "Guten" im Kampf gegen den Terrorismus seien: "Wenn Sie sagen, wir seien eigentlich die Guten, muss ich erwidern: In den letzten 200 Jahren hat kein einziges muslimisches Land den Westen überfallen, während der Westen die muslimische Welt immer wieder überfallen hat. Unterm Strich sind leider wir die Gewalttätigen. Wenn man das sagt, wird man komisch angeschaut. Nur hat jeder, der an dieser Stelle komisch schaut, in Geschichte einfach nicht aufgepasst." Hier macht sich Jürgen Todenhöfer allerdings angreifbar: Schließlich waren die von ihm kritisierten militärischen Interventionen im Kampf gegen den Terrorismus keine Reaktion auf Angriffskriege, sondern auf islamistische Anschläge. Der Wikipedia-Eintrag zu diesem Thema listet allein hunderte Anschläge seit dem 11. September auf.
Vor kurzem widersprach auch der renommierte Historiker und Nahost-Kenner Prof. Michael Wolffsohn im Interview mit unserer Onlineredaktion Jürgen Todenhöfers Fundementalkritik am Krieg gegen den Terror. "Mit so allgemeinen Aussagen kann man nichts Vernünftiges anfangen. Wer 'alles ist Mist' sagt, sagt so viel wie einer, der sagt: 'Alles bestens'. Al Qaida ist zum Beispiel erheblich geschwächt, und die USA, die ja 2001 das Opfer waren, blieben seitdem so gut wie verschont. Pauschalaussagen gehören an den Stammtisch und ersetzen keine seriöse Analyse." Allerdings wurde der blendet Jürgen Todenhöfer aus, dass die von ihm kritisierten militärischen Interventionen im Kampf gegen den Terrorismus keine Reaktion auf Angriffskriege waren, sondern auf islamistische Anschläge. Der Wikipedia-Eintrag zu diesem Thema listet allein hunderte Anschläge seit dem 11. September auf.
Trotz Kritik: Todenhöfer verteidigt Facebook-Posting zu Gauck
Mit der Kritik an seinen Aussagen hat Todenhöfer nach eigenem Bekunden aber kein Problem. Das gilt auch für ein kontroverses Facebook-Posting vom Juni 2014. Nach einer Äußerung von Bundespräsident Gauck, Deutschland solle sich militärisch stärker engagieren, montierte Todenhöfer dessen Gesicht in das Foto von Al-Qaida-Chef Aiman az-Zawahiri, Kommentar: der Bundespräsident rufe zum Heiligen Krieg auf. Es hagelte heftige Reaktionen von CDU und CSU. Man nannte ihn einen „politischen Geisterfahrer“, forderte ihn auf, die Partei zu verlassen und riet ihm, sich in fachärztliche Behandlung zu begeben. Im "Galore"-Interview verteidigt Todenhöfer seine krasse Gauck-Kritik von damals. "Gauck hatte sinngemäß gesagt, wir seien jetzt eine stabile Demokratie und müssten deshalb auch bereit sein, zur Waffe zu greifen, wenn es gegen Diktatoren und um Menschenrechte ginge. So einen verantwortungslosen Stuss kann nur jemand erzählen, der nicht weiß, was Krieg ist. Deswegen fand ich es wichtig zu sagen: 'Stopp!' Solche Leute, die in der warmen Stube Kriegslieder singen, brauchen wir nicht."
Im "Galore"-Interview wendet Jürgen Todenhöfer sich auch gegen frühere Medienberichte, die ihn während seiner Zeit als CDU-Bundestagsabgeordneter der sogenannten konservativen "Stahlhelm-Fraktion" zuordneten. "Diesen Flügel hat es nie gegeben. Mit Stahlhelm-Flügel wurden all die gemeint, die für die Wiedervereinigung waren. Das waren mit mir fünf Leute. Ironischerweise werden zu den großen Wiedervereinigungs-Feiern heute nur die Leute eingeladen, die damals eigentlich dagegen waren. Alle großen Dinge der Weltgeschichte enden mit der Auszeichnung der Unbeteiligten."
fro