Wolffsohn: Wir müssen mit Putin gegen den IS kämpfen

München - Historiker Prof. Michael Wolffsohn spricht im Interview über den Kampf gegen den Islamischen Staat. Darum müssen wir mit Putin gegen den IS kämpfen:
Der renommierte Historiker Prof. Michael Wolffsohn erkennt keine wirkliche Strategie im Kampf

gegen den Islamischen Staat. Im Interview erläutert Wolffsohn (der bis 2012 auch Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München war), warum der IS Frankreich binnen eines Jahres mehrfach ins Visier genommen hat - und warum der Westen im Kampf gegen den Islamischen Staat auch mit Russlands Präsident Putin zusammenarbeiten muss.
Herr Professor Wolffsohn, wie kann der Westen den Kampf gegen den Islamischen Staat gewinnen?
Michael Wolffsohn: Nur wenn es eine politische, gesellschaftliche und militärische Strategie gibt. Wenn wir die Jäger sind und nicht mehr die Gejagten. Davon sind wir leider weit entfernt. Kurzfristig muss militärisch gehandelt werden. Langfristig ist das Terrorproblem in Nahost und bei uns nur politisch zu lösen. Auch hier gilt Fehlanzeige bezüglich einer Strategie. Es wird viel geredet, wenig gedacht und nur Reaktives gemacht.
Der ehemalige CDU-Abgeordnete und Publizist Jürgen Todenhöfer hält den Einsatz von Bodentruppen gegen den IS für die absolut falsche Lösung. Nach seinem Besuch beim IS ist er zu der Meinung gekommen: "Der IS hat die Anschläge in Paris auch deshalb gemacht, um die USA, Frankreich und England zu provozieren, Bodentruppen zu schicken." Halten Sie den Einsatz von Bodentruppen gegen den IS denn für sinnvoll?
Der Einsatz von Bodentruppen wird nötig sein, um den IS kurz- und mittelfristig zu schwächen. Bodentruppen zu fordern, ist aber leichter gesagt als getan. Wer soll sie stellen? Jeder lässt gerne den anderen den Vortritt. Der IS handelt teuflisch, aber rational. Er würde seine schnelle und totale Niederlage besiegeln, wenn er die USA, Frankreich, Großbritannien oder gar noch mehr Staaten in den Krieg gegen sich selbst lockte. Individuelle Selbstmordattentate gehören zur IS-Strategie, nicht aber kollektiver Selbstmord.
Jürgen Todenhöfer meint ebenfalls, der Krieg gegen den Terror seit dem 11. September sei eine einzige Reihe von Fehlschlägen gewesen und kommt zu dem Schluss "Wir haben den Terrorismus gezüchtet". Wie sehen Sie das?
Mit so allgemeinen Aussagen kann man nichts Vernünftiges anfangen. Wer „alles ist Mist“ sagt, sagt so viel wie einer, der sagt: „Alles bestens“. Al Qaida ist zum Beispiel erheblich geschwächt, und die USA, die ja 2001 das Opfer waren, blieben seitdem so gut wie verschont. Pauschalaussagen gehören an den Stammtisch und ersetzen keine seriöse Analyse.
Sind die konzentrierten Angriffe Frankreichs, Russlands und der USA auf den IS zumindest ein Schritt in die richtige Richtung?
Ja, ein Schrittchen. Auch dieses Schrittchen ersetzt keinen Gesamtplan. Außerdem sind diese Angriffe bislang alles andere als konzentriert. Es sind Tropfen auf den heißen Stein. Schaupolitik, mehr nicht.
Terror in Paris: Darum nimmt der IS Frankreich ins Visier
Wir haben nun innerhalb eines Dreivierteljahres zwei große Anschläge von IS-Anhängern in Paris erlebt. Warum konzentriert der IS sich derart auf Frankreich?
„Es ist etwas faul im Staate“, nein, nicht Dänemark, sondern Frankreich. Frankreichs Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ist seit langem tief gespalten und auf vielen Feldern handlungsunfähig. Gerade im sicherheitspolitischen Bereich. Besonders im Innern. Viele der Vorstädte sind praktisch staats- bzw. polizeifreie Zonen, also ideal für Terroristen.
Werden vom IS-Terror auch die Rechtsradikalen profitieren? In einer Umfrage vor den Anschlägen von Paris lag der rechtsextreme Front National von Marine le Pen ja schon vor allen anderen Parteien.
Leider ja. Nicht nur in Frankreich. Das geschieht weniger aus Begeisterung über die Rechtsextremisten als vielmehr aus Verzweiflung und Enttäuschung über die traditionell verantwortlichen Parteien. Diese Entwicklung droht leider auch uns. Unsere Große Koalition trägt auch deshalb eine Riesenverantwortung. Klein-Klein von einzelnen Politikern darf nicht sein.
Wer trägt eigentlich die Schuld daran, dass der Islamische Staat derart groß geworden ist? US-Präsident George W. Bush mit dem Einmarsch im Irak? Dessen Nachfolger Obama durch den Abzug der US-Truppen? Oder die Golfstaaten?
Bitte nicht immer einzelne Sündenböcke herauspicken und keine Pauschalaussagen. Viele im In- und Ausland haben – um im Bild zu bleiben – Bockmist gebaut. Die Ursachen gehen auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Nur wissen das die Wenigsten. Vergangenheit ist oft in der Gegenwart explosiv. Wer die Vergangenheit nicht kennt, wundert sich nicht, wenn es in der Gegenwart brennt. Wer mehr dazu wissen will, findet in meinem Buch „Zum Weltfrieden“ Erklärungen der Ursachen – und Lösungsansätze.
Kampf gegen IS: Deutschland ist noch nicht wehrhaft genug gegen den Terror
Ist Deutschland eigentlich wehrhaft genug, um gegen den Terror vorzugehen?
Noch nicht, weil wir bislang weitgehend verschont blieben. Das kann sich ganz plötzlich ändern. Dann wird die scheinbar pazifistische Mehrheit rabiat. In Frankreich haben wir dieser Tage eine Riesenmehrheit für die Notstandsmaßnahmen. Vor dem 13. November war das undenkbar.
Arbeitet der IS eigentlich "effizienter" als die al Qaida von Osama bin Laden? Was die Anschläge angeht, so hat es den Anschein, dass der IS aktuell weitaus öfter zuschlägt, als die al Qaida nach 9/11.
Der IS verbindet in teuflisch intelligenter Weise seinen echten Krieg in Nahost mit Terror in der europäisch-islamischen Diaspora. Al Qaida hatte sich nur (wenn man nur sagen darf) auf Terror konzentriert. In der Hochzeit von al Qaida gab es aber noch keine Arabischen Revolutionen. Die gibt es erst seit 2011. Damals verglichen auch Experten in Deutschland diese Revolutionen mit dem Mauerfall von Berlin 1989.
Sollten Deutschland und die USA denn Russlands Präsident Putin die Hand reichen, um gemeinsam den IS zu besiegen?
Ja. Das Wichtigste zuerst, also den IS militärisch besiegen. Dann beginnt der noch mühsamere politische Kampf.
Sollte die deutsche Flüchtlingspolitik nach den Anschlägen von Paris und nach dem Terror-Alarm von Hannover geändert werden?
Nein, aber wir sollten wachsamer sein. Dafür braucht man mehr und bessere Sicherheit. Dafür braucht man sowohl mehr Geld als auch die innere Bereitschaft, ja, Vertrauen und Dankbarkeit der Gesellschaft gegenüber den Sicherheitsbehörden.
Die Fragen stellte Franz Rohleder
Zu den aktuellen Büchern von Prof. Michael Wolffsohn gehören „Wem gehört das Heilige Land?“ (Piper-Taschenbuch, 12. Auflage 2015) und "Zum Weltfrieden" (dtv 2015).