Tatort Hessen: Spannend, blutig - fantastisch

Frankfurt - Der Tatort Hessen hat am Sonntagabend auf der ADR ein neues Kapitel Fernsehgeschichte geschrieben: Die Folge "Im Schmerz geboren" bricht mit sämtlichen Normen - Gott sei Dank. Die Kritik.
Die Lilly ist weg. Der Gehirntumor, dem der ARD-„Tatort“-Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) diesen netten Namen gab, ist verschwunden. Fort sind damit auch die absurden Wahnvorstellungen, mit denen die ersten beiden seiner bisher drei Fälle aufwarteten. Doch der herrliche Irrsinn begleitet den LKA-Mann aus dem Tatort Hessen, der zuletzt im bizarr-märchenhaft wirkenden Zirkusmilieu ermittelte, nach wie vor, er sieht jetzt nur anders aus. In der von Florian Schwarz gewagt inszenierten Folge „Im Schmerz geboren“ anfangs wie eine sonnenverblasste Mischung aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ und „High Noon“ – ein Bahnhof, drei bewaffnete, finster blickende Kerle, die plötzlich tot sind, nachdem ein Mann im weißen Anzug aus einem Zug gestiegen ist. Aber der Anzugträger hat gar keine Hand bewegt. „Wie ein billiger Western“, sagt einer der Polizisten, die sich das Überwachungsvideo des Bahnhofs ansehen. „Oder ein guter“, entgegnet Murot.
Tatort Hessen schlägt ein neues Kapitel der Fernsehgeschichte auf
Recht hat er. Ein sehr guter. In der Folge dieses spannenden und blutigen Krimis wird aus Theater, Oper und Kino zitiert, was das Zeug hält. Von William Shakespeare über Giuseppe Verdi bis François Truffaut und wieder zurück. Im Vergleich zum großen Zitierkönig Quentin Tarantino verzichten Schwarz und sein genialer Drehbuchautor Michael Proehl auf Tarantinos alles zersetzenden und egalisierenden Zynismus und fügen ihrem Füllhorn der Zitate eine hoch emotionale Komponente hinzu. Denn Murot erkennt in dem Mann im weißen Leinenanzug seinen alten Freund Richard Harloff (Ulrich Matthes).
Im Aufeinandertreffen der einstigen Weggefährten spinnt der Regisseur den Faden vom archaischen Duell auf Leben und Tod fort. Erst ein albtraumhafter Showdown lüftet das Motiv für den Rachefeldzug Harloffs, ein Showdown, in dem Murots Assistentin Magda Wächter (Barbara Philipp) zum Glück das letzte Wort hat. Sie sorgt dafür, dass der Ermittler, auch mit Blick auf künftige Folgen, unbeschädigt aus diesem Fall herauskommt. Die Hessen schlagen mit diesem fantastischen, kraftvollen, zartbitteren, melancholisch grundierten und mit dem Klangteppich eines Sinfonieorchesters unterlegten Stück ein neues Kapitel in der Fernsehgeschichte auf. Eins mit Stern.
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Ulrike Frick