Berliner Schnoddrigkeit: Warum der neue Tatort gut ist

Berlin - Der heutige Tatort aus Berlin unterscheidet sich von vielen anderen Tatort-Krimis: Er erzählt neben den aktuellen Fällen auch eine Rahmengeschichte. Das wollen wir öfter sehen - so wie im neuen Film "Wir - Ihr - Sie".
Kriminalhauptkommissar Robert Karow (Mark Waschke) ist der Bad Boy der Tatort-Kommissare. Schlagfertig, cool, ironisch, unvorhersehbar. Der Zuschauer der Tatorte aus Berlin weiß, dass er eine turbulente Vergangenheit hat - die wurde in den beiden ersten Fällen der Ermittler teilweise offenbart. Im dritten Fall "Wir - Ihr - Sie" wird diese Rahmengeschichte weitererzählt.
Im eigentlichen Fall des neuen Berliner Tatorts geht es aber um etwas ganz anderes. Eine Frau wird im Parkhaus eines Einkaufscenters brutal von einem Jeep überfahren - sie scheint den Täter zu kennen. Robert Karow und seine Kollegin Nina Rubin (Meret Becker) beginnen zu ermitteln und stoßen recht schnell auf ein Trio aus pubertären Mädchen, die ständig in diesem Einkaufszentrum abhängen, ständig mit ihren Smartphones im Internet sind, ständig miteinander verbunden. Haben tatsächlich diese drei Gören etwas mit dem Mord zu tun? "Teenies?", fragt auch Nina Rubin ungläubig, als sie sie auf einem Überwachungsvideo sieht.
Wir nennen Ihnen zwei Gründe, warum sich der neue Tatort aus Berlin lohnt.
Tatort aus Berlin: Grund 1 - Die Figuren
Die Rahmenhandlung ist zwar kompliziert, sie stört aber nicht, auch wenn man nicht jedes Detail versteht. Das liegt an den Figuren im Berliner Tatort, denn jede einzelne von ihnen hat Tiefe. Sogar Mutlu Erdem, der etwas mit Karows verruchter Vergangenheit zu tun hat und bereits in einer früheren Folge erschossen wurde, taucht noch einmal in einem Handy-Video auf. In diesen wenigen Sekunden packt er den Zuschauer mehr als so mancher Kommissar der Tatort-Reihe.
Aber auch die drei Hauptverdächtigen, die Mädchen Louisa

(Cosima Henman), Paula (Emma Drogunova) und Charlotte (Valeria Eisenbart), überzeugen: Rotzfrech, halb Kind, halb erwachsen, motzen sie sich durch den Tatort, ständig mit dem Handy bewaffnet. Sie haben irgendetwas zu verbergen. Ist es nur pubertärer Blödsinn? Oder doch etwas viel Schlimmeres? Das wird lange offen gelassen, so lange, dass die drei Mädchen in eine ausgewachsene Zwickmühle stolpern: Sollen sie nun alle drei sagen, was wirklich in diesem Einkaufszentrum passiert ist? Beichtet nur eine und kommt diese dann straffrei davon? Dieses so genannte Gefangenendilemma wird bis aufs Äußerste zelebriert - stark. Das passt zu Berlin, zur Pubertät und zu diesem Fall.
Tatort aus Berlin: Grund 2 - Die Kommissare
Karow, der Bad Boy: So einen coolen Kommissar kennt die Krimi-Reihe bislang nicht, auch wenn Til-Schweiger-Anhänger möglicherweise etwas anderes behaupten werden. Da will zum Beispiel die rotzfreche Paula bei der Befragung auf dem Präsidium einen Kaugummi von ihm haben. Weil er keinen mehr dabei hat, gibt ihr Karow einfach den, auf dem er gerade selbst herumkaut. Diese feine Ironie, diese Coolness, diese Schnoddrigkeit umweht Kommissar Karow ständig. Nie weiß man so genau, was er tun wird. Als seine Kollegen etwa ein Video im Internet finden, das ihn beim Sex mit einem Mann zeigt, führt er sie knallhart vor. Einfach so. Ohne rot zu werden.
Auch seine Kollegin Nina Rubin passt in den Berliner Großstadtdschungel. Sie wirkt eigentlich überhaupt nicht wie eine Hauptkommissarin, eher wie eine der Zeugen, die sie in irgendwelchen Hinterhöfen von verlotterten Häusern befragt. Zuhause hat sie einen 13-jährigen Sohn, Kaleb, der ihr immer wieder vorhält, dass sie keine Zeit für ihn hat. Auch ihr Ex-Mann tut das. Rubin ist ständig hin- und hergerissen zwischen ihrer Arbeit und ihrer kaputten Familie, die sie irgendwie wieder zusammenkleben möchte. Diese Probleme bringt sie mit aufs Präsidium - und da kann es schon mal passieren, dass sie die Kontrolle über sich verliert.
Dass sich die Kommissare permanent weiterentwickeln, steht dem Berliner Tatort gut. Auch wenn man in "Wir - Ihr - Sie" die Rahmenhandlung noch nicht komplett durchschauen kann, schaffen es die Ermittler, sich von anderen Tatorten abzuheben, im Gedächtnis zu bleiben. Hoffentlich dauert es noch lange, bis Karows Vergangenheit völlig offenbart ist.
Tatort aus Berlin: Was bislang geschah
Falls Sie nicht mehr genau wissen, was in den ersten beiden Fällen der Berliner passiert ist, gibt es hier einen kurzen Rückblick: Robert Karow möchte wissen, warum sein früherer Partner sterben musste. Dieser ermittelte undercover in einem berüchtigten Drogenclan und lag eines Tages tot in der Spree - und damit begann die Ungereimtheit. Er starb dort nämlich gar nicht, sondern in einem verlassenen Vergnügungspark, der Obduktionsbericht wurde gefälscht.

Dann wurde ein weiterer Mann aus der Drogenszene erschossen, Mutlu Erdem. Dieser wiederum hinterließ Robert Karow das Video, in dem er behauptet, es gebe einen Handyfilm, auf dem die Tat in dem Vergnügungspark zu sehen ist.
Nina Rubin schaute sich parallel in diesem Park um und fand dort die Kugel aus einer Pistole, die aus der Waffe stammen könnte, mit der Karows Partner erschossen worden ist. Karow selbst besuchte eine Bar und nahm einen jungen Mann mit zu sich nach Hause - es ist der, mit dem ihn später seine Kollegen beim Sex sehen. Nach einem anonymen Hinweis musste Nina Rubin am Tag darauf die Wohnung ihres Kollegen durchsuchen lassen. Dort wurde schließlich die Waffe gefunden, mit der Karows Kollege erschossen worden ist. Der Kommissar wurde verhaftet, war aber zu Beginn der aktuellen Folge schon wieder im Dienst.
Den vorangegangenen Fall "Ätzend" zeigt die ARD am Freitag, 3. Juni, um 22.15 Uhr.
Der Tatort aus Berlin im Ersten
Der aktuelle Fall der Berliner Ermittler, "Wir - Ihr - Sie", läuft am Sonntag, 5. Juni, um 20.15 Uhr in der ARD und ist danach 30 Tage lang in der Mediathek abrufbar.
Lesen Sie hier unsere Tatort-Vorschauen nach: "Der scheidende Schupo" (Tatort aus Weimar), "Schock" (Tatort aus Wien), "Wacht am Rhein" (Köln-Tatort), "Land in dieser Zeit" (Frankfurt-Tatort), "Klingelingeling" (München-Tatort), "Wendehammer" (Frankfurt-Tatort), "Sumpfgebiete" (Polizeiruf aus München), "Taxi nach Leipzig" (1000. Tatort-Jubiläum), "Borowski und das verlorene Mädchen" (Kiel), "Echolot" aus Bremen, "Das Recht sich zu sorgen" aus Franken, "Mia san jetz da wo's weh tut" aus München, "Die Geschichte vom bösen Friedrich" aus Frankfurt am Main, "Im gelobten Land" aus Stuttgart und "Fünf Minuten Himmel" aus Freiburg.
pak