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Tatort aus Dresden: Wie gut wird "Der König der Gosse"?

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Von: Patricia Kämpf

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Die Obdachlosen treten im Präsidium in Sitzstreik.
Die Obdachlosen treten im Präsidium in Sitzstreik. © MDR/Gordon Mühle

München - "Der König der Gosse" heißt der neue Tatort aus Dresden. Er besticht vor allem durch Authentizität - trotzdem muss sich der Krimi aus dem Osten auch Kritik gefallen lassen. Ob sich das Einschalten lohnt, erfahren Sie hier.

Was ist die Wahrheit? Gibt es überhaupt eine Wahrheit oder gibt es immer nur verschiedene Versionen der gleichen Geschichte? Diese und ähnliche Fragen stellt man sich beim neuen Tatort aus Dresden "Der König der Gosse". Das ist die Geschichte in Kurzfassung (ohne Spoiler): Hans-Martin Taubert (Michael Sideris) ist Sozialunternehmer und sehr beliebt in der ganzen Stadt. Trotzdem wird er eine Brücke hinuntergestürzt. Ihm gehört das Unternehmen "Berberhilfe", mit dem er sich für Obdachlose einsetzt und ihnen Plätze zum Schlafen verschafft. Auf drei dieser Obdachlosen stoßen dann auch sehr schnell die Dresdner Ermittlerinnen Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski): Hansi (Arved Birnbaum), Platte (David Bredin) und Eumel (Alexander Hörbe) berichten sofort, dass der Sozialunternehmer ermordet worden ist.

Doch die Geschichte scheint nicht zu stimmen. Denn Restaurantbetreiber Luigi (Robert Meller), ein Zeuge, erzählt eine ganze andere Version. Und wem glaubt man schließlich eher? Dem Mann, der einen sauteuren Schuppen betreibt und einen kleinen gemischten Salat für elf Euro verkauft? Oder drei Pennern, die - auch in den Augen einer der Ermittlerinnen - sowieso nichts anderes können als betrunken zu sein?

Es ist der zweite Fall des neuen Dresdner Ermittlerteams Sieland/Gorniak. Während der erste auf ganzer Linie überzeugt hat, ist es bei "Der König der Gosse" nicht ganz so einfach.

Tatort aus Dresden: Authentische Ermittlerinnen

Pro: Das Spiel mit Geschlechterklischees

Die Dresdner setzen auf Geschlechterklischees - das taten sie in der ersten Geschichte und das funktioniert auch dieses Mal wieder.

Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) mit seinen Kommissarinnen.
Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) mit seinen Kommissarinnen. © MDR/Gordon Mühle

Sieland und Gorniak im Zusammenspiel mit dem altbackenen Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) sind grandios. Bei ihm fragt man sich immer, ob er überhaupt schon einmal etwas von Computern gehört hat und sich jemals ein schnurloses Telefon kaufen wird. Von seinem gesamten Auftreten her wirkt er wie aus einer Zeit, in der Frauen noch nichts zu sagen hatten. Seine Kommissarinnen hingegen sind wieder so schlagfertig, trocken und ironisch, dass sie ihn und seine Ansichten von Übervorgestern ohne Mühe an die Wand quatschen.

Das ist sensationell anzusehen, vor allem weil die Dresdnerinnen sehr authentisch wirken. Man denkt sich hier immer wieder: Könnte bei mir in der Arbeit sein. Oder solch einen beschissenen Abend hatte ich gestern auch. Andere Tatort-Ermittler sind oft sehr überzeichnet - Karl-Friedrich Boerne aus Münster etwa. Das ist natürlich gewollt, dennoch sticht der Dresden-Tatort mit seiner Ehrlichkeit angenehm aus der Krimi-Masse heraus. 

Tatort aus Dresden: Unnötiger Besuch im Team

Contra: Die dritte Ermittlerin

Gerade wegen der Authentizität und dem Spiel mit den Geschlechterrollen verwundert es ziemlich, dass die

Der Bruder des Toten wird verhört - auch die dritte Ermittlerin (ganz rechts) mischt mit.
Der Bruder des Toten wird verhört - auch die dritte Ermittlerin (ganz rechts) mischt mit. © MDR/Gordon Mühle

Tatort-Macher dem Kommissariatsleiter noch eine dritte Dame an die Seite gestellt haben (Wiebke Lohkamp, gespielt von Jule Böwe). Vielleicht, weil im ersten Fall die dritte Ermittler-Frau direkt ermordet worden ist? Zwischen Wiebke und Schnabel entwickelt sich ein Flirt, die beiden haben eine gemeinsame Vergangenheit. Natürlich geht sie den beiden Kommissarinnen so sehr auf die Nerven, dass sie sie irgendwann irgendwo in der Stadt stehen lassen. Es ist ein beliebtes Tatort-Konzept: Alteingesessenes Ermittlerteam bekommt dritten Mann (oder Frau) aufgehalst und das nervt die alten Polizistenhasen so sehr, dass sie nur granteln. Kommt Ihnen bekannt vor? Gab es auch schon - im Münchner Tatort zum Beispiel. Gisbert Engelhardt, der neue Kollege, war unfassbar nervig und starb einen schnellen Tod. In München allerdings hat das funktioniert, denn Batic und Leitmayr ermitteln seit 25 Jahren, da darf gern frischer Wind durch die Präsidiumshallen wehen. Dresden aber hatte es mit seinem zweiten Fall zu tun - da braucht es noch keine dritte Kommissarin, die ein noch nicht eingespieltes Team durcheinander bringen soll. Völlig unnötig.

Pro: Die Penner

Dieses Defizit gleichen allerdings die Penner aus. Auch sie wirken so grandios authentisch, dass man sich manchmal fragt, ob die Tatort-Macher sie tatsächlich irgendwo auf der Straße aufgegabelt und einfach vor die Kamera gestellt haben. Um sie dreht sich der Film: Sie sind am Anfang an der Brücke und plappern die Ermittlerinnen in den Wahnsinn, sie treten in den Sitzstreik im Präsidium, als einer von ihnen unter Tatverdacht gerät und sie bekochen Kommissarin Sieland, als die sie eines Abends mit nach Hause nimmt, damit sie die Nacht bei Schnee- und Graupelschauer nicht draußen verbringen müssen. "Wir interessieren uns nicht für die Welt, denn die Welt interessiert sich nicht für uns" ist ein Zitat von Obdachlosen, das im Film fällt. Dieser Film aber interessiert sich für die, die am Rande der Gesellschaft leben - ohne Pathos und ohne Kitsch. Sondern echt.

Tatort aus Dresden: Ohne Schnörkel wäre es perfekt

Contra: Die Geschichte

Die Geschichte ist allerdings etwas verwirrend. Ein, zwei Erzählstränge weniger hätten dem Tatort gut getan - oder zum Beispiel eine Ermittlerin weniger. Dass ein Tatort vor allem dann funktioniert, wenn er sich auf die Quintessenz beschränkt, hat der Münster-Tatort der vergangenen Woche gezeigt. Wenn Dresden seinen Schnörkel in Zukunft weglässt, ist das großes Sonntagskino.

Fazit: Trotz zwei Mal Contra unbedingt anschauen. Dresden lohnt sich.

Tatort aus Dresden im TV, in der Mediathek und auf Twitter

"Der König der Gosse" läuft am Sonntag, 2. Oktober, um 20.15 Uhr in der ARD. Danach können Sie den Krimi 30 Tage lang in der Mediathek anschauen.

Bereits während des Films können Sie mitdiskutieren: Das Erste twittert unter @Tatort und dem Hashtag #Tatort.

Frühere TV-Kritiken zu Tatort und Polizeiruf

"Fangschuss" (Tatort aus Münster), "Borowski und das dunkle Netz" (Tatort aus Kiel), "Nachtsicht" (Tatort aus Bremen), "Tanzmariechen" (Tatort aus Köln), "Der scheidende Schupo" (Tatort aus Weimar), "Schock" (Tatort aus Wien), "Wacht am Rhein" (Köln-Tatort), "Land in dieser Zeit" (Frankfurt-Tatort), "Klingelingeling" (München-Tatort), "Wendehammer" (Frankfurt-Tatort), "Sumpfgebiete" (Polizeiruf aus München), "Taxi nach Leipzig" (1000. Jubiläum), "Borowski und das verlorene Mädchen" (Kiel) "Echolot" (Bremen), "Wahrheit"(München), "Zahltag" (Dortmund), "Wölfe" (Polizeiruf mit Matthias Brandt), HAL (Stuttgart-Tatort), "Wir - Ihr - Sie" (Berlin-Tatort), "Und vergib uns unsere Schuld" (Polizeiruf mit Matthias Brandt), "Das Recht, sich zu sorgen" (Franken-Tatort), "Fünf Minuten Himmel" (Freiburg-Tatort), "Mia san jetz da wo's weh tut" (Jubiläumsfall München-Tatort), "Der Preis der Freiheit" (Polizeiruf des RBB).

pak

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