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Den Mördern auf den Fersen: Hinter den Kulissen von „Aktenzeichen XY“

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Von: Simon Nutzinger

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Seit 50 Jahren hilft „Aktenzeichen XY... ungelöst“ dabei, reale Verbrechen aufzuklären. Doch wie entsteht das ZDF-Erfolgsformat? Ein Blick hinter die Kulissen.

Fürstenfeldbruck/Ismaning – Menschenleer ist die Straße in einem Wohngebiet am Stadtrand von Fürstenfeldbruck. Doch die nächtliche Ruhe wird jäh gestört: Ein Wagen fährt um die Ecke, parkt vor einem Wohnhaus. Ehe der Fahrer aussteigen kann, kommt ein Mann hinter einer Garage hervor. Er sprintet auf das Auto zu, reißt die Fahrertüre auf, in der Hand eine Waffe. Schreie, Gerangel, ein Schuss. Da ertönt eine Stimme: „Klasse gemacht, Leute.“ Uli Möller klatscht in die Hände. „So habe ich mir das vorgestellt.“ Möller ist Regisseur. Er dreht eine Szene für „Aktenzeichen XY“, die einen ungeklärten Mafia-Mord in Klagenfurt nachstellt. Die meisten Szenen der Sendung werden in Oberbayern gedreht – sofern die Orte nicht vom echten Tatort unterscheidbar sind. Kürzlich diente sogar der Walchensee als Fjord. Braucht es den Wiedererkennungswert des Originalschauplatzes, dreht das Team dort.

Seit 50 Jahren wird das ZDF-Format bereits ausgestrahlt. Das Ziel ist immer noch das gleiche: die Aufklärung von Verbrechen. Das Prinzip dahinter ist so einfach wie genial. In den monatlichen Ausstrahlungen werden etwa zehnminütige Filme gezeigt, in denen ein reales Verbrechen nachgespielt wird. Die Polizei erhofft sich Zeugen oder den entscheidenden Hinweis. Mit Erfolg: Von den bislang gezeigten 4581 Fällen wurden 1851 gelöst. Das entspricht einer Aufklärungsquote von rund 40 Prozent.

Möller, der schon einen „Tatort“ und unzählige deutsche Fernseh-Krimis gedreht hat, ist zum ersten Mal für eine „Aktenzeichen“-Folge verantwortlich. „Das ist natürlich was Besonderes“, sagt er. „Allein schon, weil es nicht fiktiv ist.“ Die Arbeit sei deutlich anders als bei normalen TV-Produktionen. „Wir arbeiten sehr eng mit der Polizei zusammen und versuchen bei den Dreharbeiten detailgetreu zu agieren.“

Zuständig dafür ist Markus Bachinger. Der Münchner, 29, ist seit 2014 Set-Aufnahmeleiter bei den „Aktenzeichen“-Drehs. Er sagt: „Je besser wir unsere Arbeit machen, desto höher ist die Chance, dass etwa eine Mutter ihr vermisstes Kind wiederbekommt.“ Bis es im besten Fall so weit ist, gibt es für Bachinger und sein Team einiges zu tun. Es gilt, das Drehbuch, das von der Polizei und der für die „Aktenzeichen“-Sendungen zuständigen Deutschen Kriminal-Fachredaktion (DKF) erstellt wurde, „eins zu eins umzusetzen“. Besonderes Augenmerk liegt auf den Requisiten. Welche Automarke hatte das Fahrzeug des Täters? Welche Farbe und Marke sein T-Shirt? Welche Werbeschilder und Plakate gab es zum Zeitpunkt des Verbrechens am Tatort? „Da geht es wirklich um Kleinigkeiten“, sagt Bachinger. „Der Wiedererkennungswert unserer Szene muss so hoch sein, dass sich die Leute erinnern und womöglich einen entscheidenden Hinweis geben.“

Auch die Anwohner holt er mit ins Boot. Er verteilt Flugblätter, auf denen er die Dreharbeiten ankündigt und spricht mit den Leuten. Teilweise ergebe sich daraus eine Zusammenarbeit. „Manche wollen uns unbedingt unterstützen und bieten uns ihr Auto oder sogar ihre Wohnungen für die Dreharbeiten an.“

Ein Urgestein der „Aktenzeichen“-Sendungen ist Ina Maria Reize-Wildemann. Seit 25 Jahren ist sie Redaktionsleiterin bei der in Ismaning sitzenden DKF. Jeder Fall, der in der Sendung landet, geht über ihren Tisch. „Viele davon suchen wir selbst in den Medien und gehen dann auf die zuständigen Polizeistellen zu, um gemeinsam ein Drehbuch zu erstellen“, erklärt sie. Allerdings kämen auch immer wieder Fallanfragen von außerhalb. „Da geht es etwa um vermisste Familienangehörige, nach denen die Polizei bereits seit zwei Jahren sucht, aber nicht vorankommt. Diese Menschen erhoffen sich von der ,Aktenzeichen‘-Sendung eine letzte große Hilfe.“ Doch könne ihr Team nicht jeden Fall behandeln, weil die ermittelnde Behörde immer ihre Zustimmung erteilen muss.

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In der Regel bekommen Reize-Wildemann und ihr Team vor allem positive Resonanz auf die Sendung. „Ich glaube, die Stimmung unserer Sendung gegenüber ist sehr gut“, sagt sie. Konstante Einschaltquoten von rund fünf Millionen Zuschauern pro Sendung geben ihr Recht. Bei gelösten Fällen gibt es nicht selten Blumen und Dankesschreiben von Angehörigen. „Ein schönes Gefühl“, sagt sie. Es gab aber auch andere Zeiten. In den 70er- und 80er-Jahren habe eine große Skepsis gegenüber der Polizei und allem, was mit ihr in Verbindung steht, geherrscht. „Da wurde uns deutlich weniger zugearbeitet.“ Obwohl natürlich nicht jeder Hinweisgeber automatisch eine brauchbare Spur liefere. „Es gibt ein paar Wahrsager, die bei jeder Leiche wissen, wo sie liegt.“

In 25 Jahren „Aktenzeichen“ hat Reize-Wildemann viel gesehen. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr etwa ein Bäckermeister, der mit einem Bügeleisen malträtiert worden war. „Das war so brutal, dass man es nicht ertragen konnte.“ Die menschlichen Abgründe, mit denen sie bei ihrer Arbeit konfrontiert wird, versucht sie von ihrem Privatleben fernzuhalten. „Ich komme gut zurecht“, sagt sie und lacht. „Höchstens, wenn meine Kinder allein unterwegs sind, bin ich vielleicht manchmal etwas nervöser als andere Mütter.“

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