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Vor wenigen Wochen sind zwei Menschen am Watzmann in den Tod gestürzt. Erst fiel eine 39-jährige Frau die Watzmann-Ostwand* 200 Meter tief hinab. Nur wenige Tage später verunglückte dort ein 59-jähriger Bergsteiger. Laut Polizei sei er sowohl erfahren als auch gut ausgerüstet gewesen. Seit 1881 haben mehr als hundert Menschen ihr Leben am Watzmann gelassen. Die meisten tödlichen Unfälle passieren an der 1800 Meter hohen Ostwand. Der höchste Berg in den Berchtesgadener Alpen wird deshalb auch traditionell „Schicksalsberg“ genannt.
„Wir haben das Gefühl, der Watzmann wird immer mehr unterschätzt“, sagt Michael Renner von der Bergwacht Ramsau*. Das könnte an den sozialen Medien liegen, meint er. „Leute posten Fotos vom Watzmann – und das zieht Nachahmer an. Darunter auch Menschen, die keine alpine Erfahrung besitzen.“ Dabei ist vor allem die Überschreitung der drei Hauptgipfel des Watzmann für Unerfahrene extrem gefährlich. „Nur für wirklich erfahrene, absolut trittsichere, schwindelfreie und konditionsstarke Bergsteiger machbar“, heißt es in einem Warnhinweis auf der Internetseite von Berchtesgaden.
Hier ist jeder Meter Absturzgelände, sagt Renner. In einem 28 Jahre alten Pinzgauer brettern Michael Renner und Bereitschaftsleiter Thomas Meeß die steinigen Wanderwege Richtung Watzmannhütte hoch. Eigentlich ist der Wagen ein österreichisches Militärfahrzeug für schwerstes Gelände. Kein anderes Fahrzeug kann die Bergretter so weit nach oben bringen. „Leider wird der Wagen gar nicht mehr hergestellt“, sagt Meeß, während er den Pinzgauer über Felsen rollen lässt. Bei etwa 1600 Metern ist aber Schluss. Wären die Bergretter im Einsatz, müssten sie ab hier zu Fuß nach Wanderern suchen.
Heike Paschke, 34, und Melanie Göggel, 31, sind außer Atem. Noch etwa eine Stunde bis zum Watzmannhaus. Kurze Pause. „Wir wollen da heute übernachten“, sagt Paschke. „Eigentlich wollten wir ja die Watzmann-Überquerung machen“, sagt Göggel und schaut auf die Uhr. Halb vier. „Aber das wird heute nichts mehr. Dann gehen wir vielleicht morgen mal hoch bis zur Mittelspitze und schauen uns den Klettersteig an.“
Thomas Meeß steht daneben, er wird hellhörig. „Klettersteig? Woher habt ihr das?“ So wird die Überschreitung im Netz oft genannt – dabei gibt es dort auch viele Stellen, an denen man sich nicht mit einem Klettersteigset sichern kann. Solche Stellen sind besonders gefährlich, wenn man erschöpft ist, erzählt Michael Renner. „Viele unterschätzen die Weite der Tour“, sagt er, „und dazu auch das Wetter*.“
Erst kürzlich wurden er und 30 Kollegen genau deshalb zu einem Großeinsatz gerufen. „Wir wurden von vier Männern angerufen, die total erschöpft an der Mittelspitze ankamen. Einer hatte den Fuß umgeknickt, die Gruppe kam nicht mehr weiter.“ Dazu hätten die Touristen nicht die Unwetterwarnung* beachtet – Nebel, Starkregen, Windböen von rund 100 Stundenkilometern. Außerdem: wenig Handyakku.
„Es wurde immer später“, sagt Meeß, „und dann zog der Sturm auf. Ein Hubschrauber aus Österreich hat noch versucht, die Männer zu retten. Aber der Wind war einfach zu stark, er musste umdrehen.“ 19 Stunden lang dauerte der Einsatz. „Ich war in dieser Zeit bei dem verletzten Urlauber“, erzählt Bergwachtler Renner. „Er war total erstaunt, als er erfahren hat, dass solche Rettungsaktionen von Ehrenamtlichen abhängen.“
Manchmal werden wir gefragt, warum das nicht schneller ging.
Viele wissen das nicht. „Die meisten sind uns dankbar, wenn wir kommen“, sagt auch Thomas Meeß. „Aber manchmal werden wir auch gefragt, warum das nicht schneller ging.“ Bergrettung ist für Renner und Meeß eigentlich Freizeit. „Ich bin selbstständiger Solartechniker, deshalb kann ich mir meine Arbeitszeit selbst gut einteilen“, sagt Meeß. Bei seinen Kollegen ist das oft nicht so. Renner arbeitet als Verwaltungsbeamter im Landratsamt Berchtesgadener Land*. Von dort sind es ungefähr 25 Minuten Fahrt bis zur Bergwacht in Ramsau – bei akuten Einsätzen ein langer Weg.
Manchmal verschwimmt die Grenze, wie weit die Bergretter für die Rettung von anderen gehen sollten, erzählt Renner. „Natürlich versuchen wir, uns nicht in Gefahr zu bringen. Aber das ist nicht immer ganz einfach.“ Vor allem, wenn Bergsteiger am Watzmanngrat hängen bleiben und ein Gewitter* aufzieht. „Wir hatten auch schon mal extremes Glück, dass das Gewitter nicht kam, als wir oben am Grat waren.“ Dann denkt er kurz nach. „So sollte das eigentlich nicht sein. Aber das lässt sich wohl nicht vermeiden.“ Hier am Schicksalsberg, den die Menschen auf der ganzen Welt kennen, fürchten und lieben. *Merkur.de/bayern ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA