Wegen Corona-Alleingängen: Söder bekommt heftigen Gegenwind aus dem Landtag - „Bayern ist kein Ego-Land“
Durch aufwändige Plexiglas-Umbauten geschützt, verfolgt der Landtag den neuesten Söder-Auftritt. In einigen Glasboxen wächst der Wille, selbst mehr mitzuentscheiden.
- Markus Söder präsentiert seine dritte Corona*-Regierungserklärung.
- Die Opposition fordert im Anschluss, mehr in die Beschlussfindung einbezogen werden zu wollen.
- Selbst der Koalitionspartner ist mit der Situation nicht ganz zufrieden.
- Alle Nachrichten zum Coronavirus in Bayern lesen Sie in unserem News-Ticker für den Freistaat. Außerdem bieten wir Ihnen in einer Karte* die aktuellen Fallzahlen in Bayern.
München ‒ Die Debatte läuft gerade ein paar Minuten, da wendet sich die Oppositionsführerin nach halbrechts und beginnt, die Plexiglaswände vor sich fast anzuschreien. „Hören Sie mit ihrer Selbstverzwergung auf“, ruft Katharina Schulze zornig. „Sie lassen sich am Nasenring von Ihrer eigenen Regierung durch die Manege ziehen, und es stört Sie nicht mal!“
Hinter den Glaswänden erhebt sich Gemurmel, gedämpftes Gebrummel, doch die Grüne ist noch nicht fertig. „Auch Sie sind Gesetzgeber“, ruft sie den Abgeordneten von CSU und Freien Wählern zu. „Jetzt ist die Stunde des Parlaments.“ In diesem Saal müsse diskutiert, abgewogen und entschieden werden. Es reiche nicht, dem „großen Sendungsbewusstsein“ des Ministerpräsidenten folgsam zuzuhören.
Die Opposition begehert gegen Söders Corona-Alleingänge auf
Es wird laut in diesen Minuten im Landtag, und auch ein bisschen dumpf. Dumpf, weil die zum Corona*-Schutz eingebauten Scheiben rund um jeden Abgeordneten die Worte dämpfen. Laut, weil sich etwas angestaut hat im Parlament. Eigentlich tagen die Abgeordneten, die Hälfte jedenfalls, um einer Regierungserklärung zu lauschen. Ein Ritual: dem Ministerpräsidenten höflich zuhören, dann eine grundsätzliche Debatte aller Fraktionen. Diesmal geht es um mehr: Vor allem die Opposition beklagt ein Übermaß an Söder, an Exekutive. Seit Beginn der Pandemie wurden alle großen Entscheidungen, jeder Grundrechtseingriff, in der Staatsregierung getroffen, auf dem Weg eiliger, manchmal übereilter Verordnungen. Der Landtag, im demokratischen System formal das Zentrum jeder Entscheidung, hatte seit März wenig zu sagen. An diesem Tag wollen sich einige im Landtag ihre Macht zurückholen. Nur: Wie?
Noch ist es ein Kampf der Minderheit im Saal. Man kann das Ganze ja auch anders sehen: Hätte Söder das Handeln nicht schnell an sich gerissen, wäre der Freistaat vielleicht nicht so gut durch Welle eins gekommen. Bisher ist es vor allem die CSU, die gar nicht die Notwendigkeit sieht, dem Ministerpräsidenten in den Arm zu fallen. Und die Freien Wähler, der eigentlich ungezähmte Koalitionspartner, hält sich im Großen und Ganzen diszipliniert zurück. Mit ihrer Mehrheit wiesen beide alle Anträge auf Kommissionen und sonstige Kontrollgremien ab.
Nicht nur die Opposition geht gegen die Corona-Beschlüsse Söders vor, sondern auch einige Landräte.
Landtagspräsidentin Ilse Aigner: „Die Wut an den Küchentischen“ wächst
Trotzdem lohnt es sich, an diesem Tag genau hinzuhören. Es gibt Zwischentöne: geraunt auf den Landtagsfluren, wenn man sich am Desinfektionsspender trifft, aus den Plastikboxen, mitunter sogar vom Rednerpult. Den Grundton setzt sogar die Hausherrin, Ilse Aigner (CSU). Die Landtagspräsidentin redet den Abgeordneten eingangs ungewöhnlich klar ins Gewissen. „Jede Debatte, die wir hier nicht führen, verringert die Transparenz der Entscheidungen, verringert Verständnis, Vertrauen und Akzeptanz.“ Jede nicht geführte Debatte „verstärkt die Wut an den Küchentischen“. Es ist keine Kritik an der Söder-Regierung, sondern der Rat: Mensch, Abgeordnete, fordert eure Rechte ein! Man sieht sogar einzelne grüne Abgeordnete klatschen.

In der Debatte folgen viele Redner, die das hervorheben. Die Information des Parlaments sei besser geworden, sagt Horst Arnold (SPD), „aber Information ersetzt keine Mitwirkung“. Wolfgang Heubisch (FDP), früher selbst Minister, grollt heiser, Söder solle „endlich die Hilfe der Opposition annehmen“. Sein Krisenmanagement sei schlecht und leide an der „Alleinherrschaft“. Ausnahmsweise stößt sogar die AfD ins gleiche Horn, wenn auch schrill – es gebe eine „diktatorische Machtkonzentration in Söders Händen“.
Markus Söder nutzt die Corona-Krise zur „Profilierung“
Auch Schulze, die Grüne, nutzt ihren Auftritt zu einem Frontalangriff auf Söder. „Es ist dreist, dass Sie sich so breitbeinig hinstellen und anderen Bundesländern Ratschläge geben“, ruft sie. „Rüpelhaft“ agiere er, nutze die Krise zur Profilierung. Söder, auch hinter Plexiglas, ist anzumerken, dass ihn das ärgert. Er reagiert nicht, tippt mit mahlendem Kiefer auf sein Handy ein. Irgendwann schüttelt er den Kopf, eine abwiegelnde Geste folgt.

Ist all das nun ein Akt der Selbstvergewisserung des Parlaments, ein Aufbäumen? Oder nur Steinwürfe im Glaskasten? Im Zentrum der Plenardebatte redet ausgerechnet Söder selbst den Abgeordneten gut zu. „Sie sollten Ihre Leistung in der Öffentlichkeit nicht schlechter reden“, sagt er. „Sie waren extrem fleißig.“ Wer diese Zitate nachliest, empfindet sie als gönnerhaft, sogar spöttisch. Im Saal klingt es nicht so, aber die Botschaft ist klar: Es wird weiter im Exekutivmodus regiert werden, denn die Gefahr ist nicht gebannt. Allenfalls eine wöchentliche Fragestunde bietet Söder dem Landtag an, befristet auf die Zeit der Pandemie.
Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber sorgte für Unmut, weil sie trotz Lockdowns nach München fuhr.
Coronavirus in Bayern: Koalitionspartner wirft Söder mangelnde Kommunikation vor
Söders Auftritt, seit März die dritte Corona-Regierungserklärung, ist dennoch leiser als sonst. Moll und Mahnung, nicht schrill. Bei ihm ist angekommen, dass sein mediales Trommelfeuer der letzten sieben Tage arg laut war. „Ich will keinen Alarmismus, keine Endzeitstimmung, aber auch keinen naiven Optimismus.“ Leise erklärt er: „Bitte täuscht sich keiner. Es kann ganz, ganz schnell gehen.“ Er warnt dringend davor, auf eine verlockende Strategie der „Durchseuchung“ reinzufallen. „In Schweden haben die Älteren den Preis gezahlt. Stockholm hatte 16 Mal so viele Todesfälle pro 100 000 Einwohner wie München.“ Bayern sei „ein Sozialstaat, kein Ego-Land“.
Trotzdem knirscht es an diesem Tag auch in der Koalition. Florian Streibl, Fraktionschef der Freien Wähler, lobt vom Pult aus tapfer die Arbeit der Staatsregierung. Im kleinen Kreis vor der Tür des Plenarsaals klingt er aber anders. Dass Söder wieder neue Regeln verkündet, eine Verschärfung ab der Inzidenz 100, ärgert die Freien Wähler schwer. Streibl erzählt Journalisten, noch am Vortag sei der Koalitionsausschuss zusammengesessen, Söder habe kein Wort davon gesagt. „Man muss über so was reden“, sagt er. „Ich weiß nicht, wie sinnvoll das sein soll.“ *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.