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Corona-Durchseuchung bei Kindern? Infektiologe sieht Gefahr bei anderen Viren - und rät zur Impfung

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Von: Veronika Mahnkopf

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Kind Tauschentuch Corona
Eine Infektion mit dem Coronavirus verläuft bei Kindern meistens sehr milde. © Imago

Kommt jetzt die große Corona-Welle bei den Kindern? Manchen Eltern graut bereits vor den kommenden Herbst- und Wintermonaten. Wie groß ist die Gefahr? Und wie mit ihr umgehen?

München - Über die Hälfte der Deutschen ist gegen das Coronavirus geimpft und damit gut davor geschützt, schwer zu erkranken. Doch eine Bevölkerungsgruppe ist weiter außen vor: Kinder unter 12 Jahren. Und das, obwohl das Leben wieder an Fahrt aufnimmt, vieles möglich ist. Viele Eltern blicken deshalb sorgenvoll auf die kommenden Monate. Rollt die vierte Coronavirus-Welle vor allem durch Schulen und Kitas? Und: Wird hier eine sogenannte Durchseuchung der Kinder in Kauf genommen? Wir haben mit Prof. Johannes Hübner, Kinder-Infektiologe in der Abteilung Pädiatrische Infektiologie am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München, darüber gesprochen.

Herr Hübner, was zeigt die neueste Forschung? Wie krank macht SARS-CoV-2 Kinder? Und macht die Delta-Variante sie kränker?

Hübner: Wir können nach wie vor keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Varianten erkennen. Alle sind ansteckender als das Wildtyp Virus, aber das gilt für alle Altersgruppen in gleichem Maß. Ob Alpha oder Delta, das Fazit fällt gleich aus: Kinder erkranken meist asymptomatisch* oder sehr milde, schwere Verläufe sind sehr selten, Todesfälle eine absolute Rarität. Gestorbene Kinder hatten fast alle Grunderkrankungen.

Corona bei Kindern: Long Covid und PIMS sehr selten

Doch manche Kinder entwickeln PIMS (Pädiatrisches Inflammatorische Multiorgan-Syndrom)...

Hübner: Ja, das ist ganz klar ein Thema. PIMS beziehungsweise ähnliche Erkrankungsbilder kennen wir als übersteigerte Immunreaktion auf eine Infektion bei vielen Viren und auch Bakterien. Das Syndrom ist aber in den meisten Fällen gut behandelbar. Wir haben es in den vergangenen Monaten durch das Coronavirus ausgelöst häufiger gesehen, nach der Erfassung der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie waren es bisher 416 Fälle. Keines dieser Kinder ist in Deutschland bisher an PIMS gestorben, einige hatte Folgeschäden, die aber im Laufe der Zeit auch normalerweise ausheilen.

Johannes Hübner
Johannes Hübner, Leiter der Pädiatrischen Infektiologie im Haunerschen Kinderspital. © LMU München

Und was ist mit Long Covid bei Kindern? Ein umstrittenes Thema, oder?

Hübner: Ja, das ist eine schwierige Diskussion. Die Symptomatik ist häufig sehr vage definiert. Da ist von Konzentrationsstörungen, von Schlafstörungen, verminderter Belastungsfähigkeit die Rede. Aber auch besser definierte Symptome, die auf das Virus zurückzuführen sind, wie persistierender Husten oder Geschmacksverlust, kommen vor. Erstere sind alles aber auch Dinge, die man der allgemeinen Belastungssituation im Rahmen der Pandemie zusprechen kann. Tatsache ist, dass wir Kinder sehen, die langanhaltende Symptome haben, die sie schwer beeinträchtigen. Aber es sind bisher sehr, sehr wenige. Auf jeden Fall nicht zehn Prozent der erkrankten Kinder, wie man manchmal liest.

Infektiologe zu Corona-Herbst 2021: Fälle in Schulen dürften die Ausnahme bleiben

In München gibt es seit Juni eine Long-Covid-Ambulanz für Kinder* (ein Projekt der Kinderkliniken der Technischen Universität und der LMU). Waren schon Patienten da?

Hübner: Ja, wir haben da schon Kinder betreut, obwohl die Ambulanz offiziell erst nach den Ferien mit der Arbeit beginnt. Es waren aber bisher glücklicherweise noch nicht viele.

Sie sagen „noch“... Viele befürchten ja, dass das Coronavirus im Herbst und Winter durch Schulen und Kitas rauschen wird.

Hübner: Davon bin ich gar nicht überzeugt. Wir hatten im November und Dezember letzten Jahres sehr hohe Inzidenzen, keiner war geimpft und es wurde weniger getestet. In dieser Zeit haben wir unsere Schulstudien gemacht, die gezeigt haben: Fälle in Schulen sind die Ausnahme, und innerhalb der Schulen gab es von Kind zu Kind keine einzige Übertragung. Das kann es sicherlich geben, aber es ist die Ausnahme und mit der großen Mehrheit der Lehrer und hoffentlich auch der Eltern, die geimpft sind, wird sich die Problematik hoffentlich in Grenzen halten.

Corona und Kinder: „Schulen spielen keine wesentliche Rolle als Infektionsherde“

Also können Schulen und Kitas auf jeden Fall offen bleiben, auch wenn die vierte Welle an Fahrt aufnimmt?

Hübner: WHO und Robert-Koch-Institut sind sich einig: Schule kann und muss auch in Pandemie-Zeiten stattfinden. Natürlich mit Vorsichtsmaßnahmen, die in Bayern ja eher restriktiver ausfallen. Aber es ist möglich. Die Schweiz, Spanien, Frankreich haben die Schulen immer offen gelassen. Sehen Sie, es ging ja immer vor allem um die Sorge um die Älteren, die schwer erkrankt und gestorben sind. Diese Sorge ist uns jetzt genommen, jeder hat die Chance, sich impfen zu lassen. Schulen spielen keine wesentliche Rolle als Infektionsherde*, und wenn, dann tragen vor allem Lehrer das Virus ein. Deshalb ist es so wichtig, dass sich alle Erwachsenen impfen lassen. Auch um die Kinder zu schützen.

Manche Experten sorgen sich, dass die Kinder-Kliniken im kommenden Herbst und Winter überlastet sein werden, weil sogenannte respiratorische Atemwegserkrankungen wie Influenza im vergangenen Winter ausgefallen sind und nun explodieren könnten.

Hübner: Diese Sorge habe ich auch. Hat ein Kind Influenza oder RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus) durchgemacht, ist es meist einigermaßen geschützt. Das fehlt jetzt. In manchen Ländern wie England und USA kann man das schon beobachten, dass diese Erkrankungen bei Kindern stark zunehmen, auch außerhalb der normalen Wintersaison. Da steht uns ein heißer Herbst und Winter bevor. Kinderkliniken könnten an den Rand ihrer Kapazität gelangen, wobei das Problem wahrscheinlich weniger SARS-CoV-2, als vor allem die vielen anderen viralen Atemwegserkrankungen sein werden - oder auch die Kombination verschiedener Erreger, was im Moment gerade in den USA zu großen Problemen führt.

Grippe-Saison: Zahl der Kinder in Kliniken wegen anderer Atemwegserkrankungen wird wohl steigen

Brauchen wir also eher eine Kinderklinik-Ampel?

Hübner: Naja, das ist ja etwas, mit dem wir immer zu tun haben. Das Problem ist, dass man nur schwer Kapazitäten in Kinderkliniken* schaffen kann, die dann im Sommer leer stehen. Mein Rat ist als Vorsorge: Kinder sollten in diesem Herbst gegen Influenza geimpft werden. Dann fällt dieses eine Problem schon mal weg. Allein wegen Influenza sehen wir allein bei uns jährlich ca. 200 Kinder, wegen Covid-19 waren es 50.

Wann schätzen Sie, wird es mit einer Corona-Impfung für Unter-12-Jährige* soweit sein?

Hübner: Erste Studienergebnisse werden für Ende September erwartet. Ich denke, dass die EMA über die Zulassung sowie die STIKO über die Impfempfehlung bis Ende des Jahres entschieden haben. Sie werden wohl ähnlich ausfallen wie für die Zwölf- bis 15-Jährigen: Hier ist sie sehr wirksam und gut verträglich.

Kinder vor Corona schützen: die üblichen Maßnahmen - aber auch viel Spielen und Kontakte

Und bis dahin? Was empfehlen Sie Eltern?

Hübner: Ich würde es sicher nicht darauf anlegen, dass mein Kind sich infiziert, sondern die normalen und vorgegebenen Schutzmaßnahmen konsequent einhalten. Aber: Für Kinder sind Kontakte, Spielen, das normale Leben eben auch so wichtig, das muss man immer beherzigen. Man darf Kinder nicht von Kindern fernhalten. *Merkur.de/bayern und 24vita.de sind ein Angebot von IPPEN.MEDIA

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