Corona und Personalmangel: Wenn im Notfall kein Bett frei ist

Weil Bayerns Krankenhäuser unter Personalausfällen leiden, stehen auch Rettungsdienste immer öfter vor Problemen. Gesundheitsminister Holetschek schreibt die steigende Corona-Dynamik derweil auch dem Münchner Oktoberfest zu.
München – Für den Herzinfarkt von vergangener Nacht war eigentlich kein Platz. Die nächstgelegene Klinik hatte im System angegeben, dass kein Bett mehr bereit steht, in dem der Patient nach der Behandlung versorgt werden kann. Doch eine deutlich weitere Anfahrt zu riskieren, kam nicht infrage. Gemeinsam mit der Leitstelle beschloss Notfallsanitäter Martin Schwang (Name geändert) deshalb, den Mann trotzdem in die nahe Klinik zu fahren, „damit ihm dort zumindest ein Herzkatheter gelegt werden kann“. Die Nachsorge sei in einem Notfall erst einmal zweitrangig. Und solche Patienten ablehnen dürfe ein Krankenhaus nicht – egal, wie voll es ist.
„Wir können – anders als Fluglinien – nicht Patienten vor der Tür anstehen lassen“, bestätigt Clemens Wendtner unserer Zeitung. Der Chefarzt an der München Klinik in Schwabing sagt: „Das Gesundheitssystem in München steht unter Druck.“ Die Intensiv- und Notfallversorgung sei zwar noch weitgehend sichergestellt. Das gehe allerdings stark auf Kosten der Mitarbeiter. Und Notfallsanitäter Schwang, der nicht in München, sondern im Oberland im Einsatz ist, hat den Eindruck: „Nach dem Oktoberfest hat sich die Belegungssituation der Krankenhäuser auch auf dem Land deutlich erhöht.“
Der Hintergrund: Wenn sich die Münchner Kliniken im System abmelden – also angeben, keine freien Betten mehr zu haben – weichen die dortigen Rettungsdienste auf Kliniken im Umland aus. Deshalb würden sogenannte Zwangsbelegungen über die Köpfe der Krankenhäuser hinweg – wie im Herzinfarkt-Fall – seit einigen Wochen auch immer häufiger nötig. Auf der Suche nach freien Betten komme er sich vor wie „der Besenwagen des Gesundheitssystems“, sagt der Notfallsanitäter.
Dass die Belastung zuletzt wieder stark gestiegen ist, scheint unstrittig. „Besonders in Oberbayern ist die Situation höchst angespannt“, bestätigt ein Sprecher des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) unserer Zeitung. Und die Bayerische Krankenhausgesellschaft (BKG) sieht eine sich zuspitzende Situation in den Notaufnahmen.
Es sei klar gewesen, dass die Corona-Zahlen im Herbst wieder ansteigen, sagt Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) unserer Zeitung. „Und sicherlich hat auch das Münchner Oktoberfest seinen Teil dazu beigetragen, dass sich die Dynamik noch verstärkt hat.“ Es sei nun Aufgabe der Leitstellen, „je nach Belastung der Kliniken die Notfallpatienten in die nächste behandlungsbereite Klinik zu steuern“. Die Situation auf den Intensivstationen sei „aber noch deutlich entfernt von der angespannten Lage, die wir im vergangenen Winter erlebt haben“, sagt Holetschek.
Tatsächlich scheint das Problem diesmal vielschichtiger gelagert. „Die in den vergangenen Tagen gestiegene Inzidenz spüren wir auch in der Klinik“, sagt Chefarzt Wendtner. Rund 200 Covid-Patienten würden in Schwabing derzeit versorgt, davon über 20 auf Intensiv- und Überwachungsstationen – ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vormonat. „Auch wenn ein großer Teil der Patienten mit und nicht wegen Corona hospitalisiert ist, bleibt der Aufwand in der Isolation und Versorgung derselbe“, sagt Wendtner. Gleichzeitig steige die Zahl Corona-bedingter Personalausfälle. Und um in den Dienst zurückzukehren, brauchen die Mitarbeiter einen negativen Test. „Viele bleiben deutlich länger als fünf Tage infektiös und fehlen dann länger auch in Bereichen wie den Notaufnahmen oder den Intensivstationen“, sagt Wendtner. Zusätzlich fielen Kollegen aus, die ihre positiv getesteten Kinder zuhause betreuen müssten.
Die BKG nimmt zudem wahr, dass gerade in den Notaufnahmen auch wieder viele Patienten aufschlagen, die eigentlich beim Hausarzt richtig aufgehoben wären. Vorbei sind offenbar die Zeiten, als viele Menschen Krankenhäuser aus Corona-Angst mieden.
Auch Holetschek erkennt „eine äußerst schwierige Gemengelage“ für die Kliniken, zumal nicht nur Corona für Personalausfälle sorge, sondern auch die Grippe und schnöde Erkältungen. Man beobachte die weitere Entwicklung genau.