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Corona-Semester an Münchner Unis: Studenten kennen „kaum ein Gesicht“

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Von: Jonas Napiletzki, Cornelia Schramm

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Nikolaus Augustin Student Wirtschaftsmathematik LMU
Große Pläne hatte Nikolaus Augustin. Jetzt wohnt er im Elternhaus – und sehnt sich nach Stadt-Luft. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Ab dem Semester-Start pulsiert das Leben an Universitäten. Eigentlich. Denn schon zum dritten Mal bleiben die Hörsäle leer. Das Lernen klappt zwar gut – doch viele sind einsam.

München – Nikolaus Augustin kann sich noch gut an den Tag erinnern, an dem er die Ludwig-Maximilians-Universität zum ersten Mal betreten hat: „Alles ist so groß hier“, dachte er damals, Ende 2019 – dann kam Corona. Seitdem hat der Wirtschaftsmathematik-Student seine Uni nicht mehr von innen gesehen. Inzwischen hat sein viertes Semester begonnen, das halbe Studium ist vorbei. Von seinen großen Plänen ist wenig übrig geblieben.

Eigentlich hatte sich der 20-Jährige auf Großstadt-Luft, ein Auslandssemester, WG-Partys und neue Leute gefreut. Jetzt wohnt er noch immer in Wolfratshausen. „Im Lockdown bin ich lieber im großen Elternhaus mit Garten als in einer kleinen Stadtwohnung.“ Ohne Kurse vor Ort und die Möglichkeit langer Nächte – ob nun in der Bibliothek oder in der Kneipe – denken zu Beginn des dritten Online-Semesters viele Studierende ähnlich wie er.

Auslandssemester gestrichen: Lina Becker studiert im WG-Zimmer - „Stimmung nicht vergleichbar“

„Einige sind wieder nach Hause gezogen“, erzählt Lina Becker. Sie findet das verständlich. „Man sitzt ja seit gut einem Jahr nur allein am Schreibtisch vor dem Laptop.“ Die 23-Jährige ist ebenfalls Viertsemester und studiert Gesundheitswissenschaften an der Technischen Universität. Wegen der Pandemie hat Becker zwar ihre Pläne für ein Auslandssemester verworfen. Der Online-Unterricht in ihrem Münchner WG-Zimmer klappt aber gut – oft ist sie sogar weniger abgelenkt. „Aber die Stimmung ist nicht mit vorher zu vergleichen.“

Lina Becker, Studentin TU München Gesundheitswissenschaften
Allein am Schreibtisch: Lina Becker kann sich gut konzentrieren, die Uni-Stimmung fehlt ihr aber. © Privat

Auch Nikolaus Augustin nimmt an Videokonferenzen teil. Zwar wird der Stoff gut vermittelt, Kommilitonen lernt der 20-Jährige dort aber nicht kennen. Fast alle Kameras und Mikrofone sind aus. „Und dann schweigt jeder“, sagt er. Eine komische Situation. Der ganze Jahrgang bleibt gesichtslos und stumm. „Ich bin froh, dass mein erstes Semester ganz normal war und ich einen stabilen Freundeskreis aufgebaut habe“, sagt auch Becker. Wer jetzt mitten in der Pandemie mit dem Studieren beginnt, tut ihr leid. Um Leute kennen zu lernen und in einer neuen Stadt anzukommen, sind Kurse, Feiern oder Sportangebote unerlässlich. Das alles fällt gerade flach.

Bayern: Wissenschaftsminister sieht Universitäten gut vorbereitet - Studierende sind aber oft einsam

Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler erklärte zum Semesterstart: „Unsere Hochschulen sind sehr gut vorbereitet, um erneut den Spagat zwischen erfolgreichem Studienfortschritt und Gesundheitsschutz zu schaffen.“ Mit der digitalen Lehre klappt es an den Unis tatsächlich gut, Studierende lernen ohnehin größtenteils selbstständig. Das bestätigen auch Augustin und Becker. Doch für Neu-Münchner gestaltet sich der Studienstart oft einsam.

Mit der Fachschaft versuchte Becker mit virtuellen Partys, Quiz-Abenden und Lauf-Challenges etwas Starthilfe zu leisten. Ein Teilnehmer war Philipp Hartmann. Der 24-Jährige ist im Herbst von Nürnberg nach München gezogen, um Sportwissenschaften an der TU zu studieren. Die Aktionen fand er gut, ersetzen konnten sie den persönlichen Kontakt aber nicht. „Jetzt beginnt mein zweites Semester und ich kenne kaum ein Gesicht“, sagt er. Im Sommer belegt er den Kurs „Ski Alpin“. Theorie, aber auch Ausdauer-, Kraft- und Koordinationstraining – all das läuft gerade virtuell. „Aber ich hoffe, dass das bald unter freiem Himmel und in Kleingruppen klappt.“

Philipp Hartmann Student TU Muenchen
Saison ausgefallen: Philipp Hartmann studiert Sportwissenschaften und vermisst das Training. © Marcus Schlaf

Nicht nur auf neue Freunde hatte sich der Nürnberger* gefreut, auch auf die Nähe zu den Bergen. Aber da die Ski-Saison nun schon zum zweiten Mal ausgefallen ist und Fitnessstudios geschlossen sind, hat der Sportler gerade noch ein weiteres Problem: „Im Lockdown habe ich stark zugenommen. Statt 87 wiege ich 108 Kilogramm“, erzählt er.

Corona-Semester an den Universitäten: Studierende hoffen auf Mix aus Präsenz- und Onlinekursen

In jeder Hinsicht setzt Hartmann deshalb große Hoffnung auf den Sommer – und die Schnelltests. „Ich bin bereit, acht Stunden Maske zu tragen und mich regelmäßig testen zulassen – die Schulen dürfen ja auch öffnen“, sagt er. Mit 400 Kommilitonen will sich Hartmann nicht den Hörsaal teilen – aber möglichst viel Präsenz wünscht er sich schon. „Auch die Unis brauchen Perspektiven“, fordert er.

Einen Mix aus Online- und Präsenzkursen würde sich auch Augustin wünschen. Becker hofft ebenfalls auf Alternativen zum Unterricht am heimischen Schreibtisch: „Aus dem Haus zu gehen, gibt dem Alltag ja auch Struktur und mindert die psychischen Belastungen unter den Studenten.“ (cos/nap) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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