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Kinder sind Coronaviren-Schleudern: Stimmt das überhaupt?

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Von: Veronika Mahnkopf

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Kitas und Grundschulen bleiben in der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit geschlossen. Aber warum eigentlich? Sind Kinder überhaupt die befürchteten Virenschleudern?

Was nach arger psychischer Belastung klingt, ist es auch. Und auch die Kinder leiden. Alle Aktivitäten, der sie vor der Corona-Pandemie nachgegangen sind, haben sie von heute auf morgen verloren: gemeinsames Lernen, spielen mit anderen Kindern, toben auf Spielplätzen, Kicken auf Fußballplätzen, Treffen mit Freunden oder Ausflüge mit der Familie

Corona-Pandemie: Kinder sind in Supermärkten oft nicht erwünscht

Geblieben ist: Seit 20. April darf ein Kind wieder mit einem anderen Kind draußen spielen. Zuvor war jeder haushaltsferne Kinder-Kontakt verboten. Nicht gern gesehen ist weiterhin der Aufenthalt in der Öffentlichkeit - einkaufen gehen zum Beispiel. In so manchem Supermarkt wird mit Schildern deutlich gemacht, dass Kinder hier nicht erwünscht sind. 

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Ansonsten bleibt weiter vor allem: spazieren gehen mit den Eltern, hier und da eine kleine Radltour. Aber bitte ohne stehen zu bleiben oder gar eine Brotzeit zu machen. All das gilt natürlich nur für Kinder, deren Eltern fürsorglich und verantwortungsbewusst sind. Für Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen sieht die Situation noch einmal ganz anders aus. Eine Ende dieser Lebenswirklichkeit für Kinder in der Corona-Pandemie ist in jedem Fall dabei nicht in Sicht - und wird auch nicht diskutiert (im Gegensatz zum Beispiel zur Wiesn-Absage in der Corona-Pandemie).

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Kinder gelten in Corona-Pandemie als Virenschleudern - doch sind sie das wirklich?

Warum das alles? Weil Kinder in der Corona-Pandemie als Antreiber der Infektion gelten. Weil sie das Virus unbemerkt in sich tragen und andere anstecken können. Und weil sie sich - je nach Alter - nicht an Abstandsregeln und Hygiene halten können. Soweit die Annahme. Doch ist sie gerechtfertigt? Wir haben darüber mit Prof. Dr. med. Johannes Hübner gesprochen. Er ist Kinder-Infektiologe in der Abteilung Pädiatrische Infektiologie am Dr. von Haunerschen Kinderspital in München.

Kinder gelten allgemein als unbemerkte Virusträger in der Corona-Pandemie. Richtig? 

Kinder sind sicher häufig auch nicht-symptomatische Virusträger. Wie häufig, wissen wir allerdings noch nicht so genau- wahrscheinlich so zwischen 20 und 40%. Wir wissen aber auch bei Erwachsenen nicht, wie viele das Virus nur in sich tragen, ohne Symptome zu zeigen.

Gibt es überhaupt wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. Untersuchungen, die die Annahme stützen, Kinder seien Treiber der Pandemie?

Es gibt Haushaltskontakt-Studien aus Island und Italien, bei denen die Übertragungen in Familien untersucht wurden. Dabei hat man gesehen, dass bis zu 40 Prozent der Kinder Virusträger sind, häufig asymptomatisch. Das scheint hoch zu sein, es gibt dabei aber keinen wesentlichen Unterschied zu Erwachsenen.

Das heißt, Kinder sind nicht häufiger Überträger von Sars-CoV-2 als Erwachsene?

Kinder sind in dieser Hinsicht sicher nicht überrepräsentiert. Ich habe selbst Erfahrungen durch die Untersuchung der Familien im Zusammenhang mit dem Webasto-Fall (Anm. d. Red.: Im Februar kam es bei einem Mitarbeiter der Firma Webasto in Stockdorf zur aktuell angenommenen ersten Infektion mit Sars-CoV-2 in Deutschland). Die Kinder haben sich in diesem Fall in den Familien, bei den Erwachsenen angesteckt. Es ist anzunehmen, dass normalerweise Erwachsene das Virus in die Familien tragen und dort an weitere Famlienmitglieder übertragen.

Wäre es sinnvoll, Kinder großflächig zu testen, um die Annahme, Kinder seien unbemerkte Träger, sogenannte Spreader, zu untermauern bzw. zu widerlegen?

Kinder sind bisher überhaupt zu wenig untersucht worden. Das ändert sich jetzt langsam. Wir testen alle Kinder, die in die Klinik kommen, auch um neue Informationen über das Virus und seine Übertragung zu sammeln. Und sicher wäre es auch sinnvoll, Kindertageseinrichtungen oder auch Familiensysteme zu untersuchen.

Wird es dahingehend jetzt mehr Studien geben?

Bestimmt. Das ist hochspannend und kann auch relevant sein für die Entwicklung von Therapien. Denn Kinder haben sehr selten schwere Verläufe, es gibt kaum Todesfälle. Warum das so ist, weiß man noch nicht.

In der Schweiz oder auch in Island hat man Kitas und Grundschulen nie geschlossen. Was halten Sie von diesem Weg?

Ich denke, dass die Übertragungen in Kitas und Grundschulen tatsächlich nicht so signifikant sind. Man hat damit argumentiert, dass Kinder sich schwer an Hygienemaßnahmen halten können. Dabei können sich kleine Kinder durchaus regelmäßig die Hände waschen, und auch Grundschüler zum Beispiel eine Maske tragen. In Kitas kann man auch andere Spielsachen anschaffen, die weniger in den Mund genommen werden. Und man kann manches Spielzeug auch regelmäßig in der Spülmaschine waschen.

Kinder übertragen Sars-CoV-2 also offenbar nicht häufiger als Erwachsene und können durchaus mit Hygieneregeln umgehen - warum sind Kitas und Grundschulen also weiter geschlossen?

Man hat diese Entscheidung getroffen, weil man die Pandemiepläne für Influenza als Blaupause verwendet hat. Die Infektionen sind schon ähnlich. Sie machen ähnliche Symptome. Aber es sind verschiedene Viren. Bei der Influenza gelten Kinder als Reservoir. Bei dieser neuen Pandemie mit einem bisher vollkommen unbekannten Erreger ergeben sich immer mehr Informationen, dass Übertragung und Epidemiologie was Kinder anbelangt bei Sars-CoV-2 anders sind. Der Analogieschluss Influenza ist gleich Coronavirus ist gleich Schul- und Kindergartenschließungen ist nachvollziehbar, muss jetzt aber in Anbetracht der neuen Studien und Beobachtungen überdacht werden.

Denken andere Infektiologen auch so?

Ich glaube nicht, dass ich damit allein stehe. Es kommen täglich neue Informationen über das Virus und die müssen wir im Auge behalten

.

Und wann kommt das bei der Politik an?

Politiker fahren auf Sicht und müssen Entscheidungen treffen aufgrund unvollständiger Informationen. Ich bin froh, dass ich das nicht entscheiden muss. Aber ich hätte empfohlen, die Kindergärten und Grundschulen zuerst zu öffnen. Denn kleine Kinder leiden unter den momentanen Vereinzelungsmaßnahmen mehr als ältere und Erwachsene.

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Dr. Tobias Reploh ist Kinderarzt in Bad Tölz. Anlässlich der Corona-Lockerungen in Schulen und Kindergärten gibt er Tipps für Eltern* - und spricht über Symptome, die aufhorchen lassen sollten.

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