Streit um Corona-Lockdown: Ein Professor nervt den Bayerischen Ethikrat

Ein Professor legt sich quer: Der Ökonom Christoph Lütge ist Mitglied im Bayerischen Ethikrat, der die Söder-Regierung berät. Er fällt mit scharfer Kritik auf – vielen ist es zu scharf.
- Der Münchner Wirtschaftswissenschaftler Christoph Lütge ist Mitglied im Bayerischen Ethikrat.
- Er fällt mit provokativen Thesen zur Corona-Sterblichkeit von Senioren auf und kritisiert den Lockdown scharf.
- Das missfällt der CSU und anderen Ethikrat-Mitgliedern.
München – Nach 6534 Tweets auf Twitter reichte es Christoph Lütge: Er werde jetzt mal „eine Pause einlegen“, schrieb der Professor für Wirtschaftsethik an der Technischen Universität München am vergangenen Samstag. Zuvor hatte er seine Positionen noch mal kurz zusammengefasst: Nein, Corona sei „nicht ungefährlich“, aber die meisten Maßnahmen wie Lockdown, Geschäftsschließungen und auch die Maskenpflicht halte er für „unnötig“ und „völlig unverhältnismäßig“. Und das müsse man ja wohl noch sagen dürfen, „ohne gleich in irgendwelche Ecken gestellt zu werden“.
Rumms – da reagiert jemand empfindlich. Lütge ist mit 17 anderen Wissenschaftlern Mitglied im Bayerischen Ethikrat, einem Gremium, das Ministerpräsident Markus Söder Anfang Dezember einberufen hatte. Es soll Söder und seine Minister „in den entscheidenden Zukunftsfragen unserer Gesellschaft“ beraten. Bisher hat es nur einmal getagt – drei Stunden lang über die Geschäftsordnung, wie die Vorsitzende des Rats, die ehemalige evangelische Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, leicht genervt sagt. Seitdem hat man nichts mehr vom Ethikrat gehört – mit einer Ausnahme: Christoph Lütge. Via Twitter und Interviews ergoss sich ein wahrer Lütge-Shitstorm über die Corona-Beschlüsse. Besonders aufmerksam – und mit Befremden – wurde Lütges Meinung zum Sterben alter Menschen registriert. Dem BR sagte der 51-Jährige: „Das Durchschnittsalter der Corona-Toten liegt bei etwa 84 Jahren und da stirbt man an Corona oder auch an etwas anderem. So ist es nun einmal. Menschen sterben.“
So ist es nun einmal. Menschen sterben.
Für Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) ist hier eine Grenze überschritten. Er ließ sich mit den Worten zitieren, „mit seinen fragwürdigen Beiträgen“ überschreite Lütge die Grenze eines fachlich fundierten Diskurses. Auch die TU ging – höchst ungewöhnlich – zu einem ihrer Professoren öffentlich auf Distanz. Lütge vertrete nicht die Ansicht der Uni-Leitung. Und Susanne Breit-Keßler sagt: „Ich halte es für inakzeptabel, zu sagen, dass Menschen, die 84 oder 86 sind, ja demnächst eh sterben.“ Das berühre Grundrechte. „Das Recht auf Leben hat man auch mit 112.“ Zur Person Lütges will sie ansonsten nichts sagen. Wie man hört, hat sie Lütge aber zweimal ermahnt, er möge seine Äußerungen doch von seiner Mitgliedschaft im Ethikrat strikt trennen.
Zwei weitere Gremien mischen mit
Der Ethikrat war ursprünglich gar nicht geschaffen für die Pandemie-Beratung. Das übernehmen zwei Gremien, die öffentlich kaum bekannt sind, weil sie im Geheimen tagen. Susanne Breit-Keßler ist Vorsitzende auch dieser beiden Gremien: dem „Dreierrat Grundrechtsschutz“ und dem 15-köpfigen „Runden Tisch Corona“. Beide Gremien mischen sich, zum Teil wöchentlich, in die aktuelle Corona-Politik ein – nicht immer zum Vergnügen des Söder-Kabinetts. So ist der Dreierrat zum Beispiel eingeschritten, als Söder die Zeitungskioske schließen wollte – das wäre mit dem Grundrecht auf Pressefreiheit kaum vereinbar. Die große Bühne sucht das Gremium indes nicht. Breit-Keßler drückt es so aus: „Niemand hat das Bedürfnis, sich wichtigzumachen.“
Lütge bleibt trotz Kritik bei seiner Meinung
Das zielt schon gegen Lütge, der auf Nachfrage bei seinen Thesen bleibt: Er wolle kein Öl ins Feuer gießen, aber: „Wir können das Sterblichkeitsalter bei Corona nicht ignorieren“, der Großteil der Corona-Toten sei nun mal in Alten- und Pflegeheimen zu beklagen. Er wolle einen Ethikrat, der ohne Vorgaben agiere. „Ich will keine Beratung der Staatsregierung hinter verschlossenen Türen.“ Aufgabe des Gremiums sei es nach seinem Verständnis auch, zu tagesaktuellen Corona-Themen Stellung zu beziehen, etwa zu den „problematischen“ Schulschließungen oder den Ausgangssperren ab 21 Uhr („Maßnahme eines Überwachungsstaates“). Viel Stoff also für die nächste Sitzung des Ethikrats am 26. Februar.