Innovation auf dem Bauernhof: Die Senioren-WG neben dem Kuhstall

Immer mehr Landwirte in Bayern setzen auf ein zweites, soziales Standbein. So wie Familie Strein, auf deren Hof in der Nähe von Wolfratshausen pflegebedürftige Senioren in einer WG direkt neben dem Kuhstall leben und die familiäre Atmosphäre genießen.
Happerg – Nach dem Mittagessen kommen die Würfel auf den Tisch. Elisabeth Reitberger, 52 Jahre alt, Hauswirtschafterin, hat das „Mensch ärgere dich nicht“-Brett ausgepackt. „Mutti“ nennen sie die Bewohner hier nur. Mit auf der Jagd nach dem gewürfelten Sechser: Ihre „Hundsbuam“, der 84-jährige Adi und der 81-jährige Bertl. Während des Spielnachmittags bei Marmorkuchen und Saftschorle dringt ab und an ein dumpfes Geräusch in die zur Küche umgebauten ehemaligen Milchkammer. Denn hinter der Wand tummeln sich die 13 Mutterkühe der Familie Strein mit ihren Kälbern im Stall und warten darauf, den Sommer auf der Weide verbringen dürfen.
Maria und Josef Strein haben auf ihrem Hof im Weiler Happerg im Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen eine Pflegeeinrichtung für Senioren geschaffen. Soziale Landwirtschaft nennt sich das Konzept, bei dem Bauernfamilien mit Einnahmen aus sozialen Angeboten versuchen, ihren Betrieb zu erhalten. Ein inklusiver Bauernhof-Kindergarten in Bruckmühl. Ein Therapie-Bauernhof für Jugendliche mit psychischen Problemen in Finning bei Landsberg. Oder eben die Happerger Senioren-WG. Schon mehr als 150 Landwirte in Bayern setzen neben Stall und Acker auf die soziale Schiene.
Pflege erst für die eigenen Eltern, dann auch für andere
Das bayerische Landwirtschaftsministerium will dieses Engagement fördern, heute und morgen findet zu dem Thema eine Online-Fachtagung statt. „Wenn wir auf der einen Seite hilfreiche soziale Angebote und auf der anderen Seite neue Erwerbsquellen für die Landwirtschaft schaffen können, lohnt es sich, dem vertieft nachzugehen“, sagt Ministerin Michaela Kaniber (CSU). Das soziale Engagement der Landwirte sei für die Gesellschaft enorm wichtig und mache sie stolz.

Die Idee zur Tagespflege auf dem Bauernhof kam der Happerger Bäuerin Maria Strein, als ihre Eltern vor einigen Jahren plötzlich selbst auf einen Pflegedienst angewiesen waren. „Ich konnte mich wegen einer Hüftoperation nicht selbst kümmern.“ Als ihr Vater 2016 starb, fragte sie sich, ob sie die Pflege am Hof auch für andere Menschen anbieten könnte. Die Idee zur Pflege-WG war geboren.
Ihre Landwirtschaft führen die Streins im Nebenerwerb. Die Milchviehhaltung haben sie bereits vor 15 Jahren aufgegeben, und von den 13 Mutterkühen und gut 14 Hektar Fläche alleine lässt sich nicht leben. Die Senioren-WG, für die Familie Strein Miete bekommt (für die Pflege der Senioren kommt die Kasse auf), ist ein Baustein, um den Hof nicht aufgeben zu müssen.
„Ich möchte hier nicht mehr weg.“
Betreut werden die fünf Bewohner, zurzeit vier Männer und eine Frau, vom Eurasburger Pflegedienst „Daheim statt im Heim“. Eine Pflegerin wohnt auf dem Bauernhof, dazu kommt täglich aus dem Nachbarort die gelernte Dorfhelferin Elisabeth Reitberger und sorgt für Verpflegung und gute Laune. „Wir sind eine Familie“, sagt sie über den Zusammenhalt auf dem Hof. „Ich möchte hier nicht mehr weg.“
Im Gang des zur Pflege-WG umgebauten alten Bauernhauses aus dem 17. Jahrhundert hängen die Fotos der aktuellen und ehemaligen Bewohner und Pfleger. Daneben eine kleine Auswahl der unzähligen Puzzles, die der 84-jährige Adi so gerne Stück für Stück zusammensetzt. Am liebsten Motive mit Bergblick. „Uns geht’s gut hier“, sagt er. „Wie daheim, nur dass man bedient wird“, sagt sein WG-Kollege, der zeit seines Lebens bekennende Junggeselle Bertl, und grinst. Durchgeimpft sind sie alle. Fehlt nur noch die Sonne, damit der tägliche Spaziergang endlich wieder möglich ist.
Die Enkel kommen, um die Ziegen Hiasl und Traudl streicheln zu dürfen
Das vom Nebenzimmer mal die Kühe muhen oder vor der Tür der Misthaufen dampft, das gehört hier dazu, sagt Maria Strein. So fällt für die Bewohner auch mal frisches Obst von den Apfelbäumen am Hof ab – oder das Fleisch von einem geschlachteten Stier. Außerdem kommen die Enkel der Bewohner gerne zu Besuch, wenn sie dabei auch noch die Kälber oder die Ziegen Hiasl und Traudl streicheln dürfen. „Es geht einfach familiärer zu hier als in einem großen Pflegeheim“, sagt Maria Strein.
Sie hat es nie bereut, den Schritt vor gut vier Jahren gewagt zu haben. Die 60-Jährige könnte sich sogar vorstellen, die Senioren-WG noch weiter auszubauen. Aber dafür braucht es mehr Platz. Und deshalb muss sie sich erst noch mit der Denkmalschutzbehörde einig werden. Aber bis dahin werden Adi und Bertl mit Mutti Elisabeth erst noch den ein oder anderen Sechser würfeln.