Jahrestag der Rekordflut in Bayern

Passau - Im Mai 2013 versinkt Bayern im Wasser: Das schlimmste Hochwasser seit Jahrhunderten flutet den Freistaat. Die Katastrophe raubt vielen Haus und Hof - noch immer sind nicht alle Spuren beseitigt.
Schön sind sie nicht, dafür aber sicher. So urteilen viele Bewohner des oberbayerischen Städtchens Kolbermoor über die rostfarbenen Spundwände und die Wälle aus Beton, die ein Jahrhunderthochwasser wie

vor einem Jahr verhindern sollen. 1800 Tonnen Stahl wurden seitdem entlang der Mangfall verbaut, 20 000 Kubikmeter Kies ausgebaggert, um das Flussbett zu vertiefen. „Wenn so ein Hochwasser wie vor einem Jahr wieder passieren würde, müsste Kolbermoor nach menschlichem Ermessen verschont bleiben“, ist sich Rathaussprecher Christian Poitsch sicher.
Anfang Juni 2013 brach über die Stadt im Landkreis Rosenheim die Flut herein - 80 000 Liter Wasser pro Sekunde schossen auf dem Höhepunkt des Hochwassers über den Mangfalldamm. Ganze Wohngebiete wurden geräumt, die Menschen kamen in Schulturnhallen unter. An Unterricht war ohnehin nicht zu denken, Abiturprüfungen mussten verschoben werden. Anderthalb Meter hoch stand das Wasser in vielen Straßen und Gärten. Damals bewilligte der Freistaat dem Städtchen sechs Millionen Euro Soforthilfe - Geld, mit dem nach Angaben von Christian Poitsch rund 1200 Gebäude saniert werden mussten.
Am schlimmsten wütet die Flut im Landkreis Deggendorf
Am schlimmsten trifft die Flut im Frühsommer 2013 den niederbayerischen Landkreis Deggendorf: Dort mussten 150 Häuser nach der Hochwasserkatastrophe abgerissen werden, der Schaden beträgt unvorstellbare 500 Millionen Euro. "Die vorhergesagten Regenfälle Ende Mai waren in dieser Dimension noch nie dagewesen", sagt Landrat Christian Bernreiter (CSU), der damals Katastrophenalarm im Landkreis auslösen musste. Die Folgen für die Menschen seien dramatisch gewesen: "Vor allem in Fischerdorf wollten einige Menschen auch nach dem Dammbruch nicht ihre Häuser verlassen. Sie haben einfach nicht mit so einer Dimension gerechnet", so Bernreiter. "Als dann der Strom ausfiel, die Möbel im Erdgeschoss umfielen und das Wasser bis in die erste Etage stieg, mussten sie mit Hilfe von Booten der Wasserwacht, THW und DLRG gerettet werden. Die dramatischste Aktion gab es aber wohl bei Winzer, nur rund 100 Meter vom Deichbruch entfernt. Dort wurde ein Traktor vom Wasser umspült und auf dem Güllefass saßen einige Menschen. Sie mussten mit Seilwinden von einem Hubschrauber gerettet werden."
Ein Jahr nach dem Hochwasser: So geht es den Bürgern Deggendorfs heute
Wie durch ein Wunder gab es 2013 im gesamten Landkreis keine Toten oder Schwerverletzten. Doch das psychische Leid vieler Bewohner wiegt noch immer schwer. "Die Ereignisse sitzen bei zahlreichen Leuten tief. Die Einnahme von Psychopharmaka ist bei uns deutlich angestiegen. Viele sind in psychologischer Behandlung", erklärt Landrat Bernreiter. "Als besonders furchtbar schildern die Betroffenen die Todesschreie der vielen Tiere, die in den Fluten ertrunken sind. Sie sagen, dass sie dies ihr Leben lang nicht mehr vergessen." Aus der Katastrophe haben Lokalpolitiker und Einsatzkräfte ihre Lehren gezogen: In zwei Jahren soll eine Lücke am Isardeich geschlossen werden. Zudem sind mehrere Flutpolder in Planung, die im Ernstfall mehrere Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen können. Klar ist laut dem Landrat aber auch eines: "Wir dürfen die Menschen nicht in Sicherheit wiegen. Die Natur werden wir nie zu 100 Prozent beherrschen."
Jahrhundert-Hochwasser in Bayern - Chronologie der Katastrophe
27.05.2013: Die Behörden warnen nach tagelangem Dauerregen vor Hochwasser. In der Oberpfalz und in Franken sind bereits die ersten Gewässer über die Ufer getreten.
31.05.: In Oberfranken laufen Keller voll. Das Umweltministerium richtet einen „Arbeitsstab Hochwasser“ ein. Dieser ordnete an, Wasser aus Stauseen abzulassen, um Platz für neue Wassermassen zu schaffen. An der Autobahn 73 zwischen Forchheim und Coburg in Oberfranken werden Sperren aufgestellt, weil die Fahrbahn überflutet wurde. Der Hochwassernachrichtendienst meldete am Weißen Main und an der Altmühl örtlich die höchste Meldestufe vier.
02.06.: Tagelanger Dauerregen und anschwellende Flusspegel überfordern zusehends die Einsatzkräfte in Passau und Rosenheim. Beide Städte rufen Katastrophenalarm aus. Bereiche der Passauer Altstadt sind überflutet. Die Stadt hat um Unterstützung der Bundeswehr gebeten. Teile Rosenheims und Kolbermoors werden evakuiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verspricht den vom Hochwasser am stärksten betroffenen Ländern die „volle Unterstützung“ der Bundesregierung.
03.06.: Tausende Einsatzkräfte kämpfen gegen das Hochwasser. Sie werden von 650 Bundeswehr-Soldaten unterstützt, weitere 350 Soldaten sollen noch dazukommen. Aus der Dreiflüssestadt Passau werden die schlimmsten Fluten seit 1501 gemeldet. Am Mittag steigt der Donau-Wasserstand auf 12,50 Meter und übertrifft das Jahrhundert-Hochwasser von 1954 um 30 Zentimeter. Nur im Jahr 1501 war das Wasser mit etwa 13,20 Metern noch höher gewesen. Normal für die Jahreszeit wären bis zu 4,50 Meter. Die Trinkwasser-Versorgung wird gesperrt, ein Gefängnis evakuiert.
04.06.2013: Beim Besuch in Passau sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Hochwasseropfern schnelle finanzielle Hilfen zu. In Regensburg erreicht die Donau einen Stand von 6,79 Meter, so hoch wie seit mehr als 130 Jahren nicht mehr. Die Welterbestadt ruft den Katastrophenfall aus, bleibt aber weitgehend von Überflutungen verschont. Im Landkreis Deggendorf bricht ein Damm, die Autobahn 3 zwischen Passau und Nürnberg wird nach Überflutungen gesperrt. Der Deggendorfer Stadtteil Fischerdorf wird überschwemmt.
05.06.: Der vom Donauhochwasser teilweise überschwemmte Landkreis Deggendorf ist nach der Teilsperrung der A 92 fast vollständig vom Umland abgeschnitten. In der Region Deggendorf und Straubing mussten Tausende Menschen ihre Häuser verlassen. Einige werden mit Boot oder Hubschrauber von ihren Hausdächern gerettet. Im Freistaat sind 2000 Bundeswehrsoldaten, 1300 Helfer des Roten Kreuzes und 25 000 Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr im Einsatz. In Passau entspannt sich langsam die Lage. Die Bewohner haben auch wieder Trinkwasser.
Landunter in Bayern - Bilder der Hochwasser-Katastrophe
06.06.: Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) macht sich bei einem Flug über das Krisengebiet ein Bild der Lage. „Es ist unbeschreiblich schlimm. Das übersteigt alle Dimensionen“, sagt er. In Deggendorf wird eine Wasserbrücke eingerichtet. Mit Hilfe von Booten können die Betroffenen das Wichtigste aus ihren überschwemmten Häusern holen.
07.06.: Die Hochwasserlage im Freistaat entspannt sich langsam. Nur in der Region Deggendorf und Straubing ist die Situation weiter angespannt. In Fischerdorf bedroht vor allem ausgelaufenes Heizöl die Häuser. Unterdessen läuft die Auszahlung der Soforthilfen in Höhe von insgesamt 150 Millionen Euro auf Hochtouren.
15.06.: Der Passauer Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD) beschwert sich beim Umweltministerium über mangelhafte Vorhersagen zum Jahrhunderthochwasser. Das Ministerium weist die Vorwürfe zurück: Der Hochwassernachrichtendienst habe frühzeitig und mit ziemlich genau vorhergesagten Wasserständen vor dem Hochwasser gewarnt.
17.06.: Zwei Wochen nach den großflächigen Überflutungen entspannt sich die Lage in Deggendorf. Das Wasser fließt langsam zurück.
26.11.: Die Hochwasserkatastrophe hat in Deutschland eine immense Spendenbereitschaft ausgelöst. Allein bei der Aktion Deutschland Hilft gingen 39 Millionen Euro ein.
dpa