Bayerische Studie zu Hate Speech: Jeder Zehnte Opfer von Hass-Nachrichten

Das bayerische Sozialministerium hat eine Studie zu Hate Speech in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse sind alarmierend.
Die Menschen, die bei Wanda Valenta anrufen, haben oft große Angst – und sind fast immer verzweifelt. Die Psychologin arbeitet bei der gemeinnützigen Organisation „HateAid“. Sie und ihr Team betreuen Menschen, die von digitaler Gewalt betroffen sind. Personen des öffentlichen Lebens wie Politiker machen nur einen kleinen Teil der Anrufer aus, berichtet sie.
„Das sind etwa 15 Prozent.“ Die meisten Hilfesuchenden sind Privatpersonen. Manchmal werden sie von Ex-Partnern online angegriffen oder beschimpft, manchmal haben sie erfahren, dass Nacktbilder von ihnen im Internet kursieren. Manchmal werden sie rassistisch beleidigt – oder wegen ihres Berufs. „Die Zahl der Anrufer, die im medizinischen Bereich arbeiten, hat stark zugenommen“, berichtet Valenta.
Die Pandemie habe den Ton aufgeheizt. Immer häufiger komme es vor, dass medizinisches Fachpersonal sogar von Bedrohungen berichte. Vielleicht auch, weil der Suizid der österreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr das Thema mehr ins Bewusstsein geholt hat. Die 36-jährige Hausärztin war monatelang beleidigt und bedroht worden, weil sie über Corona aufklärte und Patienten impfte. Auch insgesamt haben die Fälle bei der Beratungsstelle stark zugenommen, berichtet Valenta weiter. „Wir wissen nicht, ob es daran liegt, dass es mehr digitale Gewalt gibt oder ein größeres Problembewusstsein.“
Wir müssen das Bewusstsein in der Bevölkerung dafür schärfen, dass es sich bei Beleidigungen und Bedrohungen um keine Kavaliersdelikte handelt.
Das bayerische Sozialministerium wollte genau das herausfinden – und hat eine Studie in Auftrag gegeben. Tausend Bayern wurden zu ihren Erfahrungen mit dem Thema „Hate Speech“ befragt. Die Ergebnisse seien alarmierend, sagte Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) gegenüber unserer Zeitung. Jeder Zehnte wurde bereits Opfer von Anfeindungen oder Beleidigungen (11 Prozent). Unter-40-Jährige werden deutlich häufiger Opfer von Hate Speech. In dieser Altersgruppe wurde jeder Fünfte schon verbal angegriffen oder bedroht. Scharf will die Zusammenarbeit mit Justiz- und Innenministerium weiter ausbauen, um mehr Prävention zu betreiben und die Beratungsstellen in Bayern bekannter zu machen. „Wir müssen das Bewusstsein in der Bevölkerung dafür schärfen, dass es sich bei Beleidigungen und Bedrohungen um keine Kavaliersdelikte handelt“, betont sie. Die Täter müssten mit hohen Geldstrafen rechnen. Erst Anfang der Woche war ein 34-Jähriger aus Augsburg zu einer Strafe von 16 500 Euro verurteilt worden, weil er Ministerpräsident Markus Söder und Innenminister Joachim Herrmann in Wut-Mails massiv beleidigt hatte.
Seit Anfang 2020 gibt es in Bayern auch eine Hate-Speech-Beauftragte für die Justiz – zusätzlich zu Sonderdezernaten, die die 22 bayerischen Staatsanwaltschaften gegen Hassposts im Netz eingerichtet haben.
Die Organisation HateAid unterstützt und berät Betroffene von digitaler Gewalt nicht nur, sie übernimmt in einigen Fällen auch die Kosten für Zivilprozesse und stellt den Kontakt zu Anwälten her. „Viele Menschen haben Angst vor juristischen Schritten und kennen ihre Rechte nicht“, sagt Wanda Valenta. „Wir ermutigen alle, sich zu wehren.“ Oft helfe es den Anrufern auch schon, dass ihnen jemand zuhört. „Viele geben sich eine Mitschuld, es hilft ihnen, klar zu machen, dass Beleidigungen oder Bedrohungen eine Straftat sind.“ Frauen und Männer seien fast gleichermaßen betroffen, berichtet sie. Auffällig sei, dass die Angriffe gegen Frauen aber meist massiver sind. Einige Klienten betreut HateAid sogar über Jahre. Valenta betont: „Digitale Gewalt kann für die Psyche genauso belastend sein wie körperliche.“ KATRIN WOITSCH