Antisemitische Ausfälle: Ludwig Thoma in München unter Beschuss

In München hat eine Kommission entschieden, die Ludwig-Thoma-Straße in Pasing umzubenennen. Grund: der Judenhass des Schriftstellers in seinen letzten Lebensjahren. Müssen nun Straßen, Plätze und Schulen in Bayern umbenannt werden? Auch Experten sind sich nicht einig.
München/Tegernsee – Als der Historiker Wilhelm Volkert 1989 die Artikel Ludwig Thomas im „Miesbacher Anzeiger“ in einer historisch-kritischen Edition veröffentlichte, war der Aufschrei groß. Ludwig Thoma – ein Antisemit? Das wollten damals viele nicht glauben. Doch die 173 Artikel, die er 1920 und 1921 bis kurz vor seinem Tod (26. August) schrieb, sprechen für sich. Antidemokratisch, triefend vor Judenhass – das war ein ganz anderer Thoma, als man ihn kannte. Die Stadt München reagierte rasch: die Ludwig-Thoma-Medaille, bis dahin jährlich an Künstler wie Bruno Jonas oder Ruth Drexel verliehen, wurde eingestampft.
Über 30 Jahre später könnte jetzt eine neue Debatte um den Literaten entbrennen. Eine Kommission, die alle Straßennamen von München auf anstößige Namensgeber durchleuchtet, ist bei Ludwig Thoma zu einem Urteil gekommen. Der Straßenname soll weg, entschied die Kommission mit Mehrheit.
Schwierige Entscheidung der städtischen Kommission
Das Thema ist heikel: Weder SPD noch Grüne wollten sich äußern. Der Ältestenrat tagt am 23. Juli. Dem Vernehmen nach war die Entscheidung der empfehlenden Kommission eine der schwierigsten überhaupt. Die Artikel im „Miesbacher Anzeiger“ seien starker Tobak. Zunächst gehe es aber nur um den Straßennamen. Gänzlich unklar ist, wie die Stadt München künftig mit dem Ludwig-Thoma-Haus auf der Tuften in Tegernsee umgeht. Dort entstanden die Hetzartikel. Das Haus gehört seit 1971 der städtischen Ludwig-Thoma-Stiftung. Das müsse man differenziert betrachten, heißt es aus Rathauskreisen. Die CSU lehnt eine Umbenennung ab. Fraktions-Chef Manuel Pretzl: „Das literarische Gesamtwerk muss zu den letzten 14 Monaten seines Schaffens in Relation gesetzt werden. Denken wir nur an die ,Filserbriefe’, die ,Lausbubengeschichten’ oder ,Den Münchner im Himmel’.“
Ich bin gegen die Umbenennerei
Franz Maget, einst Fraktionschef der Landtags-SPD, ist gegen die „Umbenennerei“, wie er es bezeichnet. Das gäbe es viel zu tun: Straße, Plätze, Schulen – fast in jeder größeren Kommune ist irgendetwas nach dem Schriftsteller benannt. Es gibt Ludwig-Thoma-Schulen in München (Realschule Berg am Laim), Traunstein (Grundschule) und Prien (Gymnasium), Straßen in fast jeder größeren Stadt – ob nun Fürstenfeldbruck, Weilheim, Bad Tölz oder Regensburg. Eine regelrechte Hochburg ist Dachau, wo Thoma seit 1894 Rechtsanwalt war: Auf der Ludwig-Thoma-Wiese findet das Volksfest statt, die Ludwig-Thoma-Gemeinde ist ein Kulturverein, der seit langem das Werk des Autors „vorbildlich kritisch“ (so der Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler) aufarbeitet. Göttler schlägt vor, eine Kommission von Juristen einzusetzen, die prüft, ob Thomas Tiraden den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen. „Wenn das so ist, kommt man um Umbenennungen nicht herum“, meint Göttler. Wahr sei: Der Antisemitismus sei lange klein geredet worden. Selbst Richard Lemp, einst Leiter der Monacensia, verschwieg in seiner Thoma-Biographie von 1984 die Hetzartikel.
Klar müsse man die Schattenseiten klar benennen, sagt Maget dazu. Der antisemitische Thoma sei aber als Teil einer Gesamtgeschichte auszuhalten. Was Maget aber gerne hätte: dass verstärkt auf die Opfer von Thomas Feder hingewiesen wird. Etwa auf den linken Abgeordneten Karl Gareis, den Thoma im „Miesbacher Anzeiger“ als „Geisteskranken“ schmähte – kurz danach wurde Gareis ermordet. „Ich finde, in der Nähe vom Landtag sollte man einen Platz nach Gareis benennen“, sagt Maget.
Der Thoma-Experte Franz-Josef Rigo nennt die Debatte problematisch. Rigo organisiert zum 100. Todestag Thomas im Miesbacher Waitzinger Keller ein Symposium. „Was wir brauchen, ist eine differenzierte Auseinandersetzung, aber keine Beerdigung“, sagt er. Die Bayreuther Festspiele würden ja auch nicht eingestellt, weil Richard Wagner „ein extremer Antisemit“ gewesen sei.