Missstände in Augsburger Heim: Opposition fordert Konsequenzen - „organisierte Verantwortungslosigkeit“

Erst Schliersee, dann Augsburg: Bayern wird innerhalb weniger Monate von zwei großen Pflegeskandalen erschüttert. Die Opposition im Landtag fordert schnelle Konsequenzen. Und für die Bewohner im Heim schnelle Hilfe. Die Staatsanwaltschaft hat eine Vorprüfung eingeleitet.
Yvonne Knobloch vom VdK hatte es befürchtet. Viele Bewohner, die aus der Seniorenresidenz Schliersee verlegt wurden, kamen von einer Hölle in die andere: In ein Heim desselben Trägers in Augsburg. Auch dort kamen nun teils lebensbedrohliche Pflegemängel ans Licht.. Der Sozialverband VdK hatte den Angehörigen Unterstützung angeboten, als feststand, dass das Schlierseer Heim geschlossen wird und die Bewohner verlegt werden müssen. Rund 20 Bewohner in ein Heim, das bereits voll belegt ist – wie soll das gehen? Sie war eine der wenigen, die diese Frage stellte. „Es hätte auch Plätze in anderen Heimen gegeben“, sagt sie. Allerdings nicht in so günstigen. Knobloch hatte gehofft, dass Staatsregierung und Regierung von Schwaben einen kritischen Blick auf das Heim haben. „Es war ja bekannt, dass es derselbe Träger ist und der Heimleiter zuvor in Schliersee gearbeitet hatte.“
Nun steht fest: Die Bewohner dort haben genauso unter lebensgefährlicher Pflege gelitten. Sie mussten hungern, bekamen falsche Medikamente, wurden fahrlässig versorgt. Der Medizinische Dienst hatte bei den Kontrollen im Oktober und zuletzt im Januar gefährliche Pflegemängel dokumentiert. Es gab Protokolle, Beratungen, Auflagen – aber keine Hilfe für die Bewohner. Eine weitere traurige Parallele zu dem Fall Schliersee. Erst jetzt, nachdem ehemalige Mitarbeiter dem BR von den Missständen berichteten, kommt der Pflegeskandal ans Licht. Die Staatsanwaltschaft hat gestern ein Vorprüfungsverfahren eingeleitet – eine Vorstufe zum Ermittlungsverfahren. In Augsburg selbst kann die Staatsanwaltschaft erst aktiv werden, wenn Strafanzeigen eingehen.
Dass Schliersee kein Einzelfall war, ist spätestens seit November bekannt. Damals hatte ein Vertreter des Ministeriums im Gesundheitsausschuss berichtet, dass allein 2019 in 173 bayerischen Einrichtungen erhebliche Mängel festgestellt wurden. Schon damals hatten Grüne, SPD und FDP drastische Veränderungen des Kontrollsystems gefordert. Schliersee war insgesamt 40 Mal ohne gravierende Folgen kontrolliert worden, bevor das Heim geschlossen wurde.
Die Gesellschaft darf nicht beide Augen zudrücken, wenn es um das Wohl wehrloser Menschen geht.
Andreas Krahl, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, sieht ein Problem darin, dass die Heimaufsicht kontrolliert, berät und sanktioniert. „Wer sanktioniert, muss eingestehen, dass die Beratung nicht erfolgreich war.“ Beratung und Sanktionierung müsse entkoppelt werden, fordert er. Auch eine niedrigschwellige unabhängige Beschwerdestelle könnte helfen, dass Pflegekräfte Missstände nicht länger hinnehmen, glaubt er. Ruth Waldmann (SPD) und Dominik Spitzer (FDP) sprachen gestern von einem Systemversagen und „organisierter Verantwortungslosigkeit“. Die Kontrollen müssten differenzierter, intensiver sein. Dafür seien fachlich hoch qualifizierte Leute nötig, betont Spitzer. Und ein System, bei dem Strafmaßnahmen und Heimschließungen schneller möglich sind. Kommende Woche wollen sich SPD, Grüne und FDP zu einem Krisengespräch treffen und gemeinsam Forderungen formulieren.
Auch VdK-Präsidentin Verena Bentele sprach sich für ein engmaschigeres Kontrollsystem mit schnellen Konsequenzen bis zur Heimschließung aus, sollten festgestellte Mängel nicht zeitnah behoben werden. Sie forderte ein unabhängiges Frühwarnsystem mit Anlaufstellen für Angehörige und Pflegekräfte, die Missstände anprangern wollen. Und sie forderte, Profite von Pflege-Einrichtungen gesetzlich zu begrenzen. „Die Gesellschaft darf nicht beide Augen zudrücken, wenn es um das Wohl wehrloser Menschen geht.“
Auch für die Angehörigen der Betroffenen in Augsburg bietet der VdK unter 089/2117 112 Beratung und Hilfe an. Yvonne Knobloch rät Angehörigen, die Bewohner so schnell wie möglich aus dem Heim verlegen zu lassen. Auch Andreas Krahl, selbst ausgebildete Pflegefachkraft, spricht sich für eine Evakuierung aus. „Notfalls in Krankenhäuser“, sagt er. „So wie die Missstände geschildert wurden, wird das für einige Bewohner sowieso medizinisch notwendig sein.“