München - Nach der Aufdeckung der NSU-Morde ist die Nazi-Szene alles andere als eingeschüchtert. Sie geht gerade verstärkt auf Immobiliensuche. Vor allem in ländlichen Regionen.
Allein der Name ist eine Provokation. Die Kameradschaft „Freies Netz Süd“, eine Gruppierung von Neonazis, hat Anfang des Jahres die ehemalige Dorfwirtschaft Gruber in Halsbach (Kreis Altötting) als Stammsitz auserkoren. Kurzerhand haben sie das Wirtshaus, in dessen Saal 400 Leute Platz haben, umgetauft: in „Haus der Kunst- und Meinungsfreiheit“.
Die Rechtsextremen wollten sich hier mit Gesinnungsgenossen treffen, ein rechtes Wohn- und Gewerbezentrum einrichten und einschlägige Bands auftreten lassen. Alles mit Duldung des Besitzers. Doch nach Wochen der Angst in dem nicht einmal 1000 Einwohner zählenden Ort beendete das Amtsgericht Mühldorf den braunen Spuk: Es stellte den Nazi-Treff unter Zwangsverwaltung.
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Halsbach ist nur ein Beispiel von vielen. Die rechtsextreme Szene in Bayern bemüht sich nach Erkenntnissen des Landesverfassungsschutzes derzeit um die Gründung neuer Treffpunkte und Schulungszentren. Damit wolle die Szene regionale Anlaufstellen schaffen, um den Zusammenhalt zu stärken und neue Mitglieder anzuwerben, sagte der Sprecher des bayerischen Verfassungsschutzes, Sönke Meußer, in München. Vor allem in Ober- und Mittelfranken sowie im Großraum München seien die Gruppen aktiv. Dort seien auch die jeweiligen Führungspersonen zu finden. Besonders die rechtsextremen Kameradschaften „strukturieren sich in Teilen neu und gehen auch auf Distanz zur NPD“, so Meußer. Die NPD sei für einige nicht radikal genug. „Es gibt Austrittswellen in Richtung der Kameradschaften. Die Szene radikalisiert sich.“ Und: „Sie schreckt auch vor Gewalttaten nicht zurück“. Nach dem jüngst vorgestellten Halbjahresbericht der Behörde gab es seit Januar 23 Gewalttaten – zumeist Körperverletzungen – rechtsextremer Täter im Freistaat.
Unter anderem gründete „Freies Netz Süd“ in Nürnberg-Langwasser ein nationales Zentrum. „Sie sind ständig auf der Suche nach neuen Immobilien“, meinte Meußer. In Nürnberg dürfen die Rechten die Räume aber nicht für Treffen und Schulungen nutzen, das Bauamt hat dies untersagt. Nun habe sich die Eigentümergemeinschaft des Immobilienkomplexes an den Vermieter gewandt und die Auflösung des Mietvertrages gefordert.
DVD des Sadismus: Bilder aus dem Video der NSU
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Auch in Feilitzsch nahe Hof in Oberfranken gibt es verdächtige Aktivitäten. Dort kaufte eine der NPD nahe stehende Frau ein Haus. Bislang gebe es aber keine Anzeichen dafür, dass die Räume für Treffen genutzt würden. „Wir beobachten und warten die weitere Entwicklung ab“, sagte Meußer. Die Informationsstelle gegen Extremismus beim Verfassungsschutz berate die Kommunen über rechtliche Möglichkeiten, gegen Treffpunkte vorzugehen. Ansatzpunkte könnten Bauauflagen, der Denkmalschutz sowie das Gaststättenrecht sein. Hinter dem „Freien Netz Süd“ stehen rund 20 neonazistische Gruppen mit 150 Aktivisten, die wiederum „350 oder mehr Anhänger mobilisieren können“. Damit sei es das größte Netzwerk in Bayern, sagte Meußer. Es sei eine „Mobilisierungsplattform für Aktionen“.
dpa/sts