Nazi-Karrierist und Ehrenbürger: Regensburg kämpft mit „Causa Boll“

In der Debatte um den langjährigen Museumsdirektor und Kulturreferenten Walter Boll unternimmt die Stadt Regensburg nun weitere Schritte zur Aufarbeitung von dessen NS-Verstrickungen.
Regensburg - Langsam soll nun etwas vorwärts gehen bei der Aufarbeitung der sogenannten „Causa Boll“ in Regensburg. Die NS-Verstrickungen von Walter Boll, langjähriger Regensburger Museumsdirektor, Kulturdezernent, Museumsdirektor, Stadtarchivar, Ehrenbürger, NS-Kreiskulturwart und Nazi-Karrierist, stehen schon länger in der Kritik. Seit über zwölf Jahren wird im Stadtrat die ausstehende Aufarbeitung moniert.
Nach unabhängigen Recherchen zu Boll: Stadt gab Raubkunst zurück
Nach den Recherchen der Autorin Waltraud Bierwirth zu Bolls Beteiligung an der sogenannten „Arisierung“ jüdischen Eigentums und dem Aufkauf abgepresster Kunstwerke sowie den Forschungen des Regensburger Journalisten Robert Werner hat die Stadtverwaltung zum wiederholten Male bekannt gegeben, Bolls Rolle wissenschaftlich aufarbeiten zu wollen.
Ein erster Schritt war beispielsweise die Rückgabe von Raubkunst, die Boll der Stadt während der NS-Zeit einverleibt hatte, an eine Regensburger Freimaurer-Loge.
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Walter Boll: Ein „Arisierer“ prägte lange Jahre die Kulturpolitik der Stadt
Ende 2022 hat nun auf Initiative des Kulturreferates ein „Workshop“ in Zusammenarbeit mit einschlägigen Institutionen stattgefunden, in denen Boll tätig war. Darunter das Amt für Denkmalpflege, die Staatliche Bibliothek Regensburg, der Historische Verein für Oberpfalz und Regensburg, das Kunstforum Ostdeutsche Galerie oder die Regensburger Museen.
Rund 30 Expertinnen und Experten aus Kultur, Verwaltung und Wissenschaft nahmen an dem Treffen im Haus der Musik am Bismarckplatz teil und diskutierten über das Wirken von Boll, der die Kulturpolitik der Stadt über weite Teile des 20. Jahrhunderts geprägt hat.
Aufarbeitung der „Causa Boll“: Stadt will Archivalien öffentlich zugänglich machen
In einer Sitzung des Kulturausschusses lieferte Kulturreferent Wolfgang Dersch nun kürzlich einen Zwischenbericht und informierte die Stadträtinnen über die weiteren Schritte.
So ist unter anderem eine wissenschaftliche Aufarbeitung geplant, die man in Zusammenarbeit mit der Universität Regensburg anstreben will. Archivalien zu Boll sollen aus den verschiedenen Institutionen zusammengeführt, digitalisiert und für die interessierte Öffentlichkeit und anstehenden Forschungen zugänglich gemacht werden.
Symposium soll Rolle von Walter Boll in den Fokus nehmen
Aus dem Historischen Museum sind laut Dersch bereits 50 in Stehordnern verwahrte Akteneinheiten ins Stadtarchiv verbracht worden – nachdem er „einen Brief ans Museum“ geschrieben habe. Das vergriffene Standardwerk zur Regensburger NS-Geschichte des 2017 verstorbenen Historikers Helmut Halter (Stadt unterm Hakenkreuz) soll ebenfalls digitalisiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Auf dem diesjährigen Regensburger Herbstsymposium für Kunst, Geschichte und Denkmalpflege soll das Thema Boll und die Denkmalpflege präsentiert, von Stadtarchivar Lorenz Baibl ein wissenschaftlicher Aufsatz zu Boll verfasst werden.
In den 1930er-Jahren wurde ein kleiner Raum in einem historischen Gebäude in Regensburg zum Versteck umgebaut. Ob darin Regimegegner versteckt wurden, müssen jetzt Experten herausfinden.
Aufarbeitung der „Causa Boll“: Fragwürdige Rolle des früheren Kulturreferenten
Während der Bericht des Kulturreferenten auf vielfach geäußerte Zustimmung stößt, kann Wolfgang Dersch eine Frage nach wie vor nicht beantworten. Woher die Schote seines Vorgängers Klemens Unger stammt nämlich, derzufolge der Nazi-Karrierist Walter Boll „im Jahr 1943 einen Juden in einem steinernen Sarg in der Minoritenkirche vor der Gestapo versteckt und ihm so das Leben gerettet“ haben soll?
2017 hatte Unger diese Geschichte im Stadtrat zum Besten gegeben. Doch Fragen dazu, woher er seine Erkenntnisse bezieht, irgendwelche Belege und Quellen bleibt Unger schuldig. Auch eine direkte Nachfrage unserer Redaktion beantwortet der frühere Kulturreferent von Regensburg nicht.
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