Kahlschlag beim Theater Regensburg: Neuer Intendant trennt sich von Künstlern - Streit eskaliert

Der neue Intendant am Theater Regensburg stellt das Ensemble um. Mehrere Künstler müssen gehen. Die Brücke-Fraktion des früheren OB Wolbergs kritisiert das scharf.
Regensburg - Die Pressemitteilung lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Von „Hilferufen zahlreicher Künstlerinnen und Künstler des Theater Regensburg*“ ist darin die Rede. Die Brücke-Fraktion des früheren Regensburger Oberbürgermeisters Joachim Wolbergs spricht von bis zu 40 Personen, die das Theater zur Saison 2022/23 verlassen sollen. Man sei „zutiefst bestürzt und empört“. Von einer „Allmachtstellung eines Intendanten“ ist die Rede und von „Existenzzerstörungsmacht“.
Theater Regensburg: Künstler werden nicht verlängert: „Das ist keine Lex Regensburg“
Adressaten der Kritik sind der designierte neue Intendant des Theaters Regensburg, Sebstian Ritschel, und Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Verwaltungsrats des Theaters. Letztere fordert die Brücke-Fraktion auf, „diesem Treiben des Intendanten umgehend einen Riegel vorzuschieben und sich gegenüber dem Personal des Theaters klar solidarisch zu positionieren“.
Dabei handelt es sich zunächst um einen üblichen Vorgang. Bei einem Wechsel des Intendanten ist dieser berechtigt, das Arbeitsverhältnis von Mitgliedern des künstlerischen Personals ohne nähere Begründung zu beenden. „In allen Theatern Deutschlands ist das das gleiche Procedere. Das ist keine Lex Regensburg“, sagt dazu Uschi Michalke, Vorsitzende der Theaterfreunde Regensburg.
Vier Wechsel der Intendanz am Theater Regensburg habe sie miterlebt. Jedes Mal habe es schmerzhafte Entscheidungen gegeben und jedes Mal auch emotionale Debatten. Ein Jahr vor dem offiziellen Amtsantritt eines neuen Intendanten werde das Ensemble im Hinblick auf dessen Theaterkonzept durchgesprochen und dabei würden regelmäßig viele Künstlerinnen und Künstler nicht verlängert und stattdessen neue unter Vertrag genommen. „Kein Intendant der Welt würde einen Vertrag unterschreiben, wo er dieses Recht nicht ausüben darf“, so Michalke.
Uschi Michalke: „Das ist die Theaterwelt. Der härteste Job der Welt.“
Begründet wird dieses Recht im entsprechenden Tarifvertrag, dem „Normalvertrag Bühne“. Verträge mit Künstlerinnen und Künstlern an Spielhäusern dürfen demnach über einen Zeitraum von 15 Jahren hinweg immer wieder befristet werden. Beim Wechsel der Intendanz dürfen diese Verträge dann ohne nähere Begründung nicht verlängert werden. Es braucht lediglich eine sogenannte Nichtverlängerungsmitteilung, um das Arbeitsverhältnis zu beenden.
„Es ist jedes Mal ein Schnitt durch mein Herz, wenn so etwas passiert“, sagt Michalke. „Ich verstehe auch, wenn es Leute gibt, die am Boden zerstört sind. Das kann schmerzlich und verletzend sein“ Am Ende aber wisse jeder, worauf er sich einlasse, wenn er so einen Vertrag unterschreibe. „Das ist die Theaterwelt. Der härteste Job der Welt.“
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Theater Regensburg: „Wir sind der falsche Adressat dieser Kritik.“
Das Theater Regensburg hat etwa 300 Beschäftigte, knapp die Hälfte von ihnen arbeitet zu den Bedingungen des „Normalvertrag Bühne“. Der kaufmännische Direktor Dr. Matthias Schloderer bestätigt, dass bislang neun von ihnen nicht verlängert worden seien. Weitere Gespräche würden geführt. Erst Ende Oktober seien aber die Gespräche alle geführt und man könne Näheres mitteilen. Die Vorwürfe der Brücke bzw. von deren Fraktionsvorsitzenden Joachim Wolbergs sieht Schloderer aber nicht in erster Linie gegen Intendant Sebastian Ritschel gerichtet.
„Ich verstehe sie erstens als grundsätzliche Kritik am System, das es durchaus zu diskutieren gilt.“ Diese Kritik sei allerdings beim Deutschen Bühnenverein „deutlich besser“ aufgehoben als beim Theater Regensburg. „Dort kann ein Beitrag zu einer anderen rechtlichen Grundlage geschaffen werden.“ Dabei gehe es auch um die Kernfrage, „ob und wie sich Theater regelmäßig erneuern können und sollen“.
Theater Regensburg: Betroffene Künstler begrüßen Kritik
Lob für ihre Pressemitteilung erhält die Brücke-Fraktion von Betroffenen. „Das ist sowohl vom Ton als auch vom Inhalt vollkommen angemessen“, sagt ein bereits gekündigter Künstler, der nicht namentlich genannt werden möchte. „In dieser Branche ist der Ruf schnell ruiniert. Deshalb bleibt es von Seiten der direkt Betroffenen auch so leise.“
Es sei zwar richtig, dass die aktuellen Vorgänge „normal“ und juristisch einwandfrei seien. „Allerdings halten viele in der Theaterbranche den Freibrief für Intendanten, Künstlerinnen und Künstler ohne Rechtfertigung kündigen zu können, für nicht mehr für zeitgemäß.“ Bei der Bühnengenossenschaft GDBA würden schon länger Veränderungen gefordert.
Kritik am Theaterintendanten: „Die Leute werden einfach kommentarlos nicht verlängert.“
Auch Sebastian Ritschel persönlich kritisiert unser Gesprächspartner. Bei seiner Berufung habe Ritschel in einer großen Rundmail betont wie sehr er sich auf diese Aufgabe freue. „Da war von Kontinuität und Zusammenarbeit die Rede.“ Doch seit er am Theater Regensburg sei, habe er alle Versuche, Kontakt aufzunehmen abgeblockt. „Die Leute werden einfach kommentarlos nicht verlängert.“ Sebastian Ritschel persönlich äußert sich mit Verweis auf die noch laufenden Gespräche nicht.
Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer bekundet, dass sie das Ensemble und die Leistungen des Theaters in den vergangenen Jahren sehr schätze. Auch sei der Verlust des Arbeitsplatzes für jede und jeden der Betroffenen bitter. „Allerdings ist es nicht Aufgabe der Oberbürgermeisterin bzw. der Verwaltungsratsvorsitzenden, den Wirkungsbereich des Intendanten zu regulieren und damit die künstlerische Freiheit im Sinne des Grundgesetzes einzuschränken.“ Es sei bei einem Intendantenwechsel üblich, dass „der Neue“ ein Team mitbringe, mit dem er das Theater künstlerisch prägen wolle. „Ob das noch zeitgemäß ist, oder ob es hier neue Regeln bräuchte, ist eine Frage, die auf Ebene des Deutschen Bühnenvereins diskutiert werden müsste. Das kann ein einzelnes Haus nicht lösen.“ *Merkur.de/bayern ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA