Roberts bietet Wilders nun seine Hilfe an. Wilders sei doch „gut gewachsen.“ Also „Willst du Geld verdienen, viel Geld?“ fragt er ihn. Es kommt zum Vorstellungsgespräch in einem renommierten Hotel.
Den ersten Tanznachmittag darf Wilder mit einer Mahlzeit beginnen. „Apfelkuchen mit Sahne. Oh – und Eis!“ Bis der Tanzleiter ihn schickt: „Tanzen Sie!“ Unendlich lang erscheint dem jungen Wilder der Reigen. Es ist heiß, die Arme schmerzen und das Orchester spielt ohne Pause. Wilder zweifelt, doch der Tanzleiter lächelt: „Sie werden es schon lernen.“ Ohne Pause geht es weiter: Wilder wechselt Straßenanzug gegen einen Smoking, Hemd, Schuhe und Krawatte. Alle Tänzer sind rasiert, frisiert und parfümiert. Mit dem steifen Kragen ist es noch viel ungemütlicher als nachmittags und die Damen von Tisch 103 kennen keine Müdigkeit.
Er habe zu tanzen. Auch mit Damen, die ihm nicht gefallen. „Das erste Gebot des Tänzers ist: ‚Es darf keine Mauerblümchen geben. Er hat sie zu pflücken“, waren die Worte des Tanzleiters. Wilder tanzt also, lustlos, wunschlos und ohne Herz und Hirn. Aber gewissenhaft. „Hier gelten nur meine Beine. Dieser Tretmühle gehöre ich,“ schreibt er tagebuchartig auf. Er tanzt mit Jungen und Alten, ganz Schlanken und jenen Frauen, die „Entfettungstee“ trinken. Mit mondänen Gattinnen und unreifen Töchtern, Ausländerinnen und Damen, die tagtäglich da sind, aber keiner weiß, woher sie kommen. „Ich tanze mit 1.000 Typen.“ Bald weiß Wilder, dass der Samstag der schlimmste Tag für den Tänzer ist. Auf der Tanzfläche befinden sich an die 50 Paare. „Eine einzige Fleischmasse, im Rhythmus wie Sülze zitternd“.
Wilder tanzt weiter, bis in die Nacht, verdient „gutes Geld“. Er schläft bis 15 Uhr. „Meine Toilette dauert jetzt eine gute Stunde. Sie ist von so grotesker Kompliziertheit, dass ich mich vor der Wirtin zu schämen beginne“. Parfüm, Seifen, Pomaden, Haarfixativ und vieles mehr. Am Ende seiner Zeit als Tänzer heißt es in seinem Arbeitszeugnis: „Wilder hat es verstanden, sich auch dem verwöhntesten Publikum in jeder Weise anzupassen.“
Der Abend in Kaufbeuren jedenfalls verging weder grotesk noch kompliziert, sondern in Leichtigkeit. Die Erzählungen unterbrach das Tanztee-Syndikat mit kurzen, launigen Instrumentalstücken, mit Tango sowie mit Geigen-Soli der Violinisten. Selbstverständlich durften ein Boogie-Woogie und „Veronika, der Lenz ist da!“ nicht fehlen. Ulrike von Sybel-Erpf (Violine), Erika Zimmer (Violoncello) und Walter Erpf (Klavier) fanden immer den richtigen Ton.
Der beste Rohstoff für eine gute Geschichte sei das Leben selbst, schrieb Wilder. Hofmüller überzeugte als junger Billy Wilder mit ansteckender Begeisterung, dann mit glaubhafter Verwunderung, mal nervös, verträumt, mal beschämt und zufrieden. Die Lesung gehörte zum Rahmenprogramm der Sonderausstellung „Veronika, der Lenz ist da!“ im Stadtmuseum. Weitere Events und mehr Infos gibt es unter www.stadtmuseum-kaufbeuren.de.