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Historiker Dr. Hubert Seliger und der Kemptener NS-Richter Michael Schwingenschlögl

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Von: Jörg Spielberg

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Der Historiker und Archivar Dr. Hubert Seliger sprach am Abend
im Fürstensaal zu über 200 Gästen zur Causa Schwingenschlögl.
Der Historiker und Archivar Dr. Hubert Seliger sprach am Abend im Fürstensaal zu über 200 Gästen zur Causa Schwingenschlögl. © Spielberg

Kempten – Eilig mussten noch Stühle herbeigeschafft werden, so groß war der Andrang in der vergangenen Woche, als Dr. Hubert Seliger seinen Vortrag zur Geschichte des Sondergerichtsvorsitzenden Michael Schwingenschlögl, Anhänger des Nationalsozialismus und ehedem ein Bürger Kemptens, im Fürstensaal vortrug.

 Zur Veranstaltung hatte die Stadt Kempten, der Heimatverein Kempten e.V. und die Kemptener Justiz eingeladen. Erschienen waren über 200 neugierige Besucher, darunter auch einige jüngere Kemptener Bürger.

Anlass zum Vortrag ist das Erscheinen der aktuell 12. Ausgabe der Buchreihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus dem Allgäu“ aus dem Kugelberg-Verlag des Verlegers Wolfgang Proske, der ebenfalls gekommen war. Diese Buchreihe will in zwanzig regional gestaffelten Bänden das bisherige Wissen über lokale Akteure im Nationalsozialismus neu hinterfragen. „Ziel ist“, so der Herausgeber Wolfgang Proske am Abend, „für Süddeutschland eine möglichst quellengestützte, bewusst faktenbasierte NS-Täterforschung voranzubringen.“

Haltungen zur NS-Ideologie

Inwieweit Menschen von der Idee des Nationalsozialismus infiziert waren, verdeutlicht Proske am Abend mit einer Grafik. Auf dieser wird in vier Haltungen zur NS-Ideologie unterschieden: 1. Duldung, ein Zustand der inneren Gleichgültigkeit und des naiven Wegschauens; 2. Zustimmung, eine Haltung geprägt durch Dienst nach Vorschrift und der Diffamierung Andersdenkender; 3. Handeln auf Befehl und Rädchen im Getriebe zu werden und 4. Selbstständiges Handeln, bei dem Befehle radikal ausgelegt und Menschenrechtsverletzungen begangen werden.

Wie sich am Abend aufgrund der Erkenntnisse des Historikers und Archivars Dr. Hubert Seliger herausstellte, gehörte der Kemptener Sondergerichtsvorsitzende Michael Schwingenschlögl zur letzten Gruppe.

Frühes Bekenntnis

Bevor der gebürtige Kemptener Seliger seinen rund einstündigen Vortrag hielt, wurden die Besucher durch den Präsidenten des Landgerichts Kempten Uwe Erlberg begrüßt. Unter den Anwesenden waren u.a. Kemptens Dritte Bürgermeisterin Erna-Kathrein Groll, die Beauftragte des Stadtrats für Kulturangelegenheiten Annette Hauser-Felberbaum, die Leiterin des Kempten Museum Dr. Christine Müller Horn und der Vorsitzende des Heimatvereins Kempten e.V. Markus Naumann. 

In seinem Vortrag schilderte Seliger das Leben von Michael Schwingenschlögl. Der wurde 1898 in Kempten als Sohn eines Eisenbahners geboren, diente nicht im Ersten Weltkrieg und wurde kurz nach der Machtergreifung im Mai 1933 ein freiwilliges Mitglied der NSDAP. Aus dieser Zeit gibt es Berichte, dass sich Schwingenschlögl mehrfach öffentlich zum Nationalsozialismus bekannte und keiner Rauferei mit Andersdenkenden aus dem Weg ging.

Als Jurist machte er schnell Karriere und wurde Richter am Volksgerichtshof und Sondergericht München 2. 1935 urteilte die Gauleitung der NSDAP Schwaben über Schwingenschlögl: „Seine aktive Teilnahme bei Veranstaltungen der Partei, seine willige Übernahme von Vorträgen, die einwandfrei im nationalsozialistischen Sinne gehalten werden, seine Gebefreudigkeit bei Sammlungen und sein allgemeines Gebaren rechtfertigen den Schluss, dass er überzeugter Nationalsozialist ist und als solcher rückhaltlos für Partei und Staat sich einsetzen wird.“ Berüchtigt wurde Michael Schwingenschlögl aufgrund seiner Neigung rasch Todesurteile auszusprechen. Insgesamt 50 Todesurteile fällte der Richter, vier davon in Kempten. 

Mittels Todesurteilen Kritiker aus dem Weg räumen

Dr. Hubert Seliger verdeutlichte am Abend an ausgewählten Fällen die Unnachgiebigkeit Schwingenschlögls, wenn es darum ging, Gegner des Nationalsozialismus durch Todesurteile aus dem Weg zu räumen. Am Schicksal zweier polnischer Zwangsarbeiter macht Seliger die Grausamkeit der Sondergerichte deutlich. Ohne wirkliche Beweislast – es ging um eine mutmaßliche Brandstiftung an einer Tenne – wurden die Angeklagten flugs zum Tode verurteilt. Nach dem Krieg verlor der NS-Justiziar durch die Entnazifizierung der Allierten vorerst seine Stellung als Richter, aber schon bald gelang es ihm aufgrund seiner Kontakte zur Kemptener Juristenschaft, wieder in den Staatsdienst aufgenommen zu werden. Michael Schwingenschlögl war zwischen 1952 und 1956 Staatsanwalt am Landgericht und wurde 1956 sogar Landgerichtsrat in Kempten.

Nicht gerecht: Täter ohne Konsequenzen, Opfer ohne Entschädigung

Diese Karriere, die lediglich für einige Jahre unterbrochen wurde, lässt viele der Besucher verstummen. In der Rückschau erscheint es nicht nachvollziehbar, wieso nationalsozialistische Täter in Richterroben wieder ihren Beruf ausüben konnten und volle Bezüge und eine Rente erhielten, während Opfer unentschädigt blieben. Das möchten auch in einer abschließenden Fragerunde einige der Besucher wissen. Dr. Hubert Seliger hat hierfür auch keine eindeutige Erklärung. Zu viele waren Mittäter und Mitläufer der NS-Bewegung, waren belastet und fürchteten bei Denunziationen selbst in den Fokus zu rücken. Die Niederlage war zu total, der Kampf ums Überleben prägte die Jahre bis zur Währungsreform 1949. Schnell brauchten die Amerikaner Menschen, die beim Aufbau einer Verwaltung mithelfen konnten und die waren häufig verstrickt. Bei Michael Schwingenschlögl sei sein schlechter Charakter hinzugekommen.

Am Ende des Abends verkündete Heimatvereinsvorsitzender Markus Naumann, dass den beiden Opfern, die Schwingenschlögl wegen des Tennenbrandes zum Tode verurteilt hatte, zeitnah mit zwei neuen Stolpersteinen gedacht werden soll.

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