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Der lange Weg des Abraham: Unnötige Hürden in der Pflegeausbildung für Migranten

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Von: Tom Otto

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Seniorenzentrum Babenhausen: Pflegedienstleiterin Sonja Seidler, Abraham Teklay und Jenny Wolf.
Die Pflegedienstleiterin des Babenhauser Seniorenzentrums Sonja Seidler (links) und die Pflegefachkraft Jenny Wolf, Kollegin von Abraham Teklay, gratulieren zu seiner erfolgreichen Fachausbildung und freuen sich über die qualifizierte Verstärkung. © Tom Otto

Babenhausen/Leutkirch - Obwohl die Pflegenotstandslawine auch in Bayern bereits ins Rollen gekommen ist, tut sich der Freistaat bei der Nachwuchsgewinnung für Pflegkräfte schwer, neue Wege zu gehen, wie das Beispiel eines jungen Eritreers zeigt. Abraham Teklay konnte im vergangenen Spätsommer seine Ausbildung als Pflegefachkraft erfolgreich absolvieren. Wohlgemerkt: Es handelt sich um die qualifizierte Fachkraftausbildung und nicht nur die einfache Pflegehelfer-Ausbildung. Der junge Mann kam bereits 2015 nach Babenhausen und war damals schon erwachsen und aus dem üblichen Ausbildungsalter hinaus gewachsen. Damit waren ihm damals die klassischen Ausbildungswege in Bayern für den Pflegeberuf nicht mehr offen. Auch nicht die für jugendliche Migranten, wie die Pressestelle des bayerischen Kultusministeriums bestätigt.

Vom Memminger Job-Center bekam er damals lediglich das Angebot auf Hilfsarbeiten in der Gastronomie oder Industrie. Da er jedoch einen qualifizierten Beruf erlernen wollte, musste er ungewöhnliche und vor allem sehr aufwändige und mühsame Wege gehen. Mit Unterstützung der örtlichen Hilfsorganisation „Menschen begegnen Menschen e.V.“ (MbM) konnte eine Ausbildungsstelle und eine Berufsfachschule gefunden werden, die ihm eine reguläre dreijährige Ausbildung zur Pflegefachkraft ermöglichte. Die Ausbildungsstelle und der Einsatzort war das Seniorenzentrum in Babenhausen, die Fachschule, die den erforderlichen theoretischen Lernteil anbot, war jedoch im württembergischen Leutkirch.

„Berufsfachschule für Altenpflege“ an der Geschwister-Scholl-Schule in Leutkirch

In der dortigen Geschwister-Scholl-Schule gibt es seit dem Schuljahr 2016/2017 mit der „Berufsfachschule für Altenpflege“ ein neues Ausbildungsangebot. Die Ausbildung richtet sich gezielt an Migranten, die gerne in der Altenpflege arbeiten wollen, deren deutsche Sprachkenntnisse aber noch nicht ausreichen, um eine herkömmliche Ausbildung in der Altenpflegehilfe oder Altenpflege absolvieren zu können. In zwei Jahren werden daher intensive deutsche Sprachkenntnisse und zugleich die Ausbildung zum Altenpflegehelfer vermittelt. Das Aufstocken zur Altenpflegfachkraft ist dort ebenfalls unabhängig vom Alter nach Eignung möglich. Genau das hat Abraham Teklay nun geschafft.

Drei Jahre lang mit dem ÖPNV von Babenhausen nach Leutkirch

Dafür musste er jedoch über drei Jahre lang mehrfach je Woche mit dem ÖPNV von Babenhausen nach Leutkirch fahren. Was das bedeutet, kann sich jeder ÖPNV-Nutzer im Unterallgäu gut vorstellen – es sind für einen Weg jeweils etwas mehr als zwei Stunden Fahrzeit gewesen. „Es war ein Kraftakt und eigentlich eine viel zu hohe Hürde“, berichtet eine MbM-Betreuerin. Die Leiterin der Pflegeabteilung der Geschwister-Scholl-Schule in Leutkirch, Sylvia Kubenz-Schmid, berichtete, dass sie sehr viele Ausbildungsanfragen von Migranten von der bayerischen Seite der Iller bekommt, weil es im Großraum Memmingen-Unterallgäu eine ähnliche Schule für erwachsene Pflege-Ausbildungswillige nicht gibt. Sie freut sich über den Zuspruch von dort, auch weil viele der Absolventen nach Ausbildungsende im Oberschwäbischen und im westlichen Allgäu in der Alten- und Krankenpflege mit „Kusshand genommen“ werden.

Landratsamt hat kaum einen Einfluss auf die Ausbildungswege im Pflegebereich

Der Unterallgäuer Sachgebietsleiter Ara Gharakhanian versicherte im Gespräch zwar: „Wir tun alles um Personal zu gewinnen.“ Das darf man ihm sicher glauben, zumal das Landratsamt kaum einen Einfluss auf die Ausbildungswege im Pflegebereich hat. Doch gerade dort könnte in Bayern noch nachgelegt werden. Der bayerische Gesundheitsminister und Memminger Stadtrat Klaus Holetschek weiß ob der Probleme. Er hat nun begonnen, „die rasche Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen für Pflegefachkräfte schrittweise für ganz Bayern beim Landesamt für Pflege“ zu bündeln. In der Ausbildung gebe es auch bereits erste Schulversuche, die einen niederschwelligen Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten ermöglichen sollen. Immerhin ist die Ausbildung für Pflegeberufe nun auch für nicht mehr schulpflichtige Menschen möglich. Allerdings braucht es hier einen Mittelschulabschluss und gute Deutschkenntnisse.

Kein vergleichbares Ausbildungsangebot in Bayern

Ein Ausbildungsangebot wie das in Leutkirch bei der Geschwister-Scholl-Schule, bei dem auch die Deutschkenntnisse während der zweijährigen Pflegehelferausbildung nachgeholt werden können, gibt es in Bayern jedoch nicht. Auch nicht bei der Staatlichen Berufsfachschule für Sozialpflege in Memmingen. Hier braucht es immerhin zwar keinen Mittelschulabschluss mehr, die ausreichenden Sprachkenntnisse müssen jedoch zunächst in einem Berufs-Integrations-Jahr (BIJ) erworben werden. Pflegeabteilungsleiterin Sylvia Kubenz-Schmid aus Leutkirch weiß jedoch, dass es leichter fällt Deutsch zu lernen, wenn man einen jeweils konkreten Zweck und fachlichen Stoff vor sich hat.

Erfolg des Leutkircher Modells zeigt: Die hohen Ausbildungshürden in Bayern sind weder nötig noch zielführend

Von Migranten zu erwarten, dass sie gleich einen solchen Kraftaufwand auf sich nehmen, um sich in einem gesuchten Berufsbild ausbilden zu lassen, zeuge in Bayern vor dem akuten Fachkräftemangel doch eher von Arroganz, so eine MbM-Betreuerin. Dass Abraham Teklay eine solche „Karriere“ im Bayerischen geschafft hat, ist sicher seiner außergewöhnlichen Zielstrebigkeit und Disziplin geschuldet. Doch ohne die Unterstützung der Hilfsorganisation und seiner neuen Verwurzelung im Fuggermarkt wäre das auch nicht möglich gewesen. Der Erfolg des Leutkircher Modells zeige jedoch, dass die hohen Ausbildungshürden in Bayern weder nötig noch zielführend sind.

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