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„Der Markt hat kein Herz“: Deutliche Worte beim DGB-Neujahrsempfang im Memminger Rathaus

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Von: Tom Otto

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Bayerns DGB-Vorsitzender Bernhard Stiedl beim Neujahrsempfang in Memmingen
Bayerns DGB-Vorsitzender Bernhard Stiedl wählte beim Neujahrsempfang des DGB-Allgäu ungewohnt kritische Worte über die aktuelle Lage und wurde dabei des Öfteren von zustimmendem Applaus der Gewerkschafter unterbrochen. © Tom Otto

Memmingen - Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fand am vergangenen Sonntag (15.1.2023) deutliche Worte aus Arbeitnehmersicht zur aktuellen wirtschaftlichen Lage. Gut 60 geladene Gäste kamen auf Einladung von Oberbürgermeister Manfred Schilder und des DGB Allgäu in den historischen Sitzungssaal des Rathauses. Als Hauptredner war Bayerns DGB-Vorsitzender Bernhard Stiedl geladen.

Der Allgäuer DGB-Vorsitzende Ludwin Debong warf zu Beginn einen Rückblick auf die Arbeitsmarktlage der vergangenen Jahre. Danach waren 2010 im Allgäu 222.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte gemeldet. Im vergangenen Jahr waren es bereits 280.000. Diese an sich gesunde Entwicklung sage jedoch noch nichts über die Qualität der Arbeitsverhältnisse. Wie viele dieser Beschäftigten als Leiharbeiter, im Niedriglohnsektor oder als Scheinselbständige arbeiten, werde bisher noch nicht erfasst. Das wolle man jedoch ändern und man werde sich ohnehin zwar mit der gebotenen parteipolitischen Neutralität aber doch spürbar in den Landtagswahlkampf im Herbst mit eigenen Forderungen einmischen.

Verschiedene Maßnahmen zur Krisenbewältigung

Bayerns DGB-Vorsitzender Bernhard Stiedl unterstrich zunächst die Mitwirkung des DGB an den verschiedenen Maßnahmen zur Krisenbewältigung der vergangenen Monate. Ob Mindestlohn von 12 Euro je Stunde, 9-Euro-Ticket im ÖPNV oder die gerade beschlossene Gas- und Strom-Preisbremse – ohne den Gewerkschaftsbund seien diese Maßnahmen nicht oder nicht so beschlossen worden. Der Staat müsse alles daran setzen, um die Belastungen für die Menschen und die Wirtschaft einzudämmen.

Ein handlungsfähiger Sozialstaat ist wichtig und mehr wert als er kostet

Wer jedoch Staatshilfe bekomme, könne nicht gleichzeitig Dividende an die Aktionäre und gar Bonuszahlungen an das Management ausschütten, wie das beispielsweise die Lufthansa unverfroren getan hat. Hier müsse die Politik einen Riegel vorschieben. Auch am Energiemarkt sehe man gerade, wie der Markt versage, der Markt habe kein Herz und kein soziales Gewissen. Man könne die Bedürfnisse der Menschen nicht privaten Unternehmen überlassen. Mit Blick auf die immer weiter auseinander klaffende Einkommens- und Reichtumsschere forderte Stiedl eine Stärkung und Weiterentwicklung des Sozialstaates. Gerade jetzt zeige sich, wie wichtig ein handlungsfähiger Sozialstaat sei und dass er mehr wert sei, als er koste.

Wer jetzt Lohnzurückhaltung verlange, wolle in Wahrheit die Krisenbewältigung alleine den Beschäftigten aufladen.

Bayerns DGB-Vorsitzender Bernhard Stiedl

Die Politik müsse das Geld dort abschöpfen, wo es im Übermaß vorhanden sei: Bei den großen Vermögen, den Spitzeneinkommen jenseits der Millionen und den Finanzeinkommen, die in Steueroasen landen. Neben der ungerechten Verteilung von Einkommen erforderten auch die explodierenden Preise, Inflation, gestörte Lieferketten und verknappte Rohstoffe eine Antwort. Die Inflation gäbe es nicht wegen der Lohnentwicklung, sondern sie sei „das Ergebnis unverschämter Spekulation und Wetten auf den Energiemärkten. Was wir haben ist eine Profit-Preis-Spirale auf unsere Kosten,“ so Stiedl. Wer jetzt Lohnzurückhaltung verlange, wolle in Wahrheit die Krisenbewältigung alleine den Beschäftigten aufladen.

Keine Privatisierung des Klinikums Memmingen

In Bayern nimmt die Tarifbindung in den Unternehmen immer weiter ab. Vor diesem Hintergrund sei es ein Skandal, dass Bayern das einzige Bundesland ist, das noch kein Tariftreue- und Vergabegesetz für öffentliche Aufträge habe. „Wer sich nicht an Tarifverträge hält, der muss ohne öffentliche Aufträge auskommen“, forderte der Vorsitzende des DGB Bayern vehement. Stiedl forderte auch, dass die Gesundheit der Menschen vom Profitzwang befreit werden müsse und in Gemeinwohl-Hände statt in Konzernhände gehöre. Oberbürgermeister Manfred Schilder ging in seinem Grußwort darauf ein und versicherte, dass es mit ihm keine Privatisierung des Klinikums gebe und es in der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft bleibe.

Die Veranstaltung wurde musikalisch durch den Kaufbeurer DGB-Vorsitzenden Paul Meichelböck begleitet. Er wählte dazu Lieder aus, die sich ebenfalls sehr kritisch mit der aktuellen Lage im Land beschäftigten; ob es nun zum Beispiel das alte „Bürgerlied“ oder Reinhard Mais Antikriegslied „Meine Söhne geb’ ich nicht“ war.

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