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Fellheim: Eindringliche Erinnerung an die Verfolgten und Getöteten in der Nazizeit

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Von: Rainer Becker

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Unterallgäu: Holocaust-Gedenktag in der ehemaligen Synagoge in Fellheim.
In der ehemaligen Synagoge in Fellheim wurde anlässlich des Holocaust-Gedenktages an alle Menschen erinnert, die in der Nazizeit ausgegrenzt, enteignet, verfolgt, deportiert und ermordet wurden. © Rainer Becker

Fellheim - In der ehemaligen Synagoge in Fellheim wurde in einer ergreifenden und bewegenden Feier an alle Menschen erinnert, die in der Nazizeit ausgegrenzt, enteignet, verfolgt, deportiert und ermordet wurden.

Unter dem Motto „Wer die Vergangenheit vergisst, verliert den Blick für die Zukunft“ erinnerten in einer Gedenkveranstaltung die Stadt Memmingen, der Landkreis Unterallgäu in Kooperation mit dem Vöhlin-Gymnasium, das Stadtmuseum Memmingen, die Deutsch-Israelische-Gesellschaft Memmingen-Kempten und der Förderkreis Synagoge Fellheim an die Opfer der Nazizeit.

Mitten aus dem Leben gerissen und plötzlich nur noch Nummern

Der Bürgermeister von Fellheim, Reinhard Schaupp, sowie der Unterallgäuer Landrat Alex Eder und der 3. Bürgermeisternder Stadt Memmingen, Dr. Hans-Martin Steiger, erinnerten in ihren Grußworten an die vielen Menschen, die auf Grund ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer sexuellen Orientierung wegen verfolgt, ruiniert, vertrieben und am Ende in unvorstellbarer Zahl gequält, gefoltert und danach grausam getötet wurden. Sie wurden mitten aus dem Leben gerissen und waren plötzlich nur noch Nummern. Und wie Schaupp sagte: Auch 78 Jahre nach Ausschwitz darf es kein Schweigen geben, Verdienste um die Gemeinden und Gemeinschaften, oder gar Verdienste im 1. Weltkrieg zählten bei diesem Wahnsinn nichts mehr. Und es sollte für immer an die Opfer gedacht werden. Es dürfe nicht vergessen werden, dass in Memmingen unter dem Beifall der Bürger noch am 31. März 1942 verkündet wurde: „Memmingen ist jetzt judenfrei“.

Vorträge von Vöhlin-Schülern verdeutlichen die furchtbaren Ereignisse aus diesen dunklen Zeiten

Der Gedenktag greift zurück auf die Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz am 27. Januar 1945. Um die furchtbaren Ereignisse aus diesen dunklen Zeiten zu verdeutlichen, haben Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse des Vöhlin-Gymnasiums explizit einige Schicksale herausgearbeitet und vorgetragen. In der Schlichtheit der Vorträge wurde deutlich, wie furchtbar und grausam diese Zeit für diese Menschen war. So trugen Carlotta Scherrer und Enid Szilagyi das Schicksal der Familie Rosenbaum vor. Die Villa der Familie Rosenbaum war 1902 erbaut worden und wurde als Wohnraum und für Geschäftsräume genutzt. Wilhelm Rosenbaum wurde 1933 in Schutzhaft genommen und ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Dort wurde er schwer misshandelt und entging dem Tod nach einer vorgetäuschten Hinrichtung. Die Villa Rosenbaum ging in den Besitz der Stadt Memmingen über und Wilhelm Rosenbaum floh 1936 nach Israel. wo er kaum Geld verdiente und 1953 starb. Auf dem Gelände der Villa ist jetzt das Vöhlin-Gymnasium beheimatet.

Das Schicksal von Bertha Weill, die nach ihrer Scheidung als psychisch Kranke in die Anstalt Kaufbeuren kam, wurde von Lisa Haggenmüller vorgelesen, Enid Szilagyi schilderte das Leben und Sterben von Hedwig Bähr, Gianluca Sanna das Leben von Isaac und Bertha Einstein, Paulina Kobr das Leben von Annemarie und Ursula Guggenheimer.

Alfred Guggenheimer wurde ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt, wo er ermordet wurde; Frau und Tochter Guggenheimer kehrten nach Kriegsende nach Memmingen zurück und lebten bis zu ihrem Tod in ständiger Armut. Und all diese Dinge wie die Enteignung und Verfolgung der Familie Guggenheimer, die erzwungene Einstellung des erfolgreichen Pferdehandels, die Misshandlungen und Tötungen der Familie wurden mit einer zweifelhaften Rassenlehre begründet.

Vorgänge von 1942: All das passierte inmitten der Stadt der Freiheitsrechte

Dr. Hans Martin Steiger schilderte auch die Vorgänge von 1942, als sich die letzten noch anwesenden Juden vor den Verantwortlichen der Stadt und unter dem Beifall der Bürger auf dem Rathausplatz versammeln mussten und dann gemeinsam zum Bahnhof getrieben wurden. Dass all dies ist nicht einem fernen Universum, sondern inmitten der Stadt der Freiheitsrechte, unter uns allen passiert sei – das dürfe niemals vergessen werden.

Stolpersteine als Erinnerung an die Familien Feibelmann und Rosenbaum verlegt

Ganz besonders war auch der Besuch von Amira und Yechel Korin aus Israel, die anlässlich einer Ausstellung im Memminger Stadtmuseum über die Familie Feibelmann zu Besuch sind. Denn, Amira Korin ist die Enkeltochter von Jakob Feibelmann, der in der dunklen NS-Zeit gejagt wurde und unter den Nazis gelitten hat. Hierzu wurden am Gedenktag tagsüber Stolpersteine als Erinnerung an die Familien Feibelmann und Rosenbaum verlegt. Amira Korin bedankte sich ausdrücklich bei den Organisatoren und Mitwirkenden der Gedenkfeier-Aktivitäten. Auch der Altoberbürgermeister und 1. Vorsitzende der DIG Memmingen-Kempten-Allgäu Dr. Ivo Holzinger sprach zum Schluss noch einige Dankesworte und wiederholte „Es darf kein Vergessen geben“.

Die musikalische Gestaltung der Gedenkfeier durch das Trio Kleznova (Kontrabass, Gitarre, Klarinette) sowie dem jungen Maximilian Bohl (Akkordeon) gab dem traurigen Anlass einen würdigen Rahmen.

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