Am Abend in der Wohnung angekommen, drehte Steinhage die Wasserhähne auf, nahm die Heizung in Betrieb und installierte Lampen, die er kurzerhand aus einer anderen Gemeindewohnung entnahm. Beim Strom musste er etwas improvisieren. Ein fleißiger Helfer stand ihm dabei zur Seite. Schmidt und Steinhage waren kaum eine halbe Stunde in der Wohnung, dann rückte die Feuerwehr an. Mit einer kompletten Essgarnitur und einer Wagenladung fleißiger Helfer, um die Wohnung bewohnbar zu machen. Die Frau eines Kameraden putzte die Küche. Eine Familie spendierte einen Korb mit Lebensmitteln. Gemeinsam wurden Feldbetten aufgestellt, Bettwäsche und Bettdecken herangeschafft. Bis zu zehn Leute wuselten zeitgleich in der Wohnung. Um 21.15 Uhr schickte Schmidt eine Nachricht an den Fahrer: „Die Wohnung ist fertig.“ Um 2.11 Uhr schließlich erhielt Schmidt dann den vereinbarten Anruf: In 20 Minuten wird die Familie in Buxheim sein. Schmidts Frau hatte noch kurzerhand ein Brot gebacken, das Schmidt zusammen mit einer Packung Salz und einem Willkommensgruß auf dem Esstisch platzierte.
Die ukrainische Familie konnte ihr Glück nach all den Strapazen kaum glauben. Nicht nur waren sie in Sicherheit. Die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft aller Beteiligten ließen bei der Ankunft reichlich Tränen fließen.
Die Familie war gegenüber dem Wochen KURIER sehr offen. Elena (40), Tochter Margarita (13), Mark (10) und Mutter Swetlana lebten in Tschernihiw im Norden der Ukraine, unweit der Grenzen zu Weißrussland und Russland.
Elena zeigte unserer Redaktion ein Video von dem zerbombten Supermarkt in ihrem Viertel. Aufgrund des Versorgungsengpasses standen vor einigen Wochen bereits in der Früh um fünf viele Menschen in einer langen Schlange vor dem Supermarkt, um Brot zu kaufen. Genau zu diesem Zeitpunkt feuerten die Russen Granaten in die Menge ab. Elena war 30 Minuten vor dem Angriff dagewesen. In dem Video waren Leichen und Menschen zu sehen, die vor dem Supermarkt lagen, Menschen ohne Gliedmaßen. Vier Wochen musste die Familie zusammen mit anderen Bewohnern des Viertels in einem Keller ausharren. Am 23. März hatte die russische Armee eine Brücke über den Fluss Desna zerstört und damit die Versorgung lahmgelegt. Die Menschen brauchten all ihre Vorräte auf. Anfangs hatte Elena, die im Regionalbüro der Partei „Diener des Volkes“ arbeitete, noch bei der Lebensmittelversorgung mitgeholfen, irgendwann beschloss sie jedoch, das Land zu verlassen. „Es gab fast jede Nacht Bombenangriffe“, so Elena. Den 13. Geburtstag ihrer Tochter Margarita „feierten“ sie zunächst im Keller. Als die Granateneinschläge aufhörten, konnten sie sogar kurz ans Tageslicht.
Nachdem die Russen abgezogen waren, reparierte das Militär die Brücke und Elena konnte die Stadt verlassen. Ein Teil der Familie ließ sich allerdings nicht überzeugen zu flüchten. „Die glauben noch, dass alles bald wieder gut wird“, sagt sie gegenüber unserer Redaktion. „Das Schreckliche ist, dass sich die Menschen irgendwann an den Beschuss gewöhnt haben“, ergänzt sie. „Ich war erst erleichtert, als wir die ukrainische Grenze zu Polen überquert haben. Und dann kamen die deutschen Autos. Wir wussten aber nicht, wohin wir fahren“, so die 40-Jährige.
Während der Fahrt hatte der Fahrer versucht, der Familie zu erklären, wo er sie hinbringen würde: nach Buxheim. „Niemand von uns hätte erwartet, so begrüßt und versorgt zu werden. Der Seelenfriede ist unbeschreiblich“, sagt Elena mit Tränen in den Augen. Ihr Sohn Mark hat bereits seine ersten Sätze Deutsch gelernt und sich unserer Redaktion stolz mit Namen und Alter vorgestellt.
Wie es nun weitergeht, weiß niemand. Fest steht: In Buxheim sind die vier Ukrainer nicht nur in Sicherheit, sondern auch in besten Händen. Ein großes Netzwerk an Helfern, das der Buxheimer Flüchtlingshelfer und Vorsitzender des Helferkreises Karl Pagany (75) bereits zur ersten Flüchtlingswelle aufbaute, steht der Familie zur Seite. Genau wie alle anderen Helfer und Macher Buxheims.