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Stummfilm „Die Kneippkur“ aus dem Jahr 1923 aus Dornröschenschlaf geküsst und veredelt

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Von: Melanie Springer-Restle

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Hier zu sehen ist links der Bademeister (gespielt von Josef Lutz) wie er einem Patienten, der über einem heißen Wasserbottich sitzt, einen kalten Kopfwickel verpasst. Diese Anwendung wird im Film „Volldampf“ genannt.
Hier zu sehen ist links der Bademeister (gespielt von Josef Lutz) wie er einem Patienten, der über einem heißen Wasserbottich sitzt, einen kalten Kopfwickel verpasst. Diese Anwendung wird im Film „Volldampf“ genannt. © Scharpf

Bad Wörishofen – Noch zur Amtszeit von Klaus Holetschek kam eine Film- und TV-Journalistin auf den damaligen Bürgermeister der Kneippstadt zu und wollte einen Film über Kneipp machen. Bei ihrer Recherche im Bundesarchiv Filmarchiv Berlin stieß sie auf den Stummfilm „Die Kneippkur“. Das Projekt hatte sich dann aber zerschlagen. An diesen Archiv-Fund erinnerte sich Michael Scharpf, der erste Vorsitzende des Wörishofer Verschönerungsvereins. Er sorgte nicht nur dafür, dass der historisch wertvolle Film restauriert wurde, sondern ließ ihn auch musikalisch untermalen. Das Ergebnis: eine kulturelle Perle für die Kneippstadt.

Am 18. Mai wird „Die Kneippkur“, die im Jahr 1923 uraufgeführt wurde, nun im Kurhaus der Kneippstadt ihre Wiedergeburt in Form einer Premiere feiern. Musikalisch live begleitet wird der Film vom Harald-Rüschenbaum-Trio aus Marktoberdorf.

Bassist und Besitzer des Tonstudios Uli Fiedler spielte seinen Part in einem separaten Raum ein.
Bassist und Besitzer des Tonstudios Uli Fiedler spielte seinen Part in einem separaten Raum ein. © Scharpf

Michael Scharpf gesteht, dass er ein wenig aufgeregt ist, hat er doch viel Zeit in dieses Projekt gesteckt. Ohne seine Hartnäckigkeit und sein Herzblut wäre der Film vermutlich im Dornröschenschlaf geblieben. Oder schlimmer noch: Er wäre – wie viele andere Filme aus dieser Zeit – wohl irgendwann vernichtet worden. Warum denn das? - mögen sich manche fragen.

Explosiver Stoff

Ganz einfach: Zur damaligen Drehzeit basierten Filmträger auf Nitrat und Nitrozellulose wiederum wurde mit Schwefel- und Salpetersäure aus Baumwollresten hergestellt. Das daraus entstehende Gemenge ist hochexplosiv und hat eine höhere Sprengkraft als Schwarzpulver. „Diese Filme fallen sogar unter das Bundessprengstoffgesetz“, weiß Scharpf. Bereits bei knapp 40 Grad Celsius könne sich das Material selbst entzünden. Er erinnert sich an dieser Stelle an seinen Großvater: „Der Opa hat erzählt: Immer wenn damals im Stummfilmkino hinter dem Hotel Luitpold der Filmprojektor stockte, ist der Film explodiert.“

Als Scharpf eines Tages einen Bericht über die sukzessive Vernichtung alten Filmmaterials las, verspürte er akuten Handlungsbedarf. Er setzte sich mit dem Berliner Bundesarchiv Filmarchiv in Verbindung und konnte sich „Die Kneippkur“ für kleines Geld ausleihen. „Ich habe aber nur eine Sichtungskopie erhalten, da der Original-Film ja unter das Sprengstoffgesetz fiel“, erinnert sich der Wörishofer.

Scharpf organisierte fünf Film-Vorstellungen im Kurhaus, die alle ausverkauft waren. Dann rief der Verschönerungsverein, dem er selbst vorsteht, eine Spendenaktion ins Leben. Großzügige Spendengelder von Firmen und Privatpersonen gingen ein. „Ohne engagierte Partner hätte der Verschönerungsverein alleine das Projekt dennoch nicht stemmen können“, erzählt Scharpf. Für ihn war es ein Glücksfall, dass auch der Förderkreis Kneippmuseum, die Stadt samt Kurdirektion sowie der Kneipp-Bund mit ins Boot kamen und das Projekt weit mehr als nur finanziell unterstützen. „Die Zusammenarbeit war eine Freude und von großem Teamgeist geprägt“, so sein Fazit.

Das erste Angebot, das Scharpf zur Restaurierung einholte, erschien ihm unverschämt hoch. Doch dann spielte ihm das Schicksal in die Hände: Ein älterer Herr aus der Filmbranche, der in die Kneippstadt gezogen war, hatte Kontakte zu Thomas Bakels, dem Produktionsleiter der Alpha-Omega Digital GmbH. Bakels machte ein sehr faires Angebot für die Restaurierung des Films. Doch nicht nur das: Bakels war von dem Film so angetan, dass er im Nachhinein freiwillig noch einen großen Nachlass gewährte.

Das Bundesarchiv verfügte über drei leicht unterschiedliche Versionen des Films, aus denen Bakels ein brauchbares Gesamtwerk zusammenschnitt. Die Filmrollen waren zum Teil beschädigt und man sah Laufspuren. „Das ist jetzt alles behoben“, freut sich Scharpf. Die Aufnahmen wurden seinerzeit von Hand gekurbelt, was dazu führte, dass die Drehgeschwindigkeit unterschiedlich hoch war. Als Zuschauer hatte man stellenweise den Eindruck, die Menschen bewegten sich viel zu schnell, was zu einer hektischen Grundstimmung führte. „Deshalb haben wir nun die Geschwindigkeit etwas gedrosselt und das Bild digital stabilisiert“, verrät Scharpf.

Das damalige Kurorchester, Musica Hungarica, spielte bei den Filmvorführungen live dazu. Da es an einem der Vorführtermine verhindert war, hatte man bei einem Live-Konzert mitgeschnitten und konnte den musikalischen Part fortan auch ohne Orchester zum Film abspielen lassen.

Musikalisch veredelt

Das brachte Scharpf auf die Idee, für die demnächst erscheinende DVD eine zweite Tonspur einzuziehen. Der 58-Jährige hatte Kontakte zum Harald-Rüschenbaum-Trio aus Marktoberdorf. Er war überrascht, dass seine unbedarfte Frage, ob das Trio sich vorstellen könne, eine musikalische Begleitung für den Film zu entwickeln, auf fruchtbaren Boden fiel. Das Trio war nicht nur Feuer und Flamme für das Projekt, sondern hatte auch das richtige Händchen, die einzelnen Szenen des 50-minütigen Films mit passender Musik zu begleiten. Dabei nahmen Rüschenbaum und seine beiden Partner Anleihen sowohl beim deutschen Volkslied oder Schlager als auch Chanson bis hin zum klassischen Swing-Standard. Scharpf war begeistert vom Endergebnis. „Ich habe innerlich gejuchzt“, gesteht er und fügt an: „Für das Publikum gibt es musikalisch viel zu entdecken“.

Die Musiker Harald Rüschenbaum (rechts am Schlagzeug) und Pianist Daniel Mark Eberhard (links durch die Scheibe) spielten getrennt und doch zusammen.
Die Musiker Harald Rüschenbaum (rechts am Schlagzeug) und Pianist Daniel Mark Eberhard (links durch die Scheibe) spielten getrennt und doch zusammen. © Scharpf

Der Protagonist des Films ist ein Kurgast, den das Publikum bei seiner Kur begleiten darf. Auch Romantiker kommen auf ihre Kosten, denn der Patient erhält in einer der Szenen Besuch von seiner charmanten Verlobten. Dabei erklingt dann „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, das einst Marlene Dietrich berühmt machte. Bei dem Film selbst spielten viele Wörishofer Bürger mit, wie beispielsweise Dr. Alfred Baumgarten, der lange Zeit die rechte Hand Kneipps war.

Auch ein damaliges Kneipp-Bund-Mitglied aus Nürnberg war im Schauspieler-Team: Josef Lutz. Dass ausgerechnet er die Rolle des Bademeisters spielte, hat eine Vorgeschichte: Lutz war während dem Ersten Weltkrieg verwundet ins Bad Wörishofer Lazarett gekommen. Dort lernte er die Kneippkur kennen, war begeistert, und ließ sich im damaligen Parkhotel zum Bademeister ausbilden. Scharpf fand einen Artikel im Wörishofer Zeitungsarchiv, in dem Lutz sich am 1. August 1922 für ein besseres Kneipp-Marketing mithilfe des modernen Mediums Film aussprach. Das war vor fast hundert Jahren. „Diesem Mann haben wir den Film zu verdanken, den der Kneipp-Bund dann in Auftrag gab“, resümiert Scharpf.

Was Scharpf besonders freut: „Der Kneipp-Bund als Rechte-Inhaber war äußerst kooperativ und aufgeschlossen und hat uns nicht nur sämtliche Vorführungen gestattet“, freut sich Scharpf, sondern bringt zur Premiere am 18. Mai den Film nun auch als DVD auf den Markt.

In einem weiteren Artikel aus dem Archiv stieß Scharpf auf eine Filmkritik von 1924, in der es hieß: „Der Film hat noch Mängel.“

Diese Mängel sind nun dank großzügiger Spendengelder, moderner Technik und einer Handvoll Idealisten weitgehend behoben. Die Zuschauer dürfen sich am 18. Mai auf ein unterhaltsames Gesamtwerk freuen. Karten zu je acht Euro sind im Kurhaus-Pavillon erhältlich unter Tel. 08247/9933-57.

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