Vor Söder-Habeck-Treffen fordert Bayerns oberster Naturschützer: „Wir brauchen 10 000 Windräder“

Am Donnerstag spricht Ministerpräsident Markus Söder mit Wirtschaftsminister Robert Habeck über die Zukunft der Windkraft in Bayern. Richard Mergner, Chef des Bund Naturschutz in Bayern, erklärt, warum der Freistaat auf die Technologie setzen muss.
Der Bund Naturschutz hat in Bayern mehr Mitglieder als alle Parteien zusammen – nämlich 261 000. Richard Mergner, 61, ist seit 2018 Vorsitzender von Bayerns größtem und ältestem Natur- und Umweltschutzverband. Er lebt in Hersbruck bei Nürnberg.
Markus Söder ist Mitglied beim Bund Naturschutz. Gerade widersetzt er sich partout der Abschaffung der 10-H-Regel bei der Windkraft. Bieten Sie ihm jetzt die Ehrenmitgliedschaft an als Bayerns oberster Naturschützer?
Natürlich nicht. Weil es schlimm ist, dass Ministerpräsident Markus Söder, den ich seit Jahren kenne, sich bei der Windkraft um 180 Grad gedreht hat. Als er noch Umweltminister war, stand er 2011 unter einem großen Windrad und hat die Windkraft angepriesen. Ich habe Ihnen die entsprechenden Zeitungsartikel mitgebracht. Auch Ihre Zeitung hat darüber berichtet.
Können Sie vorlesen, was Söder damals gesagt hat?
Das mache ich gerne. Jetzt nach Fukushima müsse sich was ändern, sagte er. Ich zitiere: „Wir wollen die Verfahren für Windkraftanlagen, die derzeit noch zehn Monate dauern, auf drei Monate verkürzen. Das soll möglich werden, indem im Ministerium die Hürden für einen Bau herabgesetzt werden.“ Außerdem, so Söder weiter, werde die derzeitige Abstandsregel für Windkraftanlagen geändert. „Das heißt Lärmgutachten sind nur noch dann notwendig, wenn sich die Windanlage weniger als 800 Meter vom nächsten Wohnhaus entfernt befindet.“
Windenergie in Bayern: Bisher gibt es 1272 Windkraftanlagen
Der heutige Söder klingt tatsächlich anders. Aber gehört zur Wahrheit nicht auch, dass es lokale Naturschutzorganisationen sind, die oftmals gegen neue Windräder mobil machen?
Nein, das stimmt in dieser Zuspitzung nicht. Wir als Bund Naturschutz beklagen keine Windräder. Das haben wir in Bayern noch nie getan. Wir haben zuletzt in den Landkreisen Ebersberg, Pfaffenhofen, Neustadt an der Aisch und in Regensburg bei vier Bürgerentscheiden für Windkraftwerke Werbung gemacht. Der Bund Naturschutz sagt allerdings: Wir brauchen nicht wahllos überall Windkraft, sondern Windkraft mit Plan. Wir haben schon vor über zehn Jahren gefordert, dass auf zwei Prozent der Fläche des Freistaats Windkraft möglich sein muss. 10H ist eine absolute Blockadepolitik der Windkraftgegner, die sich die Staatsregierung unter Ministerpräsident Horst Seehofer leider zu eigen gemacht hat. Wir waren das Land, wo die Windkraft und auch die Fotovoltaik Zukunft hatten.

Was ist seitdem passiert?
Die CSU ist bei dem Thema 2014 komplett umgeschwenkt. Ministerpräsident Seehofer hat damals zu seinen Leuten sinngemäß gesagt: „Ich werde im Wahlkampf permanent verfolgt von Windkraftgegnern. Schafft mir diese Leute vom Leibe. Egal wie.“ Das ist der Ursprung der 10-H-Regel. Seehofer hat sich beim Bund dafür eingesetzt, dass Bayern eine Ausnahmeregel bewilligt bekommt. Ich muss selbstkritisch sagen, dass wir es nicht für möglich gehalten haben, dass Seehofer damit durchkommt. Wir haben den Vorstoß nicht ernst genug genommen. Doch plötzlich hatten wir diese Regel und gleichzeitig hieß es, in Bayern wehe eh viel zu wenig Wind. Die CSU hat dafür gesorgt, dass das bayerische Windkraft-Potenzial komplett ausgebremst wurde.
Windkraft soll „der Lastesel der Energiewende im Freistaat werden“
Wie viele Windkrafträder würde Bayern vertragen?
Wir haben momentan ungefähr 1200 Windkraftwerke in Bayern, die 2,5 Gigawatt an Leistung liefern. Wir sagen, dass die Windkraft in Zukunft der Lastesel der Energiewende im Freistaat werden muss. Nur so lässt sich ohne massive Energie-Importe aus anderen Ländern bis 2040 Klimaneutralität erreichen.
Wir müssen akzeptieren, dass Energie erst mal teurer wird.
Wie viele Windräder braucht es dazu?
In unserem Energiekonzept für Bayern, das auch Einsparpotenziale vorsieht, haben wir ausgerechnet, dass je nach Leistung 6000 bis 10 000 neue Windkrafträder notwendig sind. Damit könnte man die Leistung auf 32 Gigawatt erhöhen. Das ist zwölfmal so viel wie heute. Umgerechnet heißt das pro 1500 Einwohner in Bayern ein Windrad. Oder eben 120 Windräder je Landkreis. Uns ist natürlich auch klar, dass es Landkreise gibt, wo zu wenig Wind weht. Oder wo es wegen des Landschaftsschutzes nicht geht. In Miesbach zum Beispiel wird es in einem Großteil des Landkreises mit Windrädern schwierig.
Sind wirklich alle Ihre Mitglieder so begeistert von Windenergie?
Ich gebe zu, dass wir manchmal Konflikte mit einigen Leuten in den Ortsgruppen haben. Aber ich als Vorsitzender sage, dass wir nur dann unsere Lebensgrundlagen erhalten und die Klimakrise stoppen können, wenn wir auf 100 Prozent Erneuerbare Energien umstellen. Das ist eine Riesenherausforderung, aber auch eine gigantische Chance gerade für den Industriestandort Bayern.
„Wenn man sorgfältig plant, sind Windräder kein Problem, sondern eine Chance“
In Oberbayerns Kommunen heißt es oft: Riesige Windparks verschandeln die Natur und schädigen den Tourismus.
In vielen Regionen Deutschlands, im Schwarzwald oder in der Fränkischen Schweiz, gibt es genauso schöne Landschaften wie in Oberbayern. Trotzdem stehen dort Windräder. Wenn man sorgfältig plant und landschaftliche Höhepunkte schützt, sind Windräder kein Problem, sondern eine Chance. Natürlich, das gehört auch zur Wahrheit, wird es eine Veränderung der Landschaft geben. Bisher haben wir in Bayern gerne alle Belastungen weggeschoben – das Uran wird woanders abgebaut. Das Öl kommt aus Aserbaidschan, das Gas aus Kasachstan. Die Kohlegruben haben meistens auch die anderen gehabt. Auch den Atommüll will die Staatsregierung nicht hier endlagern.

Morgen kommt Wirtschaftsminister Habeck zum Energie-Gipfel nach Bayern. Söder bietet an, die Wasserkraft auszubauen, wenn Habeck 10H akzeptiert. Ein guter Deal?
Das ist ein vergiftetes Angebot von Söder und es hat auch keine Substanz. Selbst die kühnsten Wasserkraft-Befürworter sagen, dass wir in Bayern nur noch ein Gigawatt zubauen können. Die Wasserkraft ist von ihren natürlichen Gegebenheiten her im Freistaat ausgeschöpft. Aber natürlich begrüßen wir die Modernisierung der bestehenden großen Anlagen – zum Beispiel an der Donau oder am Lech, wenn gleichzeitig auch der Fischauf- und -abstieg verbessert wird.
Die Energiewende wird nicht über Nacht gelingen. Wir laufen auf einen Energie-Engpass zu. Kommt der Ausstieg aus der Atomkraft zu früh?
Die Gefahren der Atomkraft sind aus unserer Sicht so groß, dass wir die letzten verbliebenen AKWs am liebsten morgen abschalten würden. Wenn man die Risiken eines GAUS damit abwiegt, noch eine bestimmte Zeit lang fossile Emissionen in die Atmosphäre zu blasen, dann bin ich dafür, kurzfristig zum Beispiel verstärkt auf effiziente Heizkraftwerke mit Gas oder Wasserstoff zu setzen.
Energie-Einsparpotenziale nutzen: „Dann brauchen wir weniger Gas aus Russland“
Deutschland ist mehr denn je abhängig von Gas aus Russland. Ist das einem Naturschützer egal?
Es ist mir in keinster Weise egal. Wir sind aber auch dafür, dass wir Energie-Einsparpotenziale nutzen. Dann brauchen wir weniger Gas aus Russland. Wenn wir uns irgendwann komplett aus den Erneuerbaren versorgen können, sind wir übrigens komplett unabhängig von Gaslieferanten und müssen uns nicht mehr die Preise diktieren lassen. Mittelfristig gehört zum Gesamtbild, dass wir akzeptieren, dass Energie erstmal teurer wird. Das ist ein volkswirtschaftliches und betriebswirtschaftliches Signal, das wir brauchen.

Als Gutverdiener reden Sie sich leicht. Was sollen Menschen mit geringem Einkommen machen?
Es muss keiner frieren. Aber wir brauchen eine Aufstockung beim Mindestlohn wie bei Sozialleistungen. Außerdem braucht es ein Grundangebot an bezahlbarer Mobilität. Anrufsammeltaxis, mehr Ruf-Busse, da gibt es viele Möglichkeiten. Ich finde, dass öffentliche Verkehrsmittel in Deutschland zu teuer sind. Wir müssen schauen, dass es gerecht zugeht bei den Belastungen, die kommen können.
Müssen nicht auch Naturschützer umdenken: Weniger Widerstände der Ortsgruppen gegen Bahntrassen vor Ort, weil es sonst mit der Verkehrswende nichts wird?
Wir als Bund Naturschutz setzen uns für den Ausbau von Bahnstrecken ein. Bei uns gibt es die klare Ansage, dass der Ausbau des öffentlichen Verkehrs sogar Vorrang vor Bäumen hat, die für bestimmte Projekte gefällt werden müssen, wenn es dazu keine Alternative gibt.
Der Bund Naturschutz hat kein positives, dominantes Thema, mit dem man ihn verbindet. Bedauern Sie das angestaubte Image?
Keineswegs. Wir sind ein nun wieder hochmoderner ökologischer Gemischtwarenladen mit hunderttausenden Mitgliedern. Aber vielleicht, das stimmt schon, kommen wir mit unseren positiven Beispielen zu wenig in der Öffentlichkeit vor. Aber man darf auch unsere Moorschutzprojekte, den Einsatz für Luchs und Wildkatze wie auch die Biotoppflege nicht vergessen. Außerdem retten unsere Aktiven jedes Jahr hunderttausende Amphibien vor dem Straßentod – und das schon seit vielen Jahrzehnten. Interview: G. Anastasiadis, D. Walter, D. Göttler & S. Sessler *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA
Der Bund Naturschutz
Der Bund Naturschutz in Bayern ist in 76 Kreis- und über 500 Ortsgruppen organisiert. Er ist politisch unabhängig, hat rund 6200 aktive Ehrenamtliche und ist der Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Gegründet wurde er 1913 unter dem Protektorat von Kronprinz Rupprecht von Bayern. Einer der größten Erfolge ist der Kampf gegen die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf. Ein Jahrzehnt dauerte der Widerstand, die WAA wurde nicht gebaut. Eine bittere Niederlage war der vergebliche Kampf gegen den Donau-Ausbau zwischen Regensburg und Straubing.