Sudelfeld: "Das ist Umweltvandalismus"

Bayrischzell - Protest zu Fuß: Ein Tross von Sudelfeld-Kritikern hat sich die Baustelle aus der Nähe angesehen. Zwischen den Baggern trafen sie auf ein paar Verantwortliche der Maßnahme. Ein Bericht.
Als Ludwig Hartmann oben am Hang den ersten Bagger sieht, spaßelt er so einen Satz dahin, der viel Wahrheit enthält. „Vor 20 Jahren“, sagt der Fraktionschef der Landtags-Grünen, „da hätten wir uns noch drangekettet an das Ding“. Aber die Zeiten haben sich geändert. Für die Grünen. Und für das Sudelfeld.
Hartmann will sich selbst anschauen, wogegen er, seine Partei und zig Umweltverbände seit Wochen opponieren. Also stapft er mit einem ganzen Tross an Kritikern von Bund Naturschutz und Deutschem Alpenverein rauf zu jenem Skigebiet, in dem der größte Speicherteich Deutschlands entstehen soll. Dazu 250 Beschneiungsanlagen. Tourismusgemeinden wie Bayrischzell (Kreis Miesbach) hoffen, dem Klimawandel so noch ein paar Jährchen trotzen zu können. Die Fakten sind bekannt. Aber wie weit ist das Projekt schon gediehen?
Oben, auf etwa 1400 Metern Höhe, gräbt sich eine Handvoll Bagger in die Landschaft, schichtet den lehmigen Boden um, aus dem der bis zu 38 Meter hohe Damm des Speicherteiches entstehen soll. Noch aber klaffen überall Löcher wie offene Wunden. Wer Böses will, denkt an ein Schlachtfeld im Voralpenidyll. Andere sagen: So sieht’s halt aus auf einer Baustelle. Hartmann überlegt kurz: „Das ist Umweltvandalismus, der hier betrieben wird.“
Die, die das anders sehen, sind auch gekommen. „Frau Staaaaaaammmm“, ruft Egid Stadler mehr als einmal quer über einen der offenen Gräben. Der Geschäftsführer der Bergbahnen am Sudelfeld kennt Frau Staaaaaammmm, will heißen: die Landtags-Abgeordnete Claudia Stamm, schon. Beide geben sich höflich die Hand, Stadler knurrt nebenher, er habe von dem Termin ja gar nichts gewusst. Dann stellt er Hauser Bacher vor, den Bauleiter aus Tirol, der mit kurzen Stoffhosen und Karohemd ein wenig aussieht wie ein verirrter Tourist.
Bacher hat viel Erfahrung mit dem Bau von Speicherteichen, vor allem in Tirol, aber auch in der Schweiz. Und jetzt in Bayern. Stolz zeigt er auf ein Stück Hang, das später einmal so etwas wie der Fuß des Teich-Damms sein wird – und dem tatsächlich kaum anzusehen ist, dass es künstlich angelegt wurde. Er wolle möglichst nah an der Natur bauen, sagt er mit seinem kratzigen Tiroler Akzent. Möglichst ökologisch. Dann fügt er noch an: „Ich versuche, aus der Situation das Beste zu machen.“
Dass das Projekt ein Ablaufdatum hat, wissen selbst die Betreiber. 15, vielleicht 20 Jahre – auch Enthusiasten rechnen kaum damit, dass die Beschneiungsanlagen länger laufen werden. Klimawandel eben. Trotzdem wird die beschneite Fläche in Bayern immer größer. 2005 waren es, wie die Grünen sagen, noch 413 Hektar, im vergangenen Jahr schon 771. 22 Millionen Euro an Steuergeld seien investiert worden, sagt Ludwig Hartmann. „Das Geld muss ich doch für ein Konzept ausgeben, das Zukunft hat.“
Er sagt das auf der Terrasse der Speck-Alm. Hätte er es schräg gegenüber in der Walleralm gesagt, hätten sie ihn vielleicht schimpfend rausgejagt. So ist es kürzlich einer Journalistin und einem Naturschützer gegangen, die sich kritisch über das Sudelfeld unterhalten haben. Das Thema spaltet. Bei der Beschneiungsfrage geht es eben auch um die Zukunft derer, die hier arbeiten.
Die Grünen wissen das. Dennoch halten sie das Projekt für blanken Irrsinn. „Ich mache mir Sorgen um den Sommertourismus“, sagt Ulrich Leiner, tourismuspolitischer Sprecher im Landtag. Er werde wegen der malträtierten Landschaft auf Dauer wegbrechen. Dabei habe er wirtschaftlich deutlich größere Bedeutung als der Wintertourismus.
So sieht es auch Claudia Stamm. Dass es nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts München keinen Baustopp geben wird, hält sie für ein „rein politisches Urteil“. Die Richter hätten nicht sauber abgewogen und wirtschaftlichen Interessen einfach den Vorrang gegeben. Bald könnten auch noch Fördergelder fließen, obwohl noch immer kein Antrag vorliegt. Die, sagt Stamm, seien „halt politisch gewollt“.
Im Hintergrund dröhnen die Bagger. Christian Hierneis vom Bund Naturschutz brüllt als einer der Letzten kurz gegen den Lärm an. „Ja“, sagt er, der BN werde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Beschwerde einlegen. Ein bisschen Hoffnung haben sie noch. „Weil alles andere ja keinen Sinn macht.“
Marcus Mäckler