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Er kritisierte Merkels Corona-Politik: Covid-19-Plan endet im Fiasko - „Entschuldige mich für falsche Aussage“

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Von: Patrick Mayer, Lena Bammert

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Boris Palmer bewirbt sein Konzept zur Eindämmung des Coronavirus. Jetzt muss der Tübinger Weg in der Covid-19-Pandemie aber große Rückschläge hinnehmen. Der Oberbürgermeister rechtfertigt sich.

Update vom 15. Dezember, 15.23 Uhr: Die Tübinger Covid-19-Strategie hat Risse. Das hatte sich in den letzten Tagen bereits angedeutet, zuvor galt sie allerdings sogar als Vorbild für andere Städte (s. Erstmeldung). Auch wegen eines Zahlen-Fiaskos.

Oberbürgermeister Boris Palmer hatte stolz verkündet, es gebe keine neuen Corona-Infizierten über 75 Jahren in Tübingen. Leider war das aber schlichtweg falsch. Palmer entschuldigt sich jetzt öffentlich.

„Ich entschuldige mich dafür, an dieser Stelle eine falsche Aussage gemacht zu haben“, räumt der Grünen-Politiker allerdings ein, keine bewusste Falschaussage getätigt zu haben. Probleme bei der Datenübermittlung seien schuld. „In zwei Wochen hat das Landratsamt sechs Infizierte in dieser Altersgruppe festgestellt, die in der städtischen Auswertung zu den Quarantäneanordnungen nicht auftauchen.“

Er kritisierte Merkels Corona-Politik: Jetzt droht sein Covid-19-Modell zu scheitern - „Leider war das Netz nicht ...“

Update vom 14. Dezember, 18.30 Uhr: Ist das deutschlandweit sogenannte Tübinger Modell von Oberbürgermeister Boris Palmer (Die Grünen) gescheitert?

Es zeigt beim Versuch der Eindämmung der Coronavirus-Pandemie zumindest erste Schwächen. Zur Einordnung: Die Universitätsstadt Tübingen hatte Anfang September regelmäßige Corona-Tests für das Personal in Alten- und Pflegeheimen eingeführt. Mit diesem Schutzkonzept sollte das tödliche Eindringen des Virus in die Einrichtungen verhindert werden.

Corona-Pandemie in Deutschland: Tübingen wählte bei Covid-19-Risikogruppen eigenen Weg

Zudem wurden alle Bürger über 65 Jahren aufgefordert, im Winter, wenn nicht anders möglich, den ÖPNV in der 85.000-Einwohner-Stadt zu meiden. Einzelhandel und Lebensmittelgeschäfte waren aufgerufen, am Morgen ein Zeitfenster zu schaffen, in dem nur Covid-19-Risikogruppen einkaufen können. Die weiteren Bürger waren angehalten, dieses Zeitfenster zu unterstützen.

Palmer brüstete sich mit diesem Ansatz in den Medien teils, was dem ohnehin polarisierenden Rathauschef auch Kritik einbrachte. Jetzt muss er mit seiner lokalen Corona-Politik einen herben Rückschlag hinnehmen - und mit ihm seine ganze Stadt.

Konkret: In mehreren Altenheimen der schwäbischen Mittelstadt, die rund 30 Kilometer südlich von Stuttgart gelegen ist, gab es Coronavirus-Ausbrüche. Nachdem bis Mittwoch vergangener Woche kein einziger Infektionsfall in Altenheimen registriert worden war, sind jetzt gleich drei Tübinger Pflegeeinrichtungen betroffen, wie Oberbürgermeister Palmer (Grüne) an diesem Montag mitteilte.

Coronavirus-Pandemie: Mehrere Corona-Ausbrüche in Tübinger Pflegeheimen

„Obwohl es mehrfach Infektionen bei den Pflegekräften gab, hat die Barriere, die wir durch die regelmäßigen Schnelltests errichtet haben, in den meisten Fällen gehalten. Leider war das Netz nicht engmaschig genug, denn wir konnten die Tests nicht verpflichtend anordnen“, sagte Palmer.

Seit 2007 Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen: Boris Palmer.
Seit 2007 Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen: Boris Palmer. © Tom Weller/dpa

In einer Einrichtung der Altenhilfe Tübingen sind seiner Mitteilung zufolge seit Donnerstag sechs Bewohner sowie vier Pflegekräfte mit dem Coronavirus infiziert, weitere Covid-19-Fälle gab es demnach in einer weiteren Einrichtung der Altenhilfe sowie in einem privaten Pflegeheim. In diesem wurden laut Stadt Tübingen 19 Bewohner sowie sieben Beschäftigte positiv auf Corona getestet.

Boris Palmer: Tübingen-OB kritisierte wiederholt die Corona-Politik der Bundesregierung

In der Presse war Palmer zuletzt auch mit der Äußerung aufgefallen, in der Stadt gebe es bei den über 75-Jährigen keine Corona-Infizierten. Nach Angaben des Landratsamts Tübingen gab es diese aber sehr wohl. Palmer musste deshalb nun zurückrudern - und er entschuldigte sich für seine Aussage.

„In zwei Wochen hat das Landratsamt sechs Infizierte in dieser Altersgruppe festgestellt, die in der städtischen Auswertung zu den Quarantäne-Anordnungen nicht auftauchen“, erklärte der 48-jährige Schwabe: „Ich entschuldige mich dafür, an dieser Stelle eine falsche Aussage gemacht zu haben.“ In den vergangenen Monaten hatte Boris Palmer immer wieder die Covid-19-Politik der Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisiert. Jetzt muss er selber Kritik einstecken.

Corona-Pandemie in Deutschland: Boris Palmer und Tübingen verfolgen einen eigenen Weg

Erstmeldung vom 11. Dezember:

Tübingen - „Remstal-Rebell“ - so lautete früher der Spitzname Helmut Palmers, dem Vater des Oberbürgermeisters von Tübingen, Boris Palmer. Und der Apfel, das wüsste auch Helmut Palmer, schließlich war dieser zu seinen Lebzeiten Obstbauer, fällt auch hier nicht weit vom Stamm.

Boris Palmer ist mindestens genauso rebellisch unterwegs wie sein Vater, und das muss etwas heißen, schließlich kandidierte dieser ganze 289 Mal erfolglos als Bürgermeisterkandidat. Schon zu Beginn der Flüchtlingskrise mischte sich Tübingens Bürgermeister immer wieder mit äußerst umstrittenen Aktionen in die Öffentlichkeit hinein. So forderte er nach einer Welle von Vergewaltigungen in seiner Stadt einen DNA-Proben-Zwang für alle männlichen Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft.

Boris Palmer: Schock-Aussagen während der Coronakrise

Der 48-Jährige fällt weiterhin besonders zu Krisenzeiten gerne auf. So schockierte er im Frühjahr mit seiner Interview-Aussage zu den Corona-Strategien der Bundesregierung: „Ich sag es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären, aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“ Die Entschuldigung erfolgte verspätet und nach viel Kritik. Es blieb jedoch nicht die einzige Äußerung zu den Corona-Maßnahmen* von Bund und Ländern. So sprach sich Palmer für das umstrittene Schweden-Modell aus, welches auf Freiwilligkeit und Isolation von Risiko-Gruppen, wie älteren Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen setzt.

Coronavirus: Palmer stellt Tübingen-Konzept vor

Jetzt hat der seit 2007 amtierende Oberbürgermeister Tübingens in der Talk-Show „Maybrit Illner“ sein eigenes Corona-Konzept präsentiert - nach scharfer Kritik an den Kontaktbeschränkungen der Bundesregierung, die seiner Ansicht nach hätten vermieden werden können. Neben der kostenlosen Erstausstattung mit FFP2-Masken setzt sein Modell, ähnlich wie das schwedische wieder auf die Isolation der älteren Bevölkerung. So sollen Senioren und Seniorinnen getrennt von jüngeren Menschen einkaufen gehen - innerhalb eines speziellen Zeitfensters. Auch der öffentliche Nahverkehr soll weitestgehend Senioren-frei stattfinden, ältere Menschen könnten auf Sammeltaxen oder das Fahrrad ausweichen. In Tübingen funktioniert das schon. Im Interview mit dem Tagesspiegel sagte Palmer: „Bei den über 75-Jährigen haben wir zuletzt überhaupt keine Fälle mehr gehabt. Deshalb hat auch unsere Uni-Klinik nur sehr wenige Corona-Patienten.“

Twitter-Reaktion: Empörungen nach Palmer-Auftritt

Auf Twitter äußerten sich die Nutzer und Nutzerinnen jedoch äußerst kritisch. Viele werfen Palmer vor, sein Konzept entstamme einer Profilneurose oder seinem Wunsch nach Aufmerksamkeit, weniger dem Willen ältere Menschen zu schützen. Vereinzelt wird das Tübinger Konzept jedoch auch verteidigt.

Die reinen Zahlen scheinen dem Tübinger Konzept erstmal recht zu geben. Die Sieben-Tage-Inzidenz des ganzen Landkreises liegt mit 131 unter dem baden-württembergischen Landesdurchschnitt. Der Landesseniorenrat sieht das Konzept übrigens sehr kritisch. Das ZDF zitiert den Vorsitzenden Uwe Bähr mit den Worten „Das ist der falsche Weg.“(leb/AFP/dpa ) *Merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital Netzwerks.

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