Neue Corona-Welle in China: Virologe Streeck erklärt, was das für den Rest der Welt bedeutet

Der Virologe Hendrik Streeck gibt im Merkur-Interview Entwarnung wegen der Corona-Lage in China und erklärt, warum Mutationen kein Grund zur Sorge sind.
München – Die Welt reagiert nervös, denn China lockert seine Corona-Regeln. Könnte jetzt noch eine neue Mutation kommen? Der Virologe Hendrik Streeck, Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung, gibt im Interview mit dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA Entwarnung und erklärt, warum Mutationen kein Grund zur Sorge sind.
Video: Corona-Welle in China: Experten rechnen mit einer Million Toten
Wie sind die aktuell stark steigenden Infektionszahlen in China einzuordnen?
Wenn jetzt in China die Maßnahmen fallen und das Virus auf eine relativ naive Bevölkerung trifft, dann kommt es natürlich zu verstärkten Infektionen. Der Anstieg der Fallzahlen ist somit nicht ungewöhnlich.
Was machen hohe Fallzahlen mit einem Virus?
Die Chinesen sind mit rund 1,5 Milliarden ein sehr großes Volk. Wenn sich in den nächsten Monaten viele davon infizieren, kann es zu einem erneuten Selektionsdruck auf das Virus kommen, und dadurch können Mutationen entstehen. Man muss sich das so vorstellen: In relativ kurzer Zeit versuchen viele Immunsysteme das Virus einzudämmen – das Virus versucht dem aber zu entgehen. Dabei kann es zu Immunflucht-Varianten kommen. Das ist in vielen anderen Teilen der Welt bereits passiert, wie wir an den unterschiedlichen Varianten gesehen haben. In China hat das bisher noch nicht stattgefunden.
Könnte das relevant für den Rest der Welt sein?
Das Virus verändert sich, damit es vom Immunsystem nicht mehr so leicht erkannt wird. Das haben wir in der restlichen Welt bereits mitgemacht – daraus ist zum Beispiel auch Omikron entstanden. In China müssen wir das jetzt genau beobachten. Es kann gut sein, dass dadurch andere Immunfluchtvarianten entstehen. Aber man darf jetzt nicht in Sorge verfallen. Da entsteht kein neues Virus. Es fängt nicht alles von vorne an und es ist überschaubar, in welche Richtung sich das Virus wahrscheinlich weiterentwickeln wird. Wir sehen derzeit die Entstehung sehr vieler Varianten auf der Welt, die sich alle durch eine Immunflucht auszeichnen. Auch in Deutschland gibt es so eine Variantensuppe.
Virologe entwarnt: „In China entsteht kein neues Virus“
Ist eine Immunflucht-Variante eine gefährlichere Variante?
Um das zu verstehen, ist es am einfachsten, sich zu versinnbildlichen, was das Virus „will“: leichtere Übertragbarkeit, dem Immunsystem entkommen und dabei die eigene Fitness nicht verlieren. Krank machende Eigenschaften gehören nicht auf die „Wunschliste“ des Virus. Die Omikron-Variante ist so ein Beispiel dieser Entwicklung. Aber egal wie sich das Virus weiterentwickelt, wir haben immer eine Teilimmunität durch die Impfung oder vergangene Infektionen.
Welche Rolle spielen der chinesische Impfstoff und die wenigen Booster-Impfungen für die aktuelle Lage in China?
Die Impfung gibt einen Schutz vor einem schweren Verlauf, aber keinen guten Schutz vor einer Infektion. Auch in China nicht. Dadurch muss man mit einer Welle von Infektionen rechnen. Für China ist es das Wichtigste, dass es keine gehäuften Todesfälle und schwere Verläufe gibt. Daher ist das Wichtigste, die ältere Bevölkerung zu impfen oder zu schützen.
Sind die Chinesen jetzt dem Virus ausgeliefert?
Es werden sich nicht mit einem Schlag alle Chinesen infizieren. Menschen haben ein soziales Milieu, aus dem wir uns nur selten herausbewegen. Somit ist die Durchmischung gar nicht so stark, wie man annehmen würde. Dadurch verläuft ein Infektionsgeschehen immer in Wellen. Denn wer gerade infiziert war, kann sich nicht unmittelbar wieder infizieren. Wir sprechen hier von einer natürlichen Abflachung durch eine heterogene Verteilung des Infektionsgeschehens.
Über IPPEN.MEDIA
Das IPPEN.MEDIA-Netzwerk ist einer der größten Online-Publisher Deutschlands. An den Standorten Berlin, Hamburg/Bremen, München, Frankfurt, Köln, Stuttgart und Wien recherchieren und publizieren Journalistinnen und Journalisten unserer Zentralredaktion für mehr als 50 Nachrichtenangebote. Dazu zählen u.a. Marken wie Merkur.de, FR.de und BuzzFeed Deutschland. Unsere Nachrichten, Interviews, Analysen und Kommentare erreichen mehr als 5 Millionen Menschen täglich in Deutschland.
Coronavirus kann nicht dauerhaft eingedämmt werden - das erkennt auch China
Chinesische Epidemiologen sagen, dass es bis April in China noch drei Wellen geben wird.
Ich würde mich nicht trauen, vorherzusagen, wie viele Wellen es in China geben wird. Es ist so ein großes Land und es wird wohl auch regional unterschiedlich verlaufen. Selbst für Deutschland will ich es nicht vorhersagen. Denn wir werden im Herbst und Winter immer mal ansteigende Fallzahlen haben, auch dann, wenn wir bereits in der Endemie sind.
Wie ist die in China festgestellte Mutation BF. 7 zu bewerten?
Die ist auch schon in Deutschland aufgetaucht. Aber wir haben hierzulande eine Mischung aus verschiedenen Varianten. BF.7 entspringt der Omikron-BA5-Variante und gegen die haben wir in Deutschland eine gute Immunität. Um das mal in Relation zu setzen: die BQ1- oder BQ1.1.-Variante, über die wir zuletzt gesprochen haben, haben bereits mehr Veränderungen angehäuft als die BF.7 Variante. Daher kommt diese Variante nicht mit überraschenden, zusätzlichen Eigenschaften.
Könnten die wenigen Informationen über Corona aus China noch gefährlich werden?
Es ist schwierig, darüber zu spekulieren, was China weiß oder uns vorenthält. Manches wäre sicher gut für uns zu wissen. Aber mit der Umkehr von der Null-Covid-Strategie denke ich, dass China zu einer relativ ähnlichen Schlussfolgerung gekommen ist wie alle anderen Länder. Dieses Virus kann man nicht dauerhaft eindämmen. Daher finden wir mit Impfungen und Schutz vulnerabler Gruppen Wege, damit zu leben.
Interview: Leonie Hudelmaier