Das große Problem seien die lasch organisierten Kontrollen, entsprechend ist eine hohe Dunkelziffer zu befürchten. Womit ein Milliardenschaden alles andere als utopisch ist. Engelhard verweist in dem Bericht auf einen „Fehler im System“: Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) bekommen bei jedem abgerechneten Bürgertest einen kleinen Teil vom Kuchen ab. Exakt: 3,5 Prozent für Auszahlung und Kontrolle. Folglich würden die KVen mit jeder Aufdeckung eines fingierten Tests ihre Einnahmen beschneiden.
Einen konkreten Verdachtsfall deckte das Recherche-Netzwerk von NDR, WDR und SZ in Köln auf.
Dort sollen auffällig wenig positive Ergebnisse gemeldet werden. Als Beispiel wird die Situation Mitte Mai angeführt: Während im Schnitt in Nordrhein-Westfalen pro Tag fünf Prozent der Tests angeschlagen hätten, habe die Quote bei diesem Center lediglich 0,2 Prozent betragen. Ein verschwindend geringer Anteil. Dabei meldet die Teststelle demnach „eine sehr hohe Zahl von Bürgertests ans NRW-Gesundheitsministerium“.
Die misstrauisch gewordenen Rechercheure von NDR, WDR und SZ hätten deshalb an einzelnen Tagen selbst vor Ort mitgezählt. So seien am Freitag, den 13. Mai, 52 Fußgänger und 101 Autos aufgelistet worden, die Teststelle meldete 2670 Bürgertests. Am darauffolgenden Montag habe es so ausgesehen: 55 Fußgänger und 123 Autos wurden von den Journalisten registriert, gemeldet wurden 2186 Bürgertests.
Die Frage nach einer Erklärung für diese Unterschiede habe der Geschäftsführer auch nach mehreren Tagen nicht beantwortet. Es sei lediglich darauf hingewiesen worden, dass es „einen längeren Zeitraum“ brauche, um die Testzahlen für die beiden Tage „vernünftig und belastbar zu recherchieren“. Allerdings seien am Tag, nachdem die Fragen abgeschickt worden seien, lediglich 230 Tests ans Gesundheitsministerium gemeldet worden - demnach der niedrigste Wert des Jahres.
Die Tagesschau rechnet vor, dass die Teststelle in Köln mit den 2022 bislang gemeldeten 234.000 Tests rund 2,8 Millionen Euro eingenommen haben müsste. Das Gesundheitsamt der Stadt Köln habe laut eigenen Angaben „die auffällige Positivenquote sowie die konstant hohen Meldezahlen bereits Anfang Oktober 2021 entdeckt“, auch am 26. Januar und am 23. April sei die Teststelle an die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein gemeldet worden. Diese wollte sich dem Bericht zufolge nicht zu einzelnen Teststellen äußern.
Es ist bereits der fünfte Fall im Zusammenhang mit Bürgertests, in dem das Rechercheteam Unregelmäßigkeiten aufdeckte. Darin ging es um zu viel gemeldete Tests, überhöhte Sachkostenabrechnungen, Testzentren, die keinen einzigen positiven Test meldeten, und von Gymnasien unterhaltene Testzentren, in denen Schüler auf Kosten des Bundes getestet wurden - obwohl deutlich günstigere Selbsttests verpflichtend waren.
Eine Anfrage des Rechercheteams an alle KVen brachte zutage, dass diese in Berlin, Hamburg, Bremen, dem Saarland, Hessen und Thüringen noch keinen Fall zur Anzeige gebracht haben, in Bayern sind es 21, in Baden-Württemberg 14, in Nordrhein-Westfalen sieben, die Vertretungen in Brandenburg und Niedersachsen gaben jeweils eine Meldung an die Staatsanwaltschaft weiter. Auch interessant: Hessen hat nach eigenen Angaben insgesamt 4,9 Millionen Euro von 164 Testzentren zurückgefordert, für Hamburg und das Saarland steht jeweils eine dicke Null. (mg)