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Corona-Studie zeigt: So verbreitete sich das Virus von Patient 0 in Deutschland

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Von: Marcus Giebel

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Im März griff das Coronavirus in Deutschland so richtig um sich. Doch schon im Januar gab es die ersten Fälle. Diesen geht eine Studie auf die Spur.

München - Für den Moment scheint die Corona-Pandemie in Deutschland weitgehend im Griff zu sein. Die Maßnahmen wie Ausgangs-und Kontaktbeschränkungen* griffen wie in kaum einem anderen Land, die so wichtige Reproduktionszahl wird seit Tagen unter der magischen Zahl 1 gehalten, ein Infizierter steckt also weniger als eine weitere Person an. Vorerst ist die Bundesrepublik angesichts von 8000 Todesfällen also vom Worst-Case-Szenario verschont geblieben.

Doch wie schnell sich alles wieder drehen und eine zweite Welle über das Land und seine rund 82 Millionen Einwohner hinwegschwappen kann, sollte allen nur zu bewusst sein. Denn es genügt nur ein einziger positiver Fall, der eine Verbreitung sofort wieder beschleunigen könnte.

Lesen Sie dazu: Sind Corona-Infizierte schon ansteckend, bevor sie selbst etwas merken? Wie schnell man sich das Virus einfangen kann, zeigt eine Studie zu den ersten Fällen bei Webasto in Starnberg - mit ernüchterndem Fazit.

Coronavirus in Deutschland: Patient 0 schleppte Krankheit aus China ein

Bestes Beispiel ist da die Geschichte von Patient 0. Also der Person, die das Coronavirus überhaupt eingeschleppt hat. Eine Studie des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut und Experten wie dem Virologen Christian Drosten* zeigt deren Weg nun auf, der in den ersten 16 Corona-Infizierten in Deutschland mündete und besonders dem oberbayerischen Autozulieferer Webasto zu schaffen machte.

Denn das Virus kam im Körper einer aus Shanghai stammenden Chinesin nach Deutschland, die für eine Niederlassung des deutschen Unternehmens im Reich der Mitte tätig ist. Sie selbst hatte vor ihrer beruflichen Reise nach Europa Besuch von ihren in Wuhan lebenden Eltern. So fing sich die Frau die Infektion wohl ein, bevor sie am 19. Januar deutschen Boden betrat. Auf ihrem Plan standen Workshops und Meetings.

Coronavirus in Deutschland: Patient 0 kämpft mit Brust- und Rückenschmerzen

Bereits am Tag nach der Ankunft habe sie Brust- und Rückenschmerzen verspürt, wie sie sie noch nicht kannte. Doch mit ein paar Schmerzmitteln wie Paracetamol hoffte die Frau, den körperlichen Problemen Einhalt gebieten zu können. Während ihres Aufenthalts fühlte sie sich durchgehend müde, schob dies jedoch auf den Jetlag.

Zurück nahm Patient 0 einen Übernacht-Flug und klagte nach der Rückkehr nach Shanghai am 22. Januar über Fieber. Zwei Tagte später maß sie ihre Körpertemperatur mit 38,6 Grad, zudem kamen Hustenanfälle dazu. So suchte sie am 25. Januar einen Arzt auf, ein Corona-Test am Tag darauf schlug an und schließlich wurde die Frau am 27. Januar in eine Klinik eingewiesen.

Coronavirus in Deutschland: Vier direkte Kontakte von Patient 0 infiziert

Am selben Tag wurde Webasto über die Erkrankung des zeitweiligen Gastes informiert. Zwischen dem 27. und 29. Januar entpuppten sich vier Mitarbeiter, die direkten Kontakt zu Patient 0 hatten, als infiziert. Das Quartett wurde umgehend in Kliniken eingewiesen und isoliert. Ihr direktes Umfeld sowie die Kontakte der vorangegangenen zwei Tage wurden überprüft. Alle Hochrisiko-Kontakte seien in zweiwöchige Quarantäne versetzt worden. Webasto machte die Büroräume bis zum 11. Februar dicht.

Bis zum 19. Februar wurden insgesamt 16 Infizierte registriert, darunter vier Frauen. Das Durchschnittsalter der Erkrankten betrug 35 Jahre. Unter den Infizierten waren zehn Kollegen der Chinesin. Eine weitere Person aus dem Land des Lächelns - in der Studie als Patient 13 benannt - hatte sie bei mehreren Aktivitäten in Deutschland begleitet, beide flogen gemeinsam zurück.

Coronavirus in Deutschland: Patient 1 erwischt es bei einem Meeting

Patient 1 saß am 20. Januar bei einem einstündigen Meeting in einem etwa zwölf Quadratmeter großen Raum neben Patient 0, die beiden an der anderen Tischseite sitzenden Personen steckten sich dagegen nicht an. Am 21. Januar gab es einen weiteren kurzen Kontakt der beiden Infizierten, zwei Tage später kämpfte Patient 1 mit einer Halsentzündung. Am 25. und 26. Januar - dem Wochenende - wies die Person 39 Grad Fieber auf und hatte leichten Husten.

Obwohl Patient 2 keinen direkten Kontakt zu Patient 0 hatte, deuten alle Hinweise darauf hin, dass es zu einer Ansteckung zwischen beiden Personen gekommen sein muss. Auch Patient 3 traf nicht direkt mit Patient 0 zusammen, arbeitete jedoch am 24. Januar kurzzeitig mit Patient 1 am gleichen Rechner. Zwei Tage darauf traf sich Patient 3 privat mit Patient 12, beide saßen rund 90 Minuten nah beieinander und verbrachten den restlichen Abend zusammen. Dabei war auch der Partner von Patient 3 zugegen, infizierte sich jedoch offenbar nicht.

Coronavirus in Deutschland: Patient 12 erfährt im Spanien-Urlaub von Erkrankung

Patient 12 reiste am 28. Januar - also drei Tage nach dem gemeinsamen Abend - in den Spanien-Urlaub. Dort wurde die Person aufgrund der Entwicklung von den Behörden am 30. Januar ins Krankenhaus eingeliefert und positiv getestet.

Gleich an drei Tagen hatte Patient 4 direkten Kontakt zu Patient 0 und wurde am 24. Januar von einer Schüttelfrost heimgesucht. Es folgte leichtes Unwohlsein sowie eine Verstopfung von Nase und Nasennebenhöhlen, worauf Patient 4 am 28. Januar ins Krankenhaus kam.

Coronavirus in Deutschland: Fast der ganze Haushalt von Patient 5 infiziert

Bei Patient 5 ist eine Ansteckung durch Patient 4 wahrscheinlich. Beide saßen am 22. Januar Rücken an Rücken in der Kantine, Patient 5 drehte sich jedoch zu Patient 4 um, um sich den Salzstreuer vom Tisch auszuleihen. Aufgrund des positiven Tests wurde der komplette aus fünf Personen bestehende Haushalt von Patient 5 ins Krankenhaus eingeliefert. Bei drei der vier Getesteten offenbarten sich ebenfalls Erkrankungen. Sie wurden als Patienten 6, 9 und 11 katalogisiert. Dabei steckte sich Patient 9 bei Patient 11 an, bei dem zunächst zwei Tests negativ ausgefallen waren.

Patient 7 wiederum infizierte sich bei Patient 5 - beide saßen am 24. Januar bei einem 90-minütigen Meeting etwa anderthalb Meter auseinander. Die Symptome offenbarten sich aber erst vier Tage später, an jenem 28. Januar hatte Patient 7 ein einstündiges Meeting mit Patient 10, an dem auch Patient 16 teilnahm.

Opfer der ersten kleinen Corona-Welle in Deutschland: Zu Jahresbeginn infizierten sich mehrere Webasto-Mitarbeiter.
Opfer der ersten kleinen Corona-Welle in Deutschland: Zu Jahresbeginn infizierten sich mehrere Webasto-Mitarbeiter. © dpa / Lino Mirgeler

Coronavirus in Deutschland: Patienten 8 und 10 werden erst bei Testreihe entdeckt

Patient 8 muss sich an einem der täglichen Meetings mit Patient 5 am 22., 23. oder 24. Januar angesteckt haben. Sowohl Patient 8 als auch Patient 10 wurden erst bei einer umfassenden Testreihe des Unternehmens als Corona-Fälle identifiziert, beide hätten laut eigenen Angaben zuvor nur leichte und nicht-spezifische Symptome aufgewiesen.

Bei den Patienten 14 und 15 handelt es sich um Haushaltsmitglieder von Patient 7 respektive 2, beide scheinen sich demnach auf diesem Weg angesteckt zu haben. Bei den Patienten 15 und 16 wurde bei den ersten Tests* vom 29. bis 31. Januar keine Erkrankung nachgewiesen, das änderte sich bei einer weiteren Überprüfung rund zwei Wochen später. Nicht sicher ist die Infektionskette* bei Patient 16, der am 28. Januar bei dem Meeting dabei war, während dem sich Patient 10 mutmaßlich bei Patient 7 ansteckte. Am selben Tag aber saß Patient 16 bei einem anderen Meeting nur einen Meter von Patient 8 entfernt.

Übrigens: In der Studie verfolgten die Forscher nicht nur die Infektionskette, die Patient 0 in Gang gesetzt hat, ganz genau nach. Es wurde auch geprüft, ob Infizierte das Virus bereits an andere übertragen können, bevor sie selbst Symptome zeigen. Das Ergebnis der Studie ist ernüchternd.

Coronavirus in Deutschland: Kein positiver Fall bei Flügen zweier Patienten

Die Flüge von Patient 0 von München nach Shanghai und von Patient 12 von München nach Teneriffa wurden ebenfalls untersucht. Weder unter den Passagieren noch anderen Kontaktpersonen konnte bis zum 2. Mai ein weiterer Corona-Fall identifiziert werden.

Mit Ausnahme von Patient 15 gelten alle Fälle als solche mit normalen Symptomen*, zum Glück in milder Ausprägung. Nur diese eine erkrankte Person wies keinerlei Symptome auf. Die Inkubationszeit reichte von einem bis hin zu sieben Tagen. Der Mittelwert von exakt vier ist überraschend gering.

Coronavirus in Deutschland: Insgesamt 241 Kontaktpersonen identifiziert

Bis zum 19. Februar waren 241 Hochrisiko-Kontakte identifiziert, darunter 24 Haushaltsmitglieder. Von den 217 weiteren Kontaktpersonen infizierten sich elf - auch das ist ein geringer Wert. Dies könne zurückgeführt werden auf die schnell verhängte Quarantäne* und die vorübergehende Schließung der Webasto-Räumlichkeiten.

Lediglich zwei der Patienten hatten im Laufe der Erkrankung mit einer Lungenentzündung zu kämpfen, alle anderen wiesen nur leichte Symptome auf. Mittlerweile sind allesamt wieder gesund. Die Forscher betonen aber auch, dass es sich zumeist um Arbeitnehmer im besten Alter gehandelt habe, die grundsätzlich keine Vorerkrankungen aufweisen würden.

Das Vorgehen wird weitgehend gelobt, dennoch schließt die Studie mit der Feststellung: „Es könnte schwierig sein, eine erfolgreiche und langfristige globale Eindämmung von Covid-19 zu erreichen.“ Was sich ja durchaus schon gezeigt hat im Verlauf der Pandemie.

Auch in Deutschland kommt es zu immer mehr Demonstrationen gegen die Beschränkungen. Bringt die Abstandsregel wirklich Sicherheit? Neue Erkenntnisse lassen Zweifel daran aufkommen.

Eine mysteriöse Kinderkrankheit scheint im Zusammenhang mit dem Coronavirus zu stehen - es gibt bereits Todesopfer. Der Virologe Christian Drosten nennt die optimale Reproduktionszahl - diese ist erstaunlich hoch.

*merkur.de ist Teil des bundesweiten Ipppen-Digital-Redaktionsnetzwerks.

mg

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