Ernste Corona-Gefahr? Experte stellt lange unbestrittene Virologen-These infrage - „übertriebene Diskussion“
Welche Rolle spielen Aerosole bei der Übertragung des Coronavirus? Der Konsens unter den Virologen schien klar, doch so eindeutig ist die Thematik offenbar nicht.
- Aerosole spielen eine entscheidende Rolle bei der Übertragung des Coronavirus, hieß es von Seiten Deutschlands Virologen.
- Diese Diskussion sei jedoch „völlig übertrieben“, meint Infektiologe Dr. Peter Walgner.
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München - Christian Drosten, Alexander Kekulé, Hendrik Streeck, Jonas Schmidt-Chanasit. 2019 hatten viele Deutsche von keinem der Virologen je gehört, in Zeiten der Corona-Krise ist das Quartett jedoch so präsent wie nie. In den Covid-Hochzeiten im März und April war nahezu jeden Tag einer von ihnen im Fernsehen zu sehen, bei wichtigen Entscheidungen der Politik wie etwa dem Schul- und Kitastart wurden sie mit einbezogen. Kritiker mahnen nun, die Worte der Virologen und auch Epidemiologen seien überproportional gehört geworden.
Coronavirus in Deutschland: Einseitige Expertenrolle? „Man muss auch ein Krankenhaus von innen gesehen haben“
Dass die Expertenrolle zu einseitig gewesen sei, meint etwa der Infektionsspezialist Peter Walger: „In den ersten Monaten wurden nur Experten um ihre Einschätzung gebeten, die zwar viel von Coronaviren verstanden, ihre Kenntnisse aber wesentlich auf Laborforschung* oder aus der Literatur über die Grippepandemien beruhten. Infektionsschutz ist aber angewandte Wissenschaft, da spielen die Erkenntnisse der medizinischen Hygiene und der klinischen Infektionsmedizin eine zentrale Rolle. Man muss auch ein Krankenhaus von innen gesehen haben, um das Regelwerk zum Schutz vor ansteckenden Krankheiten zu kennen“, sagte Walger im Interview mit der „Welt“ (Artikel hinter Bezahlschranke).
Konkret gezeigt hätte sich diese Einseitigkeit etwa in der Maskenfrage sowie der Debatte um Aerosole. „Beide Themen werden sehr theoretisch akademisiert diskutiert.“ Walger selbst weiß um den Ernst der Lage, sieht manche Maßnahmen jedoch auch kritisch. Der Infektionsspezialist und gleichzeitig Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, findet den Hype um Desinfektionsmittel unangebracht, denn „wir brauchen es im Alltag nicht, 20 Sekunden Seife und Wasser reichen.“
Corona: Wie gefährlich sind Aerosole? Experte kontert Drosten & Co. - „völlig übertriebene Diskussion“
Darüber hinaus hält er das Thema Aerosole „für eine grundsätzlich sinnvolle, aber völlig übertriebene Diskussion“. Diese Mischung winziger Teilchen in der Luft - definiert als Tröpfchenkerne kleiner als fünf Mikrometer - scheint eine ernste Corona-Gefahr darzustellen, wie etwa Christian Drosten betonte und war etwa dafür verantwortlich, dass Schlachtbetriebe wie Tönnies wegen Corona-Ausbrüchen schließen mussten.
Die Zustände bei Tönnies & Co. dürften allerdings nicht einfach so auf den Alltag projiziert werden. Körperliche Arbeit bei kaum Abstand in einer heruntergekühlten Arbeitshalle - „da darf man schon mal über Aerosole diskutieren. Ein Vergleich mit Schulklassen oder Restaurants erscheint mir da aber unverhältnismäßig und sehr theoretisch.“ Zumal Sars-CoV-2 nicht zu den Virustypen gehöre, bei denen bereits geringe Mengen in Aerosolen ausreichen, um viele andere Menschen zu infizieren. Vielmehr „ähnelt es grundsätzlich eher der Influenza und anderen durch Tröpfchen übertragenen Infektionen.“ Walger appelliert daher zu Schulöffnungen, denn „Kinder und Jugendliche werden durch den Entzug der Bildung schwerer geschädigt als durch die Infektion.“
Corona in Deutschland: Pandemie zeigt, „wie groß der Nachholbedarf in Sachen Alltagshygiene und Infektionsschutz ist“
Alles in allem sieht Walger Deutschland gut gewappnet, denn „unser altes Ziel, das Gesundheitssystem nicht zu überfordern, ist erreicht. Die Krankenhäuser sind gut gerüstet. Jetzt geht es darum, Risikogruppen zu schützen – Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen, aber auch in Krankenhäusern zu verhindern.“
Zudem erhofft sich der Infektiologe neben einer ausgewogeneren Diskussion eine weiter voranschreitende Sensibilisierung in puncto Handhygiene. Walger referiert in diesem Zusammenhang über eine Studie, wonach sich vor Corona ein Viertel der Deutschen nach dem Toilettengang nicht die Hände wusch. Die Pandemie hätte „ans Licht gebracht, wie groß der Nachholbedarf in Sachen Alltagshygiene und Infektionsschutz ist.“ Diese Statistik sollte daher nun anders ausfallen. (as) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.