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Coronavirus: Virologe Streeck fordert Strategiewechsel - „Halte es für essenziell, dass ...“

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Von: Michelle Brey

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Virologie Hendrik Streeck in einem Labor.
Virologe Hendrik Streeck wagte in einem Interview eine Prognose für die kommenden Wochen. © Federico Gambarini/dpa

Die Corona-Infektionszahlen steigen an. In einem Interview plädierte Virologe Hendrik Streeck nun für einen Strategiewechsel und wagte eine Vorschau auf die kommenden Wochen.

Update vom 15. September, 12.30 Uhr: Die Forderung nach einem Strategiewechsel im Umgang mit der Coronavirus-Pandemie von Virologe Hendrik Streeck sorgte für Aufsehen. Einige kritisieren ihn als „Verharmloser“ der Pandemie, bei anderen weckt er Sympathien als sogenannter „Querdenker“. Wo steht Hendrik Streeck tatsächlich?

Für die Aussage, dass man sich in der Bewertung der Pandemie nicht allein auf die reinen Infektionszahlen beschränken dürfe (wir berichteten, siehe Erstmeldung), erhielt Hendrik Streeck auf Twitter Gegenwind. Nicht jedoch die Gültigkeit seiner Aussage sorgte für einen Tweet der Virologin Beate Sodeik von der Medizinischen Hochschule Hannover, sondern der Eindruck, den die Aussage erweckt. So bezeichnet sie die Aussage als „Blöde Zuspitzung“. Kritik bezüglich seinen Vorschlägen andere Faktoren zur Bewertung der aktuellen Lage vorzuziehen, wie beispielsweise die stationäre Belegung, gibt es nicht. Auch Epidemiologe Gérard Krause sagte bereits im August gegen über dem „RND“, dass das alleinige bewerten von Infektionszahlen „problematisch“ sei und die schweren Covid-19-Erkrankungen sowie die Todesfälle das bedeutendere Kriterium zur Bewertung der Pandemie seien.

Eine weitere Aussage Streecks beziehen einige Kollegen auf die sogenannte Herdenimmunität: „Je mehr Menschen sich infizieren und keine Symptome entwickeln, umso mehr sind – zumindest für eine kurzen Zeitraum – immun.“ Hier wird es Streeck jedoch zum Verhängnis, dass das Interview nur gekürzt an die Agenturen gegeben wurde. Er wird korrekt zitiert, in dem ungekürzten Interview mit „Welt am Sonntag“ (Artikel hinter Bezahlschranke) stellte der Virologe jedoch voraus, dass man die Ansteckungsfälle weiterhin grundsätzlich sehr gering halten solle und die Ausbreitung des Virus nicht forcieren sollte.

Coronavirus in Deutschland: „Richtig ist, unsere Reaktion auf die zweite Welle breit zu diskutieren“

In vielen Punkten ist Hendrik Streeck einer Meinung mit seinen Kollegen. So erwähnte er im Interview deutlich, dass das Virus nicht verharmlost werden dürfte („ernstzunehmendes Virus“). Dennoch dürfe das Virus auch nicht überdramatisiert werden. Wie auch viele seiner Kollegen sieht er beispielsweise auch für die gesunkene Sterblichkeitsrate mehrere Gründe („von vielen, sehr sensitiven Tests bis hin zu einer hohen Infektionsrate unter jüngeren Menschen“). So sagt Streeck beispielsweise wie auch Christian Drosten, dass weniger sensitive PCR-Tests durchgeführt werden sollten, stattdessen aber mehr ungenauere, schnellere Antigen-Tests.

Auch Karl Lauterbach (SPD) meldete sich nach der Veröffentlichung des Interviews via Twitter zu Wort. Sich auf die Zahl der Toten und die Krankenhausfälle zu konzentrieren halte er für falsch. „Richtig ist, unsere Reaktion auf die zweite Welle breit zu diskutieren“, findet Lauterbach.

Unsere Erstmeldung: Coronavirus in Deutschland: Virologe Streeck fordert Strategiewechsel - „Halte es für essenziell, dass ...“

München - Die Maßnahmen, die in den vergangenen Wochen in Europa getroffen wurden, sprechen Bände: Das Auswärtige Amt weitete die Reisewarnungen aus, Großbritannien verschärfte die Corona-Schutzmaßnahmen, in Österreich spricht man mittlerweile bereits von dem Faktor, der über einen zweiten Lockdown entscheiden würde.

Und die Infektionszahlen steigen nicht nur europaweit. Unlängst schlug auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgrund einer traurigen Rekordzahl Alarm. Hans Kluge, WHO-Generaldirektor für Europa, warnte zudem davor, dass man im Oktober und November „einen Anstieg der Sterblichkeit* beobachten werde. Doch wie sieht die Corona-Situation für Deutschland aus? Virologe Hendrik Streeck wagte eine Prognose - und plädiert für einen Strategiewechsel.

Coronavirus in Deutschland: Virologe Streeck fordert Strategiewechsel

In der vergangenen Woche von Montag (7. September) bis Freitag (11. September) lagen die registrierten Neuinfektionen in Deutschland bei durchschnittlich 1.536. Insgesamt betrachtet pendeln sich die Zahlen aktuell zwischen 1500 und 2000 Neuinfektionen pro Tag ein.

Doch Neuinfektionen alleine, so Virologe Hendrik Streeck im Interview mit der Zeitung „Welt am Sonntag“ (Artikel hinter Bezahlschranke), sollten nicht die einzige Grundlage für die Bewertung der aktuellen Corona-Lage sein. Man dürfte sich „nicht allein auf die reinen Infektionszahlen beschränken.“

Es sei richtig, dass die Zahlen der positiv getesteten Menschen in Deutschland und Europa „signifikant“ seien. „Gleichzeitig sehen wir aber kaum einen Anstieg der Todeszahlen. Das hat mehrere Gründe - von vielen, sehr sensitiven Tests bis hin zu einer hohen Infektionsrate* unter jüngeren Menschen. Das sagt mir, dass wir umdenken müssen.“ Er plädiere für einen Strategiewechsel.

Zwar sollte man die Ansteckungsfälle weiterhin grundsätzlich so niedrig wie möglich halten, aber gesellschaftlich betrachtet seien symptomlose Infektionen nicht zwangsweise schlimm. „Je mehr Menschen sich infizieren und keine Symptome entwickeln, umso mehr sind - zumindest für einen kurzen Zeitraum - immun. Sie können zum pandemischen Geschehen nicht mehr beitragen“, führte der Virologe aus.

Indes konnte man nach fast neun Monaten eine erste Corona-Bilanz hinsichtlich der Sterberate ziehen.

Coronavirus in Deutschland: „Essenziell, dass wir von der alleinigen Betrachtung der Infektionszahlen wegkommen“

Des Weiteren betonte Streeck, dass die Gesellschaft realisieren und akzeptieren müsse, dass das Virus Teil des Alltags sei und nicht verschwinde. Tage später erneuert der Virologe bei Anne Will* seinen Appell. Als eine wichtige Größe nannte Streeck die Anzahl der Infizierten, die stationär behandelt werden, was aktuell einem Wert von weniger als fünf Prozent entspreche. „Ich halte es für essenziell, dass wir von der alleinigen Betrachtung der Infektionszahlen wegkommen. Das würde auch Ängst nehmen.“

Streeck betonte außerdem, dass niemand - kein Politiker, kein Virologe, kein Epidemiologe - den einen, richtigen Weg im Umgang mit der Pandemie kenne. „Wir können nur ausprobieren - und wir müssen auch Fehler machen dürfen“, so Streeck. Bei dem Coronavirus* komme es auf eine „Gratwanderung“ an. Es sei ein „ernstzunehmendes Virus“, man dürfe es jedoch auch nicht überdramatisieren, warnte Streeck in dem Interview und betone auch, dass er die Maskenpflicht, den Mindestabstand und die allgemeine Hygiene als wichtigen Faktor zur Bekämpfung der Pandemie ansehe. *Merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Netzwerks (mbr)

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