18 Kilometer am Tag: Mann läuft seit 1997 zu Fuß zur Arbeit
Wasserdicht müssen sie sein, seine Wanderschuhe, und vorne breit. Aber das ist auch schon alles, was Helmut Sattler aus Niestetal braucht.
Niestetal – Helmut Sattler geht zu Fuß, und zwar zu seinem Arbeitsplatz in die Kasseler Innenstadt. Jeden Werktag macht er das, bei jedem Wetter und zu jeder Jahreszeit, fünfmal die Woche – und das seit 1997, wie hna.de berichtet.
„Das sind insgesamt 18 Kilometer hin nach Kassel und zurück nach Niestetal-Heiligenrode“, sagt Sattler, der bei der DAK als Sozialversicherungsangestellter arbeitet. Er weiß, sein Hobby ist ungewöhnlich. Und es wird wohl kaum jemanden geben, der ihm darin das Wasser reichen kann. „Ich verbrauche jedes Jahr ein Paar Wanderschuhe“, sagt er.

Von Kassel nach Paris und auch bis Barcelona gelaufen
Anfänglich habe er die gelaufenen Kilometer noch zusammengezählt. Die Strecke von Kassel bis nach Paris, rund 700 Kilometer, hatte er nach etwa 38 Arbeitstagen geschafft. Dann Kassel bis Barcelona – rund 1500 Kilometer. „Das kann man sich dann ja selbst ausrechnen“, sagt Sattler. Schließlich habe er mit der Kilometerzählerei aufgehört.
Längst geht es ihm einfach nur ums Draußensein. Er liebt den Frühling und den Herbst, wenn die Temperaturen moderat sind. „Wirklich unangenehm sind Hitze oder starker Regen in Kombination mit Wind“, sagt Sattler. Selbst mit einem Schirm komme er dann klatschnass ans Ziel. Bei Glatteis zieht er Spikes an.
Aber schreckt ihn all das nicht ab. Laufen ist seine Passion. Auch wenn er Urlaub hat, zieht es ihn nach draußen. Inzwischen bucht er bis zu viermal im Jahr Outdoor-Erlebnisurlaube, meist bei Spezialanbietern. Die Zeit dazu hat er, Sattler ist alleinstehend. Und so kam er schon viel in der Welt herum. In Ostafrika lief er bereits die ganze Küste von Mosambik ab, er ist von Kapstadt durch die Kalahari (Savanne) über die zentralafrikanischen Nationalparks bis hin zu den Nilfällen getourt und war auch schon am kältesten Ort der Welt – in Oimjakon mitten in Sibirien bei Minus 56 Grad Celsius.
Anderthalb Stunden, um von Niestetal nach Kassel zu gehen
Am 23. Dezember 2018 hätte seine Liebe zum Umherziehen fast ein Ende gefunden. „In Hongkong hatte mich ein Linienbus voll erwischt“, erzählt er. Knochenbrüche im ganzen Körper, zehn Tage Koma, diverse Operationen. Die Rekonvaleszenz habe gut ein halbes Jahr gedauert. „An diesem Tag bin ich gestorben und wurde wiedergeboren“, sagt Sattler.
Das Gehen und Wandern sei für ihn dadurch noch wichtiger geworden – als ein Akt purer Lebensäußerung. Es macht ihm nichts aus, jeden Morgen um 4 Uhr aufzustehen, in die Klamotten zu schlüpfen, anderthalb Stunden nach Kassel zu gehen, um dann um 6 Uhr im Büro zu sein. Er mag es, mit seiner Arbeit anzufangen, wenn anderswo noch nicht einmal die Wecker geklingelt haben.
Inzwischen ist er einfach nur froh darum, dass er Ostern 1995 einfach vergessen hatte, sich eine Monatskarte für den Bus zu kaufen. „Damit fing alles an“, sagt Sattler. Er lief zu Fuß zur Arbeit, und merkte, dass es ging. „Erst im Spätherbst habe ich mir wieder eine Monatskarte gekauft – und ich hab’s bitter bereut“. Vor allem die übervollen Busse zu den Stoßzeiten machten ihm zu schaffen. Doch er hielt durch mit dem Busfahren bis zum 3. April 1997. „Das ist mein Geburtstag. Und als Geschenk habe ich mir keine Monatskarte mehr gekauft – nie mehr.“
Leute auf der Route von Niestetal nach Kassel kennengelernt
Tatsächlich kennt er über all die Jahre auf seiner Route so gut wie jeden Stein. „Eigentlich langweilig“, findet Sattler. Aber eigentlich auch nicht. So hat er auf seinem Weg schon viele Leute kennengelernt, Leute, deren Namen er oft noch nicht einmal kennt, die er aber jeden Morgen an den gleichen Stellen sieht und grüßt – und die ihn grüßen.
Aufgeben will er sein seltsames Hobby niemals. „Ich werde das machen, bis es nicht mehr geht“. Er liebt das Gehen und die Bewegung. „Für mich gibt es nichts Schlimmeres als einen Badeurlaub – zehn Minuten an Strand sind für mich die Höchststrafe“. (Boris Naummann)
Die einen gehen wandern, die anderen widmen sich stattdessen lieber ihrer Modelleisenbahn: Denn Modelleisenbahn als Hobby liegt wieder im Trend.