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Früher Apotheke der Welt, jetzt Lieferengpässe: Deutschland kämpft mit Medikamentenmangel

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Von: Markus Hofstetter

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In der Vergangenheit versorgte Deutschland die Welt mit Medikamenten, nun beklagen Apotheken Lieferengpässe. Das Problem soll sich sogar ausweiten.

Bonn - Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) führt 300 Meldungen zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln auf (Abruf: 6. Dezember), bei rund 100.000 in Deutschland zugelassen Medikamenten. Die Behörde sieht in dieser Situation allerdings aktuell „keine Hinweise auf eine generelle akute Verschlechterung der Versorgungslage in Deutschland“. Für viele knappe Medikamente gebe es Alternativen. Ein Lieferengpass müsse nicht gleichzeitig ein Versorgungsengpass sein, stellt die Behörde klar. Derzeit gebe es nur rund zehn Meldungen zu versorgungskritischen Wirkstoffen.

Engpässe bei Medikamenten in Deutschland: Lieferdefizite sollen steigen

Dennoch beklagen Deutschlands Apotheken anhaltende Lieferengpässe bei einer Reihe von Arzneimitteln. Darunter sind Fiebersäfte für Kinder, Magensäureblocker, Hustensäfte und Blutdruckmittel. Die Probleme hätten in den vergangenen Monaten zugenommen, so der Vorsitzende des Apothekerverbandes Nordrhein, Thomas Preis, zur Deutschen Presse-Agentur. „Die Lage ist schlimm.“ Für 2023 erwartet er sogar eine Steigerung der Lieferdefizite.

Leere Tablettenverpackungen
In Deutschland herrscht bei vielen Medikamenten ein Lieferengpass. (Symbolbild) © Dwi Anoraganingrum/imago

Wenig Hoffnung macht auch die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). Ein Vertreter des Verbandes sprach von einer „großen Herausforderung“, die man angesichts der Engpässe habe, und die auf absehbare Zeit bestehen bleiben werde. Die ABDA begründete die angespannte Lage mit dem Kostendruck im Gesundheitswesen. Um Geld zu sparen, setzten Hersteller auf eine Produktion in Asien, sagte ein ABDA-Sprecher. Falle dort eine Charge aus oder der Schiffstransport verspätet sich, habe das Folgen für das hiesige Angebot. „Früher war Deutschland die Apotheke der Welt, heute sind China und Indien die Apotheke der Welt“, fasst Apotheker Preis zusammen.

Medikamentenherstellung in Deutschland: Unternehmen ziehen sich hierzulande aus Produktion zurück

Auch der Verband Pro Generika beklagt den Kostendruck. Hersteller von Generika, das sind wirkstoffgleiche Nachahmerprodukte von Arzneien, deren Patentschutz abgelaufen ist, deckten 78 Prozent des Arzneibedarfs der gesetzlichen Krankenkassen. Gemessen an dem, was die Kassen den Firmen für Generika bezahlten, rangiere Deutschland im europäischen Vergleich aber am unteren Ende.

So erhalten die Produzenten von Paracetamol-Fiebersäften laut Pro Generika 1,36 Euro je Flasche. Der Wirkstoff sei aber binnen eines Jahres um 70 Prozent teurer geworden. „Rasant steigende Wirkstoff- und Produktionskosten bei eingefrorenen Preisen machen die Produktion von Arzneimitteln wie Fiebersäften zum Verlustgeschäft“, so Pro-Generika-Geschäftsführer Geschäftsführer Bork Bretthauer.

Immer mehr Hersteller zögen sich aus der Produktion zurück, so wie das bayerische Unternehmen 1A Pharma. Inzwischen ist mit Teva mit seiner Arzneimarke Ratiopharm aus Ulm nur noch ein Hauptanbieter übrig.

Maßnahmen gegen Lieferengpässe bei Medikamenten in Deutschland: Rückverlagerung der Produktion nicht sinnvoll

Was aber tun gegen Arznei-Lieferengpässe? Peter Goldschmidt, Chef des Generika-Herstellers Stada, fordert, bei Ausschreibungen sollten anstelle von Exklusivverträgen die besten drei Arzneianbieter zum Zug kommen. Das würde Lieferketten stärken. Ein Zurückverlagerung der Produktion von Asien nach Europa hält Goldschmidt allerdings nicht für hilfreich. „Die Produktionsstätten in Indien oder China, von denen wir Ware beziehen, sind nach europäischen Standards geprüft.“ Zudem könne es auch in Europa Ausfälle und Engpässe geben, während die Arzneikosten steigen würden.

Pro Generika fordert den Festbetrag für Arzneifirmen zu erhöhen - er liege seit zehn Jahren auf demselben Niveau. Der Verband verweist auch auf Großbritannien. Sei dort ein Generikum zum vereinbarten Preis in Apotheken nicht verfügbar, werde der Erstattungspreis für bestimmte Zeit angehoben. So könnten Firmen wieder wirtschaftlicher agieren.

Bundesregierung will gegen Lieferengpässe vorgehen: GKV fürchtet Mitnahmeeffekte bei höheren Preisen

Die Bundesregierung hat das Problem erkannt. Sie plant gegen die Lieferengpässe bei Medikamenten eine Änderungen des Vergaberechts, wie ein Sprecher des Gesundheitsministeriums am Montag (28. November) in Berlin sagte. Ziel sei es, Lieferketten breiter anzulegen, damit die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern abnimmt. Minister Karl Lauterbach (SPD) hatte dem ARD-Hauptstadtstudio mit Blick auf die Gesetzespläne gesagt, die Krankenkassen sollten nicht länger gezwungen sein, Medikamente und Wirkstoffe dort einzukaufen, wo sie am billigsten sind.

Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) stellen aber in Frage, ob internationale Konzerne Produktionsabläufe wirklich änderten, nur weil in Deutschland höhere Preise bezahlt würden. Fatal wäre laut Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbands, ein schlichter Mitnahmeeffekt. „Also höhere Preise in Deutschland, höhere Gewinne bei der Pharmaindustrie auf Kosten der Beitragszahlenden, aber die Medikamentenlieferungen bleiben genauso oft unzuverlässig wie heute“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

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