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Messerattacke im Zug: Anwalt kritisiert die Justiz – der Täter schweigt

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Von: Anna Lorenz

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Nach der Messerattacke in einem Zug steht das schleswig-holsteinische Brokstedt unter Schock. Es wurde bekannt, dass der Täter ein langes Strafregister führt. Der News-Ticker.

Update vom 28. Januar 2023, 14.19 Uhr: Der mutmaßliche Täter, der in einem Regionalzug bei Brokestedt zwei Menschen erstach, machte beim Haftrichter-Termin keine Aussagen zu seiner Tat. Er habe dort geschwiegen. Nach Vorliegen von Ermittlungsergebnissen werde er mit seinem Mandanten sprechen, sagte Anwalt Björn Seelbach am Samstag der dpa.

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV), Thomas Oberhäuser, verneinte am Samstag im Deutschlandfunk die Frage, ob Justiz und Verwaltung die Tat hätten verhindern können. Er verwies auf rechtliche Abwägungen und Vorgaben in Untersuchungshaft-Fällen. Justiz und Verwaltung hätten allenfalls die Tat dadurch verhindern können, dass sie ihn weiterhin in Untersuchungshaft gehalten hätten, so Oberhäuser. „Aber da hat die Justiz entschieden, dass das unverhältnismäßig gewesen wäre angesichts der ihm vorgeworfenen Tat“, sagte er.

Andacht für Opfer der Messerattacke in Schleswig-Holstein: Auch Landesministerinnen vertreten

Update vom 28. Januar 2023, 09.48 Uhr: Am Freitagabend haben zahlreicher Menschen mit einer Andacht in der Brokstedter Kirche an die Opfer des Messerangriffs im Regionalzug Schleswig-Holstein gedacht. Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Brokstedt hatte dazu eingeladen. Auch Politikerinnen der schleswig-holsteinischen Landesregierung wie Finanzministerin Monika Heinold (Grüne), Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) und Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) nahmen an der Andacht teil.

Beobachtern zufolge versammelten sich rund 500 Menschen in und vor der Kirche, wo Bänke aufgestellt waren. Nach der Andacht, bei der auch den zahlreich erschienenen Helfern und Rettungskräften gedankt wurde, entzündeten Besucher etwa 200 Kerzen und stellten sie im Freien auf.

Teilnehmer der Andacht der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Brokstedt für die Opfer des Messerangriffs stellen nach dem Gottesdienst Kerzen auf.
Teilnehmende der Andacht stellen vor der Kirche Kerzen auf. © Axel Heimken/dpa

Am Freitag wurde bekannt, dass der Umgang der Behörden mit dem mutmaßlichen Täter ein parlamentarisches Nachspiel haben werden. Der Justizausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft wird sich in der kommenden Woche mit dem Fall befassen. In Düsseldorf soll der Rechtsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Die Fraktionen von SPD und FDP in NRW hatten einen entsprechenden Antrag für eine Sondersitzung des Rechtsausschusses am kommenden Dienstag gestellt.

Messerattacke im Zug: Täter führt ellenlanges Strafregister – Sogar sein Anwalt kritisiert die Justiz

Erstmeldung vom 27. Janaur 2023:

Brokstedt – 25. Januar, kurz vor 15 Uhr, ein Regionalzug von Kiel unterwegs nach Hamburg, nächste Haltestelle: Brokstedt im Kreis Steinburg. Ein Mitreisender zieht unvermittelt ein Messer, attackiert scheinbar wahllos Passagiere. Fünf Menschen werden verletzt, zwei Mitreisende getötet. Doch wer ist der Täter? Nach und nach sickern Informationen durch, nun äußerte sich der Anwalt des Mannes.

Mann attackiert Mitreisende mit Messer: Täter floh vor Hamas nach Deutschland

Die Polizei von Itzehoe gab am Abend des 25. Januar bekannt, dass es sich bei dem Angreifer um einen 33-Jährigen handelt. Er stamme aus Palästina, sei aber gegenwärtig staatenlos. Seinem Anwalt Björn Seelbach zufolge war der Mann vor der Terrororganisation Hamas geflohen, nachdem er bis 2014 mit seiner Familie im Gazastreifen gelebt hatte; die Hamas habe ihm, so zitiert der Spiegel Gerichtsunterlagen, „schwere Misshandlungen“ in Form von „Verbrennungen und Schnittverletzungen“ zugefügt.

Nun befindet sich der 33-Jährige in Polizeigewahrsam, musste wegen leichten Verletzungen allerdings zunächst in ein Krankenhaus verbracht werden. Über die Tötung der beiden Zugreisenden, sowie die, teilweise schweren Verletzungen, die er anderen Passagieren zugefügt hat, will der Mann schweigen, vermeldet sein Verteidiger Björn Seelbach. Der Anwalt, dem klar sein dürfte, dass die Aussichten auf einen Freispruch verschwindend gering sind, kritisiert stattdessen die Justiz. Er „war überrascht, dass [s]ein Mandant so plötzlich aus der U-Haft entlassen wurde“, monierte Seelbach dem Spiegel zufolge. Der fehlende Halt rückt ins Zentrum seiner Argumentation. Seiner Ansicht nach wäre es „besser gewesen, man hätte ihn [den Täter, Anm. d. Red.] auf die Entlassung vorbereiten können“. Hintergrund ist: Nur sechs Tage vor der Tat in Brokstedt saß der 33-Jährige noch im Gefängnis.

Messer-Angreifer von Brokstedt kam gerade aus dem Gefängnis – Anwalt kritisiert Justiz

Im Dezember 2014 reiste der Mann in Deutschland ein, lebte bis 2020 in Euskirchen, arbeitete als Paketbote. Bereits 2015 wurde er wegen Ladendiebstahl verurteilt, erhielt 2016 dennoch Schutzstatus im Asylverfahren. Weitere Delikte folgten, 2021 zog der aktenkundige Mann nach Kiel. Die Behörden wurden auf ihn aufmerksam und strengten ein Verfahren zur Entziehung des Schutzstatus an. Am 18. Januar 2022 stach der 33-Jährige einem Mann vor einem Obdachlosenheim im Zuge eines Streits mit einem Messer in Arm, Hand und Hals. Die Justiz entschied auf Freiheitsstrafe und verneinte eine günstige Sozialprognose; man gehe davon aus, dass ein 50-prozentiges Risiko erneuter Straffälligkeit bestehe.

Mehrere Rettungs- und Polizeifahrzeuge stehen an dem Bahnhof in Brokstedt an einem Bahnübergang.
Einsatzkräfte der Polizei und Feuerwehr und Rettungsdienste sind an einem Bahnübergang am Bahnhof Brokstedt im Einsatz. Bei der Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg sind zwei Menschen getötet und mehrere verletzt worden. © picture alliance/dpa | Jonas Walzberg

Der Mann, der im Prozess von Alkohol- und Drogenkonsum berichtet hatte, legte gegen das Strafurteil Berufung ein – damit wurde die Freiheitsstrafe nicht rechtskräftig und folglich nicht vollstreckbar. Der 33-Jährige verblieb in Untersuchungshaft, wo es wohl erneut zu Auseinandersetzungen mit Mithäftlingen sowie Vollzugsbeamten kam. Am 19. Januar 2023 machte der Aufenthalt in der Untersuchungshaft einen Großteil der ursprünglich verhängten Freiheitsstrafe aus – man entließ den Mann nach einer psychiatrischen Begutachtung, die unauffällig ausfiel. Am 25. Januar 2023 wurde er in Kiel vorstellig, wollte dem Innenministerium von Schleswig-Holstein zufolge eine „Aufenthaltskarte“ beantragen.

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